Handelsblatt - 19.08.2019

(Elle) #1

Moritz Koch Berlin


B


auern, sagt Maximilian
von Löbbecke, haben
dicke Finger. Oder sie
tragen dreckige Hand-
schuhe. Und meistens
sind sie draußen, im grellen Tages-
licht. Von Löbbecke ist kein Bauer,
hat keine dicken Finger und trägt
auch keine dreckigen Handschuhe,
sondern Jackett mit Einstecktuch. Er
ist Unternehmer, aber er kennt sich
mit Bauern aus. Seine Firma 365
Farmnet bietet Datenanalysen für
Agrarbetriebe an – bessere Ernten
und weniger Aufwand, so lautet das
Versprechen.
Die Digitalisierung der Landwirt-
schaft bietet große Chancen, hat aber
ganz besondere Tücken, weiß von
Löbbecke, und mit dem Software-De-
sign fängt es an: Eingabefelder auf
Touchdisplays zum Beispiel müssen
besonders hell und groß sein, acker-
alltagstauglich eben. Das macht jede
Menge Arbeit, und daher wäre von
Löbbecke froh, wenn er sich etwas
mehr mit den speziellen Bedürfnis-
sen seiner Kundschaft beschäftigen
könnte – und weniger mit den beson-
deren Anforderungen der deutschen
Bürokratie. „Ich war schon an etli-
chen Gründungen beteiligt, in Thai-
land, Südafrika, der Schweiz und in
den USA. Aber nirgendwo wird es ei-
nem so schwer gemacht wie in
Deutschland“, klagt er.
Von Löbbecke führt an diesem Tag
hohen Besuch durch seine Büroflure
am gediegenen Berliner Hausvogtei-
platz. Unionsfraktionschef Ralph
Brinkhaus ist gekommen und hat
Verstärkung mitgebracht: seine Stell-
vertreterin Nadin Schön, den Digital-
politiker Tankred Schipanski und
den Bundestagsneuling Marc Bia-
dacz. Die Christdemokraten wollen
ein Zeichen setzen. Gerade jetzt, da
sich die Konjunktur eintrübe, dürfe
die Bundesregierung nicht nur Sozi-
alpolitik im Angebot haben, mahnt
Brinkhaus: „Der Blick muss nach vor-
ne gehen, nicht zurück.“ Es gelte,
den Start-up-Standort zu stärken und
ein neues Geschäftsmodell für
Deutschland zu finden.

„Ausufernde Arbeit -
nehmerrechte“

Der Firmenbesuch soll dazu dienen,
das durch Mütterrente, „Ausländer-
maut“, allgemeinen Regierungsver-
schleiß und allerhand Koalitionskom-
promisse verwischte Wirtschaftspro-
fil der Union zu schärfen. Doch das
Gespräch zwischen den Unionspoliti-
kern und von Löbbecke zeigt vor al-
lem, wie groß die Kluft zwischen
CDU und Unternehmern geworden
ist. Der Gastgeber ist um deutliche
Worte nicht verlegen: „Die CDU hatte
einmal große Wirtschaftskompetenz,
aber das ist vorbei.“ Von Löbbecke
beschwert sich über „ausufernde Ar-
beitnehmerrechte“ und ein „zuneh-
mend abschreckendes Steuer-, Ar-
beits- und Gesellschaftsrecht“. Ein-
mal in Fahrt gekommen, echauffiert
er sich weiter: Friedrich Merz habe
sich bei seiner gescheiterten Kandi-
datur für den CDU-Vorsitz „für seinen
Erfolg entschuldigen“ müssen. Das
sage doch schon alles.
Die Kritik, mit der von Löbbecke
Brinkhaus konfrontiert, ist unge-
wöhnlich scharf. Aber inhaltlich
deckt sie sich mit den Klagen, die
man von Gründern und Start-up-In-
vestoren überall in Deutschland hört.
Die Bundesrepublik, heißt es, ver-
schlafe die Digitalisierung, reguliere
zu viel und riskiere zu wenig. Das fö-
derale Geflecht sei ein bürokratisches
Dickicht, in dem sich nur Spezialisten

zurechtfänden. Allein 17 Daten-
schutzbeauftragte gebe es, und sie al-
le machten Digitalfirmen das Leben
schwer. Genauso wie die Funklöcher,
die ganze Regionen verschlucken.
Die Hauptklage aber lautet: Es fehlt
an Investoren, die erfolgreiche Start-
ups mit einer Kapital-Infusion auf die
nächste Stufe heben.
Statistiken verdeutlichen den Ernst
der Lage: Nach Angaben des Start-
up-Verbands geht hierzulande dop-
pelt so vielen jungen Firmen in der
Wachstumsphase die Puste aus wie
in den USA. In Amerika gehen erfolg-
reiche Start-ups an die Börse, in
Deutschland werden sie verkauft – in
70 Prozent der Fälle ins Ausland, wie
der Start-up-Verband ebenfalls er-
rechnet hat. Gerade erst hat eine Stu-
die der Kreditanstalt für Wiederauf-
bau ein düsteres Lagebild der Bran-
che gezeichnet: Der Wunsch nach
Selbstständigkeit war in Deutschland
noch nie so gering wie heute.
Doch viel mehr als ein breites Lä-
cheln und das vage Versprechen, die
Stärkung des Start-up-Sektors zur
„Priorität der Fraktion“ zu machen,
kann Brinkhaus an diesem Tag nicht
anbieten. Er hat ein Positionspapier
der Unionsabgeordneten dabei, und
dessen bloße Existenz will die Frakti-

on schon als politischen Erfolg ver-
standen wissen. Auch die Beförde-
rung des CDU-Abgeordneten Thomas
Jarzombek zum Start-up-Beauftrag-
ten im Bundeswirtschaftsministeri-
um hebt Brinkhaus hervor.
Doch wer auf einen großen Re-
formschub nach der Sommerpause
hofft, wird wohl enttäuscht. Für das
Handelsblatt skizziert Jarzombek
seine Agenda so: „Ein zentrales Vor-
haben ist für mich die Verabschie-
dung der Blockchain-Strategie der
Bundesregierung. Ich möchte errei-
chen, dass wir Deutschland in die-
sem Bereich weiter voranbringen.
Daneben gehen wir das Themenfeld
,digitale Plattformen‘ an, das auch
Gegenstand des diesjährigen Digital-
gipfels in Dortmund ist.“ Wie der
ganz große Wurf klingt das noch
nicht.
Die Antworten der Großen Koaliti-
on auf die drängenden Fragen nach
der Digitalisierung der Verwaltung,
dem Netzausbau und der Verbesse-
rung der Finanzierungsoptionen wir-
ken wie Ausflüchte nach dem Motto:
Da sind wir dran, das dauert noch,
wir kümmern uns.
Brinkhaus spürt inzwischen, dass
der Firmenbesuch eher die Entfrem-
dung zwischen Union und Unterneh-

merschaft unterstreicht als die Wirt-
schaftskompetenz der Partei. Darum
bemüht er Max Weber und ein weite-
res Mal sein breites Lächeln: „Politik
ist das Bohren dicker Bretter.“ Nicht
nur die Gründer fühlen sich von der
Politik nicht verstanden – auch die
Politik von den Gründern. Für die
Start-up-Agenda verheißt das wenig
Gutes.
Er sei „erschrocken und besorgt“,
sagt von Löbbecke hinterher. Er hätte
gern konkretere Ansagen gehört,
zum schleppenden Netzausbau etwa,
der ihm stark zu schaffen macht.
Nicht nur, dass auf vielen Bauernhö-
fen die Handyverbindung schlecht ist


  • wenn sie überhaupt existiert. Auch
    die Internetverbindungen im Fest-
    netz sind so langsam, dass an moder-
    ne Datenverarbeitung kaum zu den-
    ken ist. Der Markt für Agrar-Software
    wird so erheblich eingeschränkt.
    Wachstumspotenzial bleibt unge-
    nutzt, wie in vielen anderen Bran-
    chen auch.
    Löbbeckes Bilanz: „Es hat sich be-
    stätigt, wie tief der Graben zwischen
    Politik und Wirtschaft ist. Man folgt
    Themen und Stimmungen der Gesell-
    schaft, um wiedergewählt zu werden,
    statt endlich das Wohl des Landes in
    den Fokus zu rücken.“


Digitalisierung


Szenen einer schleichenden


Entfremdung


Die CDU will sich als Anwalt der Firmengründer profilieren –


doch ihr schlägt die Skepsis der ganzen Szene entgegen.


Bauer im Traktor:
Auch die Landwirt-
schaft wird digital.

imago images / photothek

Ich war


schon an


etlichen


Gründungen


beteiligt.


Nirgendwo


wird es einem


so schwer


gemacht wie in


Deutschland.


Maximilian von
Löbbecke
Unternehmer

Wirtschaft & Politik
MONTAG, 19. AUGUST 2019, NR. 158

12

Free download pdf