Handelsblatt - 19.08.2019

(Elle) #1

CAR-Analyse


„Macht Sinn, in


Deutschland


abzubauen“


O


pel steht derzeit wie der Rest der Auto-
branche enorm unter Druck. Der Absatz
an Neuwagen ist rund um den Globus
rückläufig. Allein in diesem Jahr dürfte der Welt-
automarkt um fünf Prozent schrumpfen. Besse-
rung ist nicht in Sicht. Viele Hersteller und Zulie-
ferer reduzieren daher ihre Produktionskapazitä-
ten und sparen an allen Orten. PSA-Chef Carlos
Tavares ist in puncto Effizienz der Vorreiter in
der Industrie. Keiner ist besser darin, Kosten zu
killen. Während einstige Margenkaiser wie Daim-
ler und BMW sich zuletzt mit erodierenden Ge-
winnen herumschlagen mussten, glänzte PSA im
ersten Halbjahr mit einer operativen Umsatzren-
dite von 8,7 Prozent.
Um die Deckungsbeiträge konstant hoch zu
halten, will Tavares das Verhältnis von Umsatz zu
Personalausgaben (wages to revenue) bis 2021 in
der Autodivision des französischen Konzerns auf
zehn Prozent drücken. Zum Vergleich: 2018 lag
dieser Wert noch bei 11,1 Prozent über alle Auto-
marken (Peugeot, Citroën, DS, Opel) der Franzo-
sen hinweg. Der größte Hebel, um Kosten zu sen-
ken, besteht für Tavares bei der deutschen Toch-
ter Opel. Die Rüsselsheimer und ihre britische
Schwestermarke Vauxhall hatten im vergangenen
Jahr noch ein Verhältnis von Umsatz zu Personal-
ausgaben von 12,6 Prozent ausgewiesen.
Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Au-
tomotive Research (CAR) ist daher überzeugt,
dass die Sanierung von Opel noch zu einem deut-
lich größeren Personalabbau führen wird als bis-
her bekannt. „Ende des Jahres 2021 würde nach
unseren Analysen Opel-Vauxhall gerade noch
26 100 Beschäftigte aufweisen – das sind 11 300
Beschäftigte weniger als bei der Übernahme
durch PSA“, sagte Dudenhöffer dem Handels-
blatt. Der Professor für Betriebswirtschaftslehre
unterstellt bei seinen Berechnungen, dass Opel
im Jahr 2021 nur noch ein Verhältnis von 10,
Prozent bei Erlösen zu Lohnkosten ausweisen
darf, um die Ziele von PSA zu erreichen.
Um mehr Beschäftigte zu halten, müsste Opel
laut Dudenhöffer ein höheres Umsatzwachstum
erzielen, also mehr als drei Prozent pro Jahr. „In
dem eng umkämpften europäischen Automarkt
ist dies in den nächsten Jahren nach unserer
Einschätzung nicht möglich“, konstatiert der
CAR-Experte. Weil eine Arbeitsstunde in der Au-
toindustrie hierzulande im Branchenschnitt fast
53 Euro koste und in Frankreich nur 40 Euro,
stünden die Opel-Mitarbeiter längerfristig unter
immensem Kostendruck. „Es macht für Tavares
viel Sinn“, analysiert Dudenhöffer, „in Deutsch-
land zusätzlich abzubauen.“ Franz Hubik

Opel/Vauxhall: Weniger Autos – mehr Gewinn


HANDELSBLATT 1) EU und Efta; 2) Ende 2019: 800 Mitarbeiter; 3) 2019 • Quellen: ACEA, Unternehmen

6,8 6,6 6,
6, 1
5,

2014 2015 2016 2017 2018


Pkw-Neuzulassungen: Marktanteil
in Europa in Prozent

Betriebsergebnis
im 1. Halbjahr
in Mio. Euro

DDeutschlandD Polen
Gliwice
2 890
Tychy
480
Aspern
1 3302

Rüsselsheim
14 180

Eisenach
1 400

Szentgotthard
1 200

Saragossa
5 170

Ellesmere Port
1 470

Luton
1 240

ÖsterreichÖsterreichÖsterreiÖsterreichch

Ungarn

Spanien

Großbßbbritanannienan

Opel-Mitarbeiter 2018 in Europa
nach Standorten

502


2018


700


2019


Kaiserslautern
1 700

heißt es in Konzernkreisen. Zumindest alle Neuein-
gestellten könnten demnach statt Metalltarifverträ-
gen bald Logistiktarifverträge erhalten. Der Vorteil
dabei für das Unternehmen: viel geringere Lohn-
kosten. Der Gewerkschaft liegt dazu zwar noch
kein konkretes Ansinnen des Managements vor,
aber Volker Strehl von der IG Metall in Bochum
verweist vorsorglich schon mal darauf, dass es ei-
nen bestehenden Tarifvertrag gibt. „Da haben wir
bereits Zugeständnisse gemacht“, sagt Strehl. Für
neue Forderungen hätte er wenig Verständnis.
Hintergrund der Umstrukturierungen in den bei-
den Opel-Teilelagern ist die sukzessive Integration
der Marke mit dem Blitz in das Logistik- und Ver-
triebssystem der Konzernmutter PSA. Unter der
Marke „Distrigo“ arbeitet PSA allein in Deutschland
mit 15 externen Dienstleistern zusammen, um Au-
tohäuser und Kfz-Werkstätten mit Ersatzteilen, Zu-
behör, Reifen, Werkzeugen oder Verbrauchsstoffen
auszurüsten. Statt alle Händler weitgehend zentral
wie bisher aus Bochum zu beliefern, sollen diese
ab Januar 2020 verstärkt über die Distrigo-Hubs in
den einzelnen Bundesländern versorgt werden.
Das Warenverteilzentrum in Bochum könnte da-
mit an Bedeutung verlieren und mittelfristig zusätz-
lich unter Druck geraten. Schließlich muss sich der
Standort im Ruhrgebiet neuerdings mit dem PSA-
Teilelager im französischen Vesoul vergleichen. Bei
der Gegenüberstellung der Kosten soll der Ruhrge-
bietsstandort deutlich schlechter abschneiden und
könnte weiter ins Hintertreffen geraten, heißt es in
Konzernkreisen. Denn in Vesoul hat PSA der Beleg-
schaft zuletzt offenbar eine Erhöhung der Wochen-
arbeitszeit um etwa eine halbe Stunde abgetrotzt –
ohne zusätzliches Entgelt, versteht sich.
Die größte Baustelle bei Opel bleibt aber Rüssels-
heim. Während das Teilelager zusammengestri-
chen wird, stehen konkrete Einschnitte andernorts
noch aus. Die Sparpläne zeichnen sich auch in wei-
teren Bereichen ab. So soll das Getriebewerk
schrumpfen, leidet es doch unter Überkapazitäten.

Im Werkzeugbau wackeln Hunderte Stellen, der
Bereich dürfte verkleinert werden. Im Presswerk
und in der Schmiede sind zudem aktuell keine neu-
en Investitionen vorgesehen. Eine Hatebur-Anlage,
die zum Härten und Schmieden von Kurbelwellen
oder Zahnrädern genutzt wird, könnte sogar aus
Rüsselsheim in das französische PSA-Werk in Mul-
house (Mülhausen) nahe der deutschen Grenze
verlagert werden. Die Entscheidung dazu fällt wohl
Mitte September, verlautet aus Konzernkreisen.
Ein Opel-Sprecher wollte sich dazu nicht im De-
tail äußern. In Hessen arbeite man aber „intensiv“
daran, den Fahrzeughersteller nachhaltig erfolg-
reich aufzustellen: „Hierzu sind wir in einem konti-
nuierlichen Austausch mit unseren Sozialpartnern“,
erklärte der Sprecher. In den nächsten Wochen ste-
hen bei Opel abermals harte Verhandlungen bevor.
Eskalationsgefahr: hoch.


Kommentar Seite 28



Es geht


kontinuierlich


weiter.


Wir können


und werden


noch viel


mehr


optimieren.


Michael Lohscheller
Ópel-Chef

Fertigung in Rüssels-
heim: Opel forciert
die Kooperation mit
dem Entwicklungs-
dienstleister Segula.

Bloomberg, Getty Images News/Getty Images (2)


Arbeiter bei Opel:
Nach der Kürzungs-
welle könnte ein
weiterer Abbau von
Jobs drohen.

Unternehmen & Märkte


MONTAG, 19. AUGUST 2019, NR. 158


19

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