Berliner Zeitung - 19.08.2019

(Rick Simeone) #1

Stadtgeschichte


10 Berliner Zeitung·Nummer 191·Montag, 19. August 2019 ·························································································································································································································································································


Regional&historisch


VorhistorischerKulisse im altehrwürdigenPaulikloster
bieteneinWochenendelangmehrals74Erzeuger,Klein-
händler,Züchter und KleinbetriebeFeines,Besonderes
undRegionalesfeil.DasArchäologischeLandesmuseum
Brandenburgunterstützt alsGastgeber des 7.Branden-
burger RegionalmarktdieFörderungdesWissensumdie
Herkunft,HerstellungunddieQualitätderProdukte.Der
Marktmacht denBesucherndas Angebot,Genuss mit
bewusstemKonsumieren und demGedanken desKul-
turerhaltszuverbinden.



  1. Regionalmarkt imPaulikloster,Archäologisches Museum, Branden-
    burg/Havel, 14. und 15. September,jeweils 10 bis 17 Uhr


DAS IST


KiezgeschichteOst


DieSichtaufeineStadtistimmersehrpersönlich.Inei-
nerLesereiheimSalonEphraimstellenAutorinnenund
Autoren in der schönenKulisse desSalons im Museum
Ephraim-PalaisihreSichtenvor.DiesmalzuGast:Hanno
Hochmuth mit seiner umfangreichenStudie „Kiezge-
schichte:FriedrichshainundKreuzbergimg eteiltenBer-
lin“.DerAutorist MitkuratorderAusstellung„Ost-Berlin.
DiehalbeHauptstadt“,diederzeitim Ephraim-Palaisge-
zeigtwird.DerHistorikersprichtüberdieWandlungder
traditionellenArbeiterbezirkezubeliebtenWohnlagen.

Kiezgeschichte Ost-Berlin,Lesung mitAutor Hanno Hochmuth, 4. Sep-
tember,18Uhr,Salon Ephraim, mehr unter [email protected]

DAS KOMMT


GroßerWall–KreuzberginSpandau


3000QuadratmeterKreuzberg,unbewohntunddichtan
dicht vonBäumen bestanden?MenschenleereWildnis.
Gibtsnicht?Gibtsdoch–allerdingsineinigerEntfernung
vomKreuzbergerFestland, gewissermaßen alsExklave.
DieInselGroßerWallliegtinderHavelnördlichderWas-
serstadtbrücke inSpandau. Siemisst an der längsten
Stelle90 Meterundanderbreitesten45Meter.Dassdie
ovaleFlussinselnichtzumBezirkSpandau(OrtsteilHa-
kenfelde)gehört,wiedieGeographienahelegt,sondern
vomBezirkFriedrichshain-Kreuzbergverwaltet wird,
liegtanderjüngerenGeschichte.DasJugendamtdesIn-
nenstadtbezirks betrieb hier die Zelterholungsstätte
GroßerWall,Teil des Kinder-und Jugenderholungsfrei-

DAS WAR


zeitheimsHausEuropaam Uferdes TegelerSeesin Kon-
radshöhe,dasseit1999inderTrägerschaftdesKreuzber-
gerStadtteilzentrums„AlteFeuerwachee.V.“steht.Dass
die Spandauer Insellage gute Fischzüge versprach,
wussteschondieslawischeBevölkerungvor1000Jahren.
DieFischersozietät Tiefwerder-Pichelsdorfnutzt die
Fangplätzetraditionell.DerNameGroßerWallistmilitä-
rischen Ursprungs:Einst gehörte dieInsel zumSpan-
dauerFestungsbereich.DieGarnisonnutztesiebisEnde
des19. JahrhundertsfürÜbungen.GenutztwurdedieIn-
sel auchvonder SiedlerkolonieSaatwinkel, die im 18.
Jahrhundertgegründet wurde.Erster Pächter war der
SaatwinklerGastwirtPaulMeyer(1883–1913).(mtk.)

Berlininschwäbisch-fränkischerHand


VoneinerBurganderStarzelausexpandiertendieHohenzollerngenEuropa.AusgerechnetdiemärkischeStreusandbüchsewurdeihrebedeutendsteEroberung


VonMarittaTkalec

A

delkommtvon„edel“,von
derWortherkunft betrach-
tet. Über das selbstbe-
hauptete Edelsein des
Adels lachen in einer aufgeklärten
Gesellschaft die Hühner,und doch
steckt imVolke allerorten die merk-
würdigeBereitschaft, demAdel et-
wasBesonderes zuzuerkennen.Es
solletwasmitBlutzutunhabenund
mitGottgegebenheit.Auchdasistlä-
cherlich,aberaufdieserGrundlage
existierteine ziemlichgeschlossene
sozialeSchichtvorsichhin.
Mitder Weimarer Verfassung
wurden vorgenau 100 Jahren dem
Adeldieöffentlich-rechtlichenPrivi-
legien genommen. „Adelsbezeich-
nungen gelten nur noch alsTeil des
Namens“,sagtArtikel123.Dochder
Satz „Der Adel ist abgeschafft“, der
beider AusarbeitungderVerfassung
erwogen wurde,fand keinenEin-
gang–andersalsinÖsterreich.Dort
schufVolkesWille flugsErsatz: Statt
Herr vonSowienoch heißt es dort
nunHerrMagister,FrauHofrat...
InBerlinwerdendie Adeligensel-
tener auffällig als amStarnberger
See,aberdieserTageerinnernmate-
rielleForderungenderHohenzollern
daran, dass 500Jahrelang hierzu-
lande Hochadel mehr oderweniger
schlechtregierteundheutevielesfür
sein Eigen hält, was die Landeskin-
dererarbeitethaben.Vielehaltendie
HohenzollernfürPreußen.Siebetra-
ten im Jahr 1111 die überregionale
politische Bühne und hielten sich
dortbis1919. Aberwoherkamensie
undwiesosie–dieHohenzollern?


FauleGretebezwingtLandadel

Als Ausgangspunkt des späterweit-
verästelten dynastischen Myzels
steht dieBurg Hohenzollernauf ei-
nem Felskegel in 855MeternHöhe
amRandderSchwäbischenAlb.Die
Leute waren also Schwaben.Ihre
Burg geht auf dieZeit um 1000 zu-
rück. MönchBerthold vonder Rei-
chenauerwähnte1061erstmalsMit-
gliederderFamilie:Burchardusund
Wezil „deZolorin“. DerenVorge-
schichte ist unbekannt. „Castro
Zolre“findet1267erstmalsschriftli-
cheErwähnung.1111verliehSalier-
KaiserHeinrich V. demZollernFried-
rich I. Grafenrechte.Der erste einer
FolgeselbenNamenstratalsaktiver,
kaisertreuerHöflingauf.SeineNach-
kommen belegten zielstrebig Ämter
inReichund Kirche,hieltensichge-
schmeidig anStaufer,Habsburger
und Luxemburger,die in folgenden
Jahrhunderten die römisch-deut-
schenKönigeundKaiserstellten.
Diehiervoralleminteressierende
brandenburg-preußische Linie der
Hohenzollernentwickelte sich aus
demfränkischenFamilienzweig.Die-
serentstand,als1192einHohenzol-
ler (auch dieser nannte sichFried-
richI.)mitderBurggrafschaftNürn-
bergbelehnt wurde.Der Zweig
reckte sich genNorden, als er 1415
das LehenMark Brandenburger-
hielt.Daskamso:
DieRegion hatte nach demAus-
sterben der christlichen Eroberer


Brandenburgs aus askanischem
Haus100 JahrelangWirrenundGe-
walt durchlebt.Herzöge ausPom-
mern, Sachsen,BöhmenundBayern
rangenumdieHerrschaft.Marodie-
rendeGruppenvonLandadligenzo-
gen plündernd umher,störten als
WegelagererdenHandelundforder-
ten Schutzgelder ein. Ohne den
Schutz eines starken Landesherren
organisiertendiemärkischenStädte,
darunterBerlin, ihr eSelbstverteidi-
gung.1323schlossen22Städteeinen
Bund zur Erhaltung des Landfrie-
dens.
Denrömisch-deutschen Hoch-
adelinteressierteanBrandenburgvor
allemdieandieLandesherrschaftge-
bundeneKurstimme–alsodas Privi-
leg, bei derWahl des deutschen Kö-
nigs mitzureden. AusVerzweiflung
überdieanarchischeZeitder Fehden
zogimJ ahr1411einemärkischeGe-
sandtschaftzuKönigSigismundund
erbatHilfegegendieLandadelsplage.
DersetztedenHohenzollerFriedrich
VI.vonNürnber gzunächstzumerbli-
chen Hauptmann undVerwalter der
Mark Brandenburgein. Warumdie-
ser? DerKönig dankteFriedrich für
die Unterstützung bei der Königs-
wahl am 20. September 1410 in
FrankfurtamM ain.
DerHohenzollergriffdurch.
verk ündeteerinBrandenburgand er
HavelseinProgramm:Eswerde„das

Recht gestärkt und dasUnrecht ge-
kränkt“. DieMittel: Diplomatie,
BündnissemitStädtenundKlerus–
plusWaffengewalt.FriedrichließKa-
nonen gießen; die Anführer der
Adelsfehden, die berüchtigtenQuit-
zows,befestigten ihreBurgen Frie-
sack, Plaue,Golzow und Beuthen.
Doch Friedrich fuhr die Superka-
none jenerZeit, die „FauleGrete“,
vordieMauern. Diefielen.
Am20.März1414beriefFriedrich
denLandtagnachTangermündeein.
Diegut befestigteStadt an derElbe,
zuvor Zweitsitz Kaiser Karl IV., hatte
derHohenzollerzurerstenResidenz
derneuenDynastieinBrandenburg
erkoren. Dortverkündete er die
Landfriedensordnung,verpflichtete
die Städte zu gegenseitigem Bei-
stand, erklärte dieUrteile ordentli-
cher Gerichte fürverbindlich. 1415
verlieh ihm König Sigismund die
Markgrafenwürde,auch als Aner-
kennung für dasWiederherstellen
derOrdnung.
Nach FriedrichsSieg gegen die
Raubritter begann dieBesitzsiche-
rung. DerGrundstein war gelegt,
dass Brandenburg-Preußen –auf
lange Sicht –eine„funkelnagelneue
europäischeGroßmacht“vonwelt-
geschichtlicherBedeutungwerden
sollte,wie es derAutor Sebastian
Haffner500JahrespätervomErgeb-
nisherbetrachtete.AlsPrinzipblieb

der Dualismus vonhochgerüstetem
Militärundimmerwiederpraktizier-
ter Toleranz und Bescheidenheit.
DasGemeinwohlimBlickzubehal-
tengaltvielenderHohenzollernfürs-
ten als löblich. LangeZeit waren
vieleLeutestolzaufdiepreußischen
Tugenden.
Zunächst aber hattenFriedrichs
Söhne,erst Johann, dannFriedrich
II.mit Hussiten-Einfällenundweiter
heftigerRaubkriminalität zu kämp-
fen. Friedrich II., genannt Eisen-
zahn,wendetedasSchicksalBerlins:
Er machte die Stadt zu seiner Resi-
denz, nutzte interne Machtkämpfe
zwischenden Bürgern, um sich sel-
ber festzusetzen und zwang der
StadtseinSchlossauf.Eisenzahnbe-
endete Berlins Dasein alsHandels-
platzprivilegierterPatrizier.
NunzogenfränkischeHöflingezu,
die einen eigenartigenDialekt spra-
chen,sichaffektiertbetrugenundan-
dereBedürfnisse als dieKaufleute
entwickelten.Händlerfamilienzogen
weg,die Handwerkerstelltenaufhö-
fischeNachfrageum.FränkischeRäte
richteteneineneueVerwaltungein–
Rechnungswesen undBuchführung,
fürStaatsdienerfesteGehälter.

„Vom Felszum Meer“
ZurSelbstaufwertung konstruierten
sich die folgenden Fürsten, einer
Sitte der Renaissance folgend, eine
legendäreAbstammung.Sienann-
tensichAlbrechtAchilles,JohannCi-
cero, Joachim Nestor,Joachim Hec-
tor,nannten sich also nach römi-
schen und trojanischenVorbildern.
NachgermanischenWurzelngruben
sie jedenfalls nicht. 1571 endete
dieseNamenstradition.
Während derReformation war
BrandenburgdereinzigeStaatin Eu-
ropa, der verschiedenereligiöse Be-
kenntnissenebeneinandererlaubte.
Gleichwohlriss der Dreißigjährige
Krieg das Land zuBoden. Doch da-
nachbeganneinAufbruch,denauch
die Fürsten, namentlich derGroße
Kurfürst,eifrigbeförderten.Manver-
besserte durchKanalbau dieInfra-
struktur ,richteteGlashütten ein,
sorgte sich umMehrung derBevöl-
kerung und expandierte–zunächst
mit großerGeduld. Einbesonderer
Coup war Markgraf Albrecht schon
1525gelungen:AlsHochmeisterdes
Deutschen Ordens inPreußen ver-
wandelte er den katholischen Or-
densstaat in dasweltliche Herzog-
tum Preußen und schuf dieKeim-
zelledesspäterenPreußen.
Im 16. Jahrhundertbestimmten
brandenburgische Markgrafen in
höchsten Reichsfürstenämterndie
GeschickeEuropas mit. Albrechts
Verwandter Johann zum Beispiel
brachteeszumRegentendesKönig-
reichsBurgiaanAlgeriensKüsteund
zumVizekönigvonValencia.Hohen-
zollernhattensichvonderSchwäbi-
schen Alp bis an dieOstsee und ins
Mediterrane,vom „Fels zumMeer“
ausgebreitet–sod erim19.Jahrhun-
dertind ieWelt gesetzteSlogan der
Dynastie.Preußens Aufstieg zur
Großmacht nach 1701 ist ein eige-
nes,großes Kapitel. DerUntergang
ebenso.

DER ERSTE HOHENZOLLER IN BERLIN

Erhöhung:Friedrich VI.von
Nürnberg erhielt die bran-
denburgische Markgrafen-
würde am 30.April 1415 auf
dem Konstanzer Konzil. Als
Reichskämmerer war er einer
der sieben einflussreichsten
Fürsten des Reiches.

Zeremonie im Kloster:Die
Huldigung der brandenburgi-
schen Stände fand noch im
selben Jahr am 21. Oktober
in Berlin im Saal des Franzis-
kanerklosters statt. Fortan
hieß er Friedrich I.vonBran-
denburg.

Residenz:Der erste Hohen-
zoller regierte zunächstvon
Tangermünde aus. Seit Sohn
Friedrich II.,genannt Eisen-
zahn,verlegte die Residenz
in die aufstrebende, strate-
gischverheißungsvolle Dop-
pelstand Berlin/Cölln.

Friedrich I. wird von König Sigismund mit der MarkBrandenburg belehnt und zumKurfürsten erhoben. Szene in einer zeitgenössischen Miniatur WIKIPEDIA/KÄNSTERLE

Burg Hohenzollerninder Schwäbischen Alb, neogotisch, inFamilienbesitzWIKI/CC BY-SA 3.
Free download pdf