Handelsblatt - 19.08.2019

(Elle) #1

SPD-Vorsitz


Die (Selbst-)Rettung


Noch fehlt Olaf Scholz eine Partnerin fürs geforderte


SPD-Führungsduo. Und zeitlich ist der


Bewerbungsprozess enorm anspruchsvoll. Warum


der Finanzminister trotzdem kandidieren will.


Martin Greive, Jan Hildebrand
Berlin

O


laf Scholz (SPD) steht
ein heißer Herbst be-
vor. Da sind die übli-
chen Termine des Bun-
desfinanzministers: ein
Treffen mit den EU-Kollegen in Helsin-
ki Mitte September, eines in Luxem-
burg Anfang Oktober. Dazwischen Ka-
binettssitzungen, Arbeiten am Klima-
paket und an Steuergesetzen.
Das ist alles schon arbeitsintensiv,
doch jetzt muss der Vizekanzler pa-
rallel noch an 23 SPD-Regionalkonfe-
renzen quer durch Deutschland teil-
nehmen. Dabei wollen sich die Kan-
didaten für den Parteivorsitz im
September vorstellen, bevor die rund
430 000 Mitglieder im Oktober die
neue SPD-Spitze wählen. Und zu die-
sen Kandidaten gehört seit dem Wo-
chenende auch Scholz. „Natürlich
hat mich die Debatte über die Frage
bewegt, warum aus der Spitze der
Partei keiner antritt“, sagte er der
„Bild am Sonntag“. „Es tut der SPD
nicht gut, wenn es so rüberkommt,
als ob sich keiner traut. Das stimmt ja
nicht. Auch nicht für mich.“
Nach dem Rücktritt von Andrea
Nahles hatte Scholz im Juni noch er-
klärt, nicht für den Parteivorsitz zur
Verfügung zu stehen. „Es wäre völlig
unangemessen“, sagte er. Ein SPD-
Vorsitzender müsse sich aufgrund
der existenziellen Krise mit ganzer
Kraft der Partei widmen. Dies könne
er als Bundesfinanzminister und Vi-
zekanzler nicht leisten, so Scholz, es
sei „zeitlich nicht zu schaffen“.
Nun hat er seine Meinung geän-
dert. Am Sonntag wird er bei einer
Bürgerfragestunde vor der Bundes-
pressekonferenz nach den Gründen
für seine Kehrtwende gefragt: „Alles,
was man tut, muss man aus Verant-
wortung machen“, antwortet der Fi-
nanzminister. Angesichts der Bedeu-
tung, die die Sozialdemokratie für
das Land habe, müsse man „die Din-
ge neu überlegen, weil die Verant-
wortung es gebietet“. Viele von de-
nen, die er gern an der Spitze gese-
hen hätte, kandidierten nicht, sagte
Scholz der „Bild am Sonntag“. „Das
kann ich nicht ignorieren.“

Erster Promi-Bewerber


Bis zu Scholz‘ Kandidatur war das Be-
werberfeld eher enttäuschend. Es
hatten ausschließlich Anwärter aus
der zweiten oder dritten Reihe ihre
Bewerbung erklärt, die kaum jemand
kennt oder die sogar parteiintern
Spott ernteten wie Gesine Schwan
und Ralf Stegner. Vergangene Woche
hatte sich die SPD-Spitze deshalb da-
rauf verständigt, dass alle Spitzenpo-
litiker noch mal in sich gehen sollten,
ob sie nicht doch kandidieren wollen.
Auch jene, die wie Scholz oder Ma-
nuela Schwesig eine Kandidatur be-
reits ausgeschlossen hatten.
Der Vizekanzler übernahm dann als
erster Verantwortung. In einer Tele-
fonschalte mit den drei SPD-Interims-
vorsitzenden Malu Dreyer, Schwesig
und Thorsten Schäfer-Gümbel sagte
er: „Ich bin bereit anzutreten, wenn
ihr das wollt.“ Widerspruch soll es in
dem Telefonat nicht gegeben haben.
Am Freitag wurde die Scholz-Aussage
dann durch einen „Spiegel“-Bericht
öffentlich. Mit der ersten Bewerbung
eines SPD-Kabinettsmitglieds ist das
Rennen um den Parteivorsitz nun erst
richtig eröffnet. Nun muss Scholz
noch eine Frau für eine mögliche
Team-Bewerbung finden. Er soll
schon seit einigen Tagen an einer
möglichen Lösung für eine Tandem-
Bewerbung arbeiten. Man könne si-
cher sein, das alles auf einem guten

Weg sei, sagte er am Sonntag bei der
Bürgerfragestunde.
Eine Mitbewerberin könnte die
beiden Makel von Scholz ausglei-
chen: Der 61-Jährige, der seit 2001
dem SPD-Vorstand angehört, steht
nicht gerade für die Erneuerung der
Partei. Und er gilt gerade vielen SPD-
Funktionären als zu kühler Techno-
krat. Scholz ist einer der entschie-
densten Befürworter der Großen Ko-
alition und daher eine Reizfigur für
den linken Flügel und die Jusos.
Schon seit Jahren hat er intern einen
schweren Stand und fuhr auf Partei-
tagen regelmäßig schlechte Ergebnis-
se ein. Bei seiner Wiederwahl als Par-
teivize erhielt er im Dezember 2017
nur 59,2 Prozent. Eine Wahl von
Scholz zum Vorsitzenden wäre des-
halb sicher kein Liebesbeweis. Den-
noch könnten es die SPD-Mitglieder

begrüßen, dass endlich jemand aus
der engeren Parteiführung Verant-
wortung übernimmt. Auch muss
Scholz nicht nur in die Partei hinein-,
sondern auch nach außen wirken. In
der Öffentlichkeit kommt er durch-
aus an, zwischenzeitlich galt der Fi-
nanzminister als einer der beliebtes-
ten Regierungspolitiker. Das könnte
auch skeptische Funktionäre über-
zeugen. Angesichts der desaströsen
Umfragewerte und des Überlebens-
kampfes der SPD ist ein Parteichef,
der bei den Bürgern angesehen ist,
nicht die schlechteste Variante.
Scholz selbst würde durch die
Übernahme des Parteivorsitzes sei-
nem Ziel näher kommen, bei der
nächsten Bundestagswahl als Spit-
zenkandidat anzutreten. Der Vize-
kanzler glaubt trotz der miesen Um-
fragewerte nach wie vor an einen Er-

folg der SPD bei der Wahl 2021. „Man
muss mit geradem Rücken auf den
Platz gehen, und man muss gewin-
nen wollen“, sagte Scholz an diesem
Wochenende.
Die Pleiten-und-Pannenserie von
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karren-
bauer scheint diese Sicht zu bestäti-
gen. Allerdings sind die Grünen mit
ihrem Höhenflug mittlerweile die viel-
leicht härteste Konkurrenz. Scholz‘
vehementes Beharren darauf, dass
die SPD auch künftig den Kanzler stel-
len könnte, empfanden auch einige in
der Partei als surreal. Andererseits gilt
im politischen Geschäft: Wer sich
klein macht, wird klein gemacht. Der
selbstzweifelnden SPD kann ein we-
nig Selbstbewusstsein ihrer Spitzen-
kräfte nicht schaden. Und Scholz be-
weist mit seiner Kandidatur für den
Parteivorsitz nun zumindest, dass es
ihm ernst ist.

Kein selbstloser Dienst


Ein völlig selbstloser Dienst an der
SPD ist es jedoch nicht. Würde der
Parteivorsitz an erklärte Gegner der
Großen Koalition fallen, könnte
Scholz‘ politische Karriere so schnell
beendet sein wie das Bündnis aus
Union und SPD. Sichert sich Scholz
hingegen den Parteivorsitz selbst, ist
ihm die mögliche Kanzlerkandidatur
kaum zu nehmen. Scholz hat zudem
ein Interesse daran, dass die Große
Koalition fortgesetzt wird und er mit
dem Amtsbonus eines Ministers in ei-
ne mögliche Wahl gehen kann.
Der Bewerberprozess um die SPD-
Führung könnte mit Scholz‘ Kandida-
tur noch mal an Schwung gewinnen.
So stehen die erklärten GroKo-Geg-
ner wie Juso-Chef Kevin Kühnert nun
intern unter Druck. In der Partei
wird jedenfalls für möglich gehalten,
dass Scholz‘ Schritt andere Kandida-
turen nach sich zieht. So hatte etwa
Martin Schulz intern erklärt, wenn
Scholz sich für hohe Ämter bewerbe,
trete auch er noch einmal an. Das ist
zwar unrealistisch, zeigt aber, dass
Scholz etliche innerparteiliche Geg-
ner hat. Neben Schulz zählt dazu
auch Sigmar Gabriel. Gemeinsam mit
Andrea Nahles hatte der heutige Fi-
nanzminister damals Gabriel als Au-
ßenminister abgesägt.
Bislang haben vier Duos ihre Ab-
sicht erklärt, für den SPD-Vorsitz zu
kandidieren. Am Freitag kam noch
ein neues hinzu: So wollen auch Nie-
dersachsens Innenminister Boris Pis-
torius und die sächsische Staatsmi-
nisterin für Integration, Petra Köp-
ping, antreten. Dieses Duo könnte
laut Genossen die größte Konkurrenz
für ein Scholz-Team sein. Beide ste-
hen auf ihre Weise für das Thema In-
tegration: Pistorius ist für eine härte-
re Migrationspolitik, Köpping hat mit
ihrem Buch „Integriert doch erst mal
uns“, in dem sie über die misslunge-
ne Integration Ostdeutscher schreibt,
für Aufsehen gesorgt.
Daneben haben auch Staatsminis-
ter Michael Roth und die NRW-Land-
tagsabgeordnete Christina Kamp-
mann, die Bundestagsabgeordneten
Nina Scheer und Karl Lauterbach, die
Bürgermeister Simone Lange und
Alexander Ahrens als Teams ihre
Kandidatur erklärt. Hinzu kommt der
Unternehmer Robert Maier, Vizeprä-
sident des SPD-Wirtschaftsforums,
der allein antreten will. Bis zum


  1. September können Interessenten
    sich noch melden. Danach starten
    die 23 Regionalkonferenzen, die
    Scholz neben den Ministeraufgaben
    absolvieren will. „Es geht hier gerade
    nicht um Arbeitsbelastung, sondern
    um die SPD“, sagt er.



Leitartikel Seite 16



Olaf Scholz:
Der SPD-Vize
bewirbt sich
nun doch für
den Vorsitz.

Photothek/Getty Images

Es tut der


SPD nicht


gut, wenn


es so


rüberkommt,


als ob sich


keiner traut.


Das stimmt


ja nicht.


Olaf Scholz
Bundesfinanzminister

Wirtschaft & Politik
MONTAG, 19. AUGUST 2019, NR. 158

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