Handelsblatt - 19.08.2019

(Elle) #1

Franz Hubik München


M


ehr als 3 000 Opel-Mitarbeiter in
Rüsselsheim packen derzeit eifrig
jede Menge Umzugskartons. Bis
zum 20. August müssen sie ihren
Arbeitsplatz räumen und bekom-
men einen neuen zugewiesen. Der Grund: In den
Büros und Werkshallen, in denen die Ingenieure
und Facharbeiter bisher tätig waren, residieren
künftig die Beschäftigten einer anderen Firma. Der
französische Entwicklungsdienstleister Segula
übernimmt planmäßig Anfang September gut 20
Gebäude, 120 Motoren- und Rollenprüfstände so-
wie 690 Beschäftigte von Opel.
Die beiden Unternehmen werden somit zu stra-
tegischen Partnern und entwickeln in Zukunft teil-
weise gemeinsam Fahrzeuge. Gleichzeitig gilt es,
sich schon optisch klar voneinander zu separieren.
„Für die Abgrenzung der Gelände und Zugänge hat
die Einrichtung zusätzlicher Tore des Werkschut-
zes begonnen“, informieren die Opel-Facility-Ma-
nager die Belegschaft: „Wo die Geheimhaltung von
Opel-Prototypen nötig ist, wird Sichtschutz ange-
bracht“, heißt es weiter in der internen Kommuni-
kation, die dem Handelsblatt vorliegt.
Damit nicht genug, verlaufen neuerdings dicke
gelbe Bodenmarkierungen quer durch das weitläu-
fige Areal von Opel an seinem Stammsitz. Spöttisch
wabert bereits der berühmte Satz von Walter Ul -
bricht über die Flure, der den DDR-Staats- und
-Parteichef als Lügner entlarvte: „Niemand hat die
Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Nun wird zwar
in Rüsselsheim unzweifelhaft das Verbindende vor
das Trennende gestellt – auch 30 Jahre nach dem
Fall der Berliner Mauer. Aber einen Zaun zwischen
dem, was Opel gehört, und dem, was künftig zu Se-
gula zählt, soll es dann doch geben.
Die neue Grenze mitten durchs Werksgelände ist
wohl das sichtbarste Zeichen der fortdauernden
Restrukturierung bei Opel. Seit der französische
Automobilkonzern PSA (Peugeot, Citroën, DS) den
über zwei Dekaden chronisch defizitären Fahr-
zeughersteller aus Hessen im Sommer 2017 über-

nommen hat, wurde der Abbau von 6 800 Stellen
besiegelt. Und trotz eines Gewinnsprungs im ers-
ten Halbjahr von 40 Prozent auf ein bereinigtes Be-
triebsergebnis von 700 Millionen Euro denkt das
Management keineswegs daran, die Sanierungsar-
beiten zu beenden. Im Gegenteil.
„Es geht kontinuierlich weiter. Wir können und
werden noch viel mehr optimieren, denn wir sind
längst noch nicht da, wo wir hinmüssen“, sagte
Markenchef Michael Lohscheller dem Handelsblatt
erst im Juli. Jetzt folgen seiner Ankündigung Taten.
Denn allein im Stammwerk in Rüsselsheim sum-
miert sich der Personalüberhang nach Handels-
blatt-Informationen aus Konzernkreisen aktuell auf
mehr als 600 Mitarbeiter. Handlungsbedarf besteht
in den Bereichen Warenverteilzentrum, Getriebe-
werk, Schmiede, Werkzeugbau und Presswerk.
„Spekulationen kommentieren wir grundsätzlich

nicht“, erklärte ein Opel-Sprecher zu den Sparvor-
haben in Rüsselsheim wortkarg.
Sicher ist: Als erste Sofortmaßnahme wird das
Warenverteilzentrum am Opel-Stammsitz zurecht-
gestutzt. Von 300 Stellen bleiben lediglich 100 üb-
rig. Wie genau die Jobs abgebaut werden sollen,
steht noch nicht endgültig fest. Weil betriebsbe-
dingte Kündigungen ausgeschlossen sind, will Opel
aber „vor allem auf Maßnahmen wie interne Ver-
setzungen und auch das Insourcing von Tätigkeiten
zurückgreifen“, erklärte ein Konzernsprecher. Et-
was weniger als die Hälfte der 200 Stellen, die in
Rüsselsheim wegfallen, könnte so nach Bochum
wandern. Dort lagert Opel Millionen von Ersatztei-
len und nutzt den Standort als Drehscheibe, um
seine Händler mit Komponenten zu versorgen.
Für die Beschäftigten in Bochum dürfte das avi-
sierte Stühlerücken einen hohen Preis haben. Opel

Großbaustelle


Rüsselsheim


Trotz Gewinnsprung restrukturiert Opel-Chef Lohscheller eifrig weiter.


Der nächste Stellenabbau steht bevor. Am Stammsitz des Autobauers


summiert sich der Personalüberhang in Teilelager, Getriebewerk,


Schmiede, Werkzeugbau und Presswerk auf mehr als 600 Mitarbeiter.


Opel


Michael Lohscheller (r.) in Rüs-
selsheim: Der Opel-Chef treibt
den Umbau weiter voran.

Unternehmen


& Märkte


MONTAG, 19. AUGUST 2019, NR. 158


18

Free download pdf