Handelsblatt - 19.08.2019

(Elle) #1

Micha Knodt, Frank Specht Berlin


W


irtschaftsminister Peter
Altmaier (CDU) erhält für
seinen Vorstoß, mit ei-

nem Stufenmodell den Solidaritäts-


zuschlag bis 2026 für alle komplett


abzuschaffen, Unterstützung aus der


Wirtschaft und der Unionsfraktion.


„Die Regierung sollte den Mut haben


für einen rechtssicheren, effizienten


und gerechteren Abbau des Solis für


alle“, sagte Joachim Lang, Hauptge-


schäftsführer des Bundesverbands


der Deutschen Industrie (BDI).


Mit Altmaiers Vorschlag liege eine


verfassungsfeste Lösung vor, die ins-


besondere auch die mittelständische


Wirtschaft in die Entlastung einbezie-


he. „Dies ist ein wichtiger Schritt, um


für die deutsche Wirtschaft eine in-


ternational wettbewerbsfähige Steu-


erbelastung zu erreichen“, sagte


Lang. Handwerkspräsident Hans Pe-


ter Wollseifer hält den Leitgedanken


eines verbindlichen Soli-Abschmelz-


plans für richtig. „Allerdings könnte


die Bundesregierung beim Zeitplan


für die Komplettabschaffung des So-


lis ehrgeiziger sein.“


Widerspruch kam allerdings von


Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der


seinen Gesetzentwurf für eine 90-


prozentige Abschmelzung des Solis


ab 2021 noch im August vom Kabi-


nett verabschieden lassen will. Eine


„Steuersenkung für Millionäre“ stehe


nicht auf der Tagesordnung, sagte


Scholz der „Bild am Sonntag“.


Wie zuerst vom Handelsblatt be-


richtet, hatte Altmaier in der vergan-


genen Woche einen Stufenplan vor-


gelegt, der die komplette Abschaf-


fung des Solis bis 2026 vorsieht. Im


Jahr 2021 werden die Steuerzahler


zunächst um 90 Prozent entlastet, im


Jahr 2024 um 97 Prozent. Dieses Ab-


schmelzmodell helfe, die Steuerbe-


lastung für deutsche Unternehmen


im internationalen Vergleich wettbe-


werbsfähiger zu gestalten, schreibt


das Wirtschaftsministerium.


Nach Scholz’ Gesetzentwurf wer-


den die zehn Prozent der Topverdie-


ner weiter zur Kasse gebeten. 6,


Prozent müssen den Soli auch ab


2021 noch teilweise, 3,5 Prozent so-


gar voll weiterzahlen. Dies würde die


Wirtschaft hart treffen. 85 Prozent al-


ler Betriebe in Deutschland sind Per-


sonengesellschaften, die wie jeder


normale Bürger Einkommensteuer
zahlen – und damit auch den Soli.
Der Solidaritätszuschlag sollte auch
Thema im Koalitionsausschuss der
Spitzen von Union und SPD am
Sonntagabend sein. Regierungsspre-
cher Steffen Seibert hatte am Freitag
an den Koalitionsvertrag erinnert,
der eine schrittweise Abschaffung
des Solis vorsehe. Der Vorschlag von
Finanzminister Scholz sei ein guter
und großer erster Schritt dazu. Die
Abstimmung innerhalb der Regie-
rung dazu laufe. Es bleibe darüber hi-
naus „natürlich“ Aufgabe, den Soli
vollständig abzuschaffen. Dies sei
aber eine Aufgabe für die nächste Le-
gislaturperiode.
Doch Koalitionspolitiker machen
Druck. Wenn die Regierung einen
ersten Schritt gehe, müsse sie auch
sagen, wie der nächste Schritt oder
die nächsten Schritte bis zur vollstän-
digen Abschaffung des Solis aussehen
sollten, sagte der Obmann des Fi-
nanzausschusses im Bundestag, Hans
Michelbach (CSU), dem Handelsblatt.
„Wir brauchen ein vollständiges Soli-
Abschaffungsgesetz.“
Finanzminister Scholz will sich bis-
her nicht auf einen konkreten Fahr-
plan für die komplette Abschaffung
festlegen lassen. „Es ist deshalb zu
begrüßen, dass Wirtschaftsminister
Altmaier jetzt die Initiative ergreift,
um diese Leerstelle des Scholz-Ent-
wurfs zu füllen“, sagte Michelbach.
Damit komme endlich Fahrt in die
notwendige Debatte über die Schritte
zum vollständigen Soli-Abbau.
Der haushaltspolitische Sprecher
der Unions-Bundestagsfraktion, Eck-
hardt Rehberg (CDU), betonte, man
werde über den genauen Weg der
schrittweisen Soli-Abschaffung im
parlamentarischen Verfahren bera-
ten und dabei die Möglichkeiten des
Bundeshaushalts berücksichtigen.

Scholz fürchtet Klage nicht


Auch Rehberg ließ aber Sympathie
für Altmaiers Vorstoß erkennen: Jetzt
sei der richtige Zeitpunkt, um einen
Pfad für den vollständigen Abbau des
Solis zu vereinbaren. „30 Jahre nach
dem Mauerfall brauchen wir eine
Perspektive für das Ende des Solis.
Dafür sprechen starke verfassungs-
rechtliche Gründe.“
Denn viele Verfassungsrichter und
Juristen hegen Zweifel, ob das Gesetz
des Finanzministeriums verfassungs-
konform ist. Den Soli trotz des Aus-
laufens des Solidarpakts II für den
Aufbau Ost einfach über 2020 hinaus
weiterzuführen könnte im Fall einer
Klage vom Bundesverfassungsgericht
einkassiert werden.
CSU-Politiker Michelbach warnte
denn auch davor, den Gesetzentwurf
von Scholz „übereilt durch das Kabi-
nett zu boxen“, bevor nicht alle ver-
fassungsrechtlichen Fragen geklärt
seien. „Der Versuch, sachfremden
Zeitdruck zu entfalten, wie Scholz es
jetzt erneut mit einem Gesetz ver-
sucht, wäre eine schwere Belastung
nicht nur für den Gesetzgebungspro-
zess, sondern auch für die Koalition.“
FDP-Chef Christian Lindner nannte
Altmaiers Vorschlag „Augenwische-
rei“. Noch mindestens zwei Bundes-
tagswahlen sollten die Menschen
wählen, bis der Solidaritätszuschlag
vollständig entfalle. „Das ist typisch
CDU“, sagte Lindner. „Vor den Wah-
len, diesmal vor zwei Wahlen, wird
etwas versprochen. Und nach den

Wahlen wird davon nichts gehalten.“
Altmaier habe eingeräumt, dass die
Modelle, den Soli nicht für alle abzu-
schaffen, verfassungswidrig seien, so
Lindner. „Also muss er auch die Kon-
sequenz ziehen, den Soli schnellst-
möglich und für alle abzuschaffen.“
Scholz räumt allerdings einer von der
FDP angekündigten Verfassungsklage

wenig Chancen ein: „Meine Prognose
ist: Das wird nichts“, sagte er bei ei-
ner Veranstaltung im Bundesfinanz-
ministerium.

Teure Entlastung für alle


Der Finanzminister rechnet in sei-
nem Entwurf für das Jahr 2021 mit
Einnahmeausfällen von 9,8 Milliar-
den Euro, die bis 2024 auf 12,1 Milliar-
den ansteigen. Bei einer Bürgerfrage-
stunde am Sonntag rechtfertigte
Scholz den Plan, den Soli nur für 90
Prozent der Zahler abzuschaffen.
Würden alle entlastet, entgingen dem
Staat weitere elf Milliarden Euro, sag-
te er.
Bei der in Altmaiers Konzept vor-
gesehenen Freibetragsregelung kä-
men auf den Bund im Jahr 2021 Ein-
nahmeausfälle von 12,8 Milliarden
Euro zu – also drei Milliarden Euro
mehr als im Scholz-Entwurf. 2026
würden dem Staat dann mehr als 25
Milliarden Euro entgehen.

Solidaritätszuschlag


Rückendeckung für Altmaier


Wirtschaft und Teile der


Union begrüßen den Soli-Plan


des Wirtschaftsministers. Der


Finanzminister widerspricht.


Wirtschaftsminister
Altmaier: Steuerlast
der Firmen senken.

imago images / photothek

Solidaritätszuschlag


Steuereinnahmen in Mrd. Euro


18,9 Mrd. €


HANDELSBLATT


1995 2018


Quelle: Destatis

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MONTAG, 19. AUGUST 2019, NR. 158


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