Berliner Zeitung - 19.08.2019

(Rick Simeone) #1

Linkewehrt


sichgegen


Vorwürfe


Schubertverteidigt
WohnungsbaugegenKritik

VonStefan Kruse undAnna Ringle

B


erlins Linke-VorsitzendeKatina
Schuberthat sich gegen Kritik
der Koalitionspartner SPD und
Grüne gewehrt, ihrePartei messe
demWohnungsbauzuwenigBedeu-
tung bei. „Die Linke bremst nicht“,
sagte Schubertder Deutschen
Presse-Agentur.Ganz im Gegenteil:
Unter Verantwortung der zuständi-
gen Senatorin Katrin Lompscher
(Linke)seienindenletztenJahrenso
viele Wohnungenwie schon lange
nichtmehrgebautworden.Unddas
geheauchweiter.
„Aber das alleine kann es eben
nicht sein“, so Schubertweiter.„Es
istebennichtso,dassmannurmög-
lichst viele Wohnungen auf den
Marktschmeißtund dann die Mie-
tensinken.SofunktioniertderWoh-
nungsmarkt nicht.“ DerMarktme-
chanismusvonAngebot und Nach-
fragekommebeiWohnungenschon
deshalb nicht zum Tragen, weil
GrundundBodenbegrenztundda-
hernichtbeliebigvermehrbarseien.
„Und deswegen sagen wir,Neu-
bauistgenausowichtigwieeineSta-
bilisierung der Mieten oder eine
Senkung,dawoesnotwendigist“,so
Schubert.„Deswegenwollenwirden
Mietendeckel.“

LinkefürEnteignung
WeitereSäulenderWohnungspolitik
ihrer Partei seien Verdichtungskon-
zepte–etwaWohnungsbauüberSu-
permärktenoderGaragen–undder
Ankauf durch kommunale Gesell-
schaften.DieLinkeunterstützeauch
die Enteignunggroßer Unterneh-
men, die Wohnungenals Handels-
warebetrachtetenund rein rendite-
orientiertwirtschafteten.
SPD,LinkeundGrünehabenlaut
Koalitionsvertrag bis 2021 das Ziel,
etwa 30000 zusätzlichekommunale
Wohnungenzubauen.DasZielwird
wohl mit 26000 bis dahin gebauten
Wohnungen verfehlt. Da der Druck
durch steigendeMieten und anhal-
tenden Zuzug aber wächst,wächst
dieUnruheinderKoalition.
So hatt eder Regierende Bürger-
meisterMichaelMüller (SPD)vor
knapp vierWochen die Verabschie-
dung desStadtentwicklungsplanes
Wohnen2030(Step)gestopptundso
Linke undGrüneverärgert. Senato-
rinLomps cher hat in ihrerVorlage
auch dasZiel verankert, bis 2030
etwa 200000 Wohnungen in der
Hauptstadtzubauen.Mülleristdas
angesichtsderwachsendenEinwoh-
nerzahl aber zuwenig ambitioniert.
ErforderteNachbesserungen.
SchubertkritisierteMüllersVor-
gehen.„EsmachtkeinenSinn,mal
ebennocheinpaarweitereEntwick-
lungsgebiete auszuweisen“, sagte
sie.„Denndadurchbekommenwir
nochlangenichtmehrPlaner,Inge-
nieureoderBaufirmen.“Momentan
seiderMarkthierquasileergefegt.
„Das ist nichts,was man aus dem
Hutzaubert.“ Schubertzufolge ist
derStepWohnen2030 amkommen-
den Dienstag wieder auf derTages-
ordnung imSenat.„Ich gehe davon
aus,dasserdannbeschlossenwird.“
DemVernehmennachwurdeam
Entwurfselbst nichts geändert.Er
soll aber durcheine Besprechungs-
unterlage ergänztwerden, au fder
Maßnahmenzur Beschleunigung
desWohnu ngsbausaufgelistetsind.
Schuber tzufolge arbeitetdie
Linke darüber hinaus amEntwurf
fürein „Bodensicherungsgesetz“.
„Zieli st,dassöffentlicherGrundund
Bodennicht mehr verk auft wird,
sondernallenfallsauchanPrivat ein
Erbpacht verg ebenwird.“Auf diese
WeiseseidieVerfügbarkeitfürdieöf-
fentlicheHandimmergegeben, was
Spekulationeneindämmensolle.
MitSPD undGrünensei dies
nicht abgestimmt.„Aberich wüsste
nicht, wasvon Seiten derKoalition
dagegensprechen würde.“(dpa)

DurchdenRegenzumMinister


BeatmungspatientenausganzDeutschlandprotestierenvordemGesundheitsministeriumgegenReformpläne


VonKerstin Hense

S


ie drücken dieHupen ihrer E-
Rollstühle und haltenTranspa-
rente hoch.Diemeisten Demons-
tranten, die sich am Sonntag vor
dem Gesundheitsministerium ver-
sammeln,könnensichnichtanders
artikulieren,weil sie schwer krank
sind,keineStimmemehrhabenund
alsSpätfolgeeinesUnfallsbeispiels-
weise beatmetwerden müssen.Sie
sind aus ganzDeutschland gekom-
men,umgegendieReformplänevon
JensSpahnzuprotestieren,undha-
ben denTagder offenenRegierung
für sich genutzt, um auf ihreMisere
aufmerksamzumachen.

Waskaum jemandweiß: Nach
den neuen Gesetzesplänen sollen
Beatmungspatienten nur noch in
Ausnahmefällen eineIntensivpflege
in der eigenenWohnung erhalten
und künftig in Pflegeeinrichtungen
versorgt werden. DerVerein Ability
Watch, der zu demProtest aufrief,
schreibt auf seinerHomepage:„Der
Gesetzesentwurfmissachtet die
Würde vonMenschen, dringt in ih-
renAlltageinunddiskriminiertsie.“
So sieht das auchBarbaraCarus.
Die62- jährige Berlinerinsiehtdurch
die Novelle ihr eSelbstbestimmung
inGefahr.„Bevo richins Heimgehe,
möchte ich lieber gleich sterben“,
sagtBarbaraCarus .Wennsiespricht,

hörtess ich an, als würde sie lallen.
SieerhieltvorzweiJahrendienieder-
schmetternde Diagnose ALS. Die
amyotropheLateralsklerosezerstört
ihreMuskulatur und nimmt ihr die
Stimme.Tagsüber und auch nachts
muss die Schwerkranke stunden-
weisebeatmetwerden.
Zusammen mit etwa 300 De-
monstranten harrtBarbaraCarus
amSonntagvordemMinisteriumim
Regen aus .Nach zweiStunden ge-
langtsiedochnochhineinundtrifft
sogar denGesundheitsminister.„Er
hat mirversprochen, dass er sich
kümmernwirdund ich zuHause
bleibenkann.“FürBarbaraCarusist
daseinersterErfolg.

Jens Spahn spricht mit der schwer
kranken Barbara Carus. BLZ/WÄCHTER

POLIZEIREPORT


Vier Verletzte beiKellerbrand.
Etwazwei Stundenbrauchten
30Feuerwehrleute,bissieamSonn-
abendabendeinenKellerbrandin
Neuköllngelöschthatten.VierBe-
wohnerdesEinfamilienhausesinRu-
dowwurdendurchdenRauchver-
letzt,zweikameninsKrankenhaus,
teilteeinFeuerwehrsprechermit.Die
beidenanderenwurdenambulant
versorgt. DiePolizeiermittelt.


Jugendlicher verprügelt.
EineGruppevonetwa15 Jugendli-
chenhatamSonnabendinKöpenick
einen16-Jährigenverprügeltund
ihmdreiZähneausgeschlagen.
SeinePlatzwundenamKopfund
seinePrellungenmusstenineinem
Krankenhausversorgtwerden.Laut
Polizeiistbislangnichtbekannt,ob
TäterundOpfersichkannten.


Schwer verletzt nach Sturz in Bus.
BeieinemBremsmanövereines
BussesderLinieM27istamFreitag
inGesundbrunneneine67-Jährige
indem Fahrzeuggestürzt,sieerlitt
lebensgefährlicheKopfverletzun-
gen.DerBusfahrerhabeabrupt
bremsenmüssen,weileinschwarzes
AutorückwärtsvonderBöttger-
straßeaufdiePankstraßegefahren
sei,sodiePolizei. DerAutofahrer
fuhrunerkanntweg.


Straßenbahnhaltestelle gerammt.
EinbetrunkenerAutofahreristam
frühenSonntaginWeißenseemitei-
nemFirmenwagenineineStraßen-
bahnhaltestelleinderBerlinerAllee
gefahren.EineAtemalkoholkon-
trolleergabnachPolizeiangabenei-
nenWertvon1,7Promille.DerMann
bliebunverletzt,dieHaltestelle
wurdebeschädigt.DieBerlinerAllee
waretwa1,5Stundenlanggesperrt.


Autos mit Stahlkugeln beschossen.
InCharlottenburgsindam Freitag-
abendStahlkugelnaufAutosabge-
feuertworden. Eineder Kugelnsoll
diehintereScheibeeinesKleinbus-
sesdurchschlagenhaben,teiltedie
Polizeimit.EinelfjährigesKind,das
dortsaß,bliebglücklicherweiseun-
verletzt.InderNähedesTatortsent-
decktendieBeamtendenAngaben
zufolgekurzdaraufdreiMenschen
ineinerBöschung.DiePolizisten
wolleneine27-Jährigedabeibeob-
achtethaben,wiesiemiteinerWaffe
zweiSchüsseinRichtungSaatwink-
lerDammabgegebenhat.DiePolizei
beschlagnahmtediemitStahlkugeln
geladeneDruckgaswaffe.DieFrau
unddieMännerimAltervon17u nd
33JahrenkameninGewahrsam.


Nicht nur zu schnell und betrunken.
EinAutofahreristinCharlottenburg
betrunkenundohneFührerschein
doppeltsoschnellwieerlaubtgefah-
ren.Der32-Jährigewaramfrühen
Sonnabendmit166Stundenkilome-
ternstattdererlaubten80aufder
Bundesautobahn100unterwegs,
teiltediePolizeimit.EineZivilstreife
derAutobahnpolizeiüberprüfteden
Mann,derkeinengültigenFührer-
scheinhatte.EinfreiwilligerAtemal-
koholtestergabdenAngabenzu-
folgeeinenWertvonfasteinerPro-
mille.AußerdemsollderManneinen
falschenNamenangegebenhaben.


Mehrere Menschen beleidigt.
BeiderPolizeisindamWochenende
mehrer eAnzeigen wegenBeleidi-
gungeneingegangen.Ein22-Jähri-
gerseiamSonntagmorgeninFried-
richshainhomophobbeschimpft
undkörperlichattackiertworden.
AmSonnabendbeschimpfteein
Manneine33-Jährige,diekomplett
verschleiertwar,sowieihr evierKin-
derin Tempelhoffremdenfeindlich.
Alsein ZeugeihnzurRedestellen
wollte,flüchteteer.Blutigendeteein
ZwischenfallamFreitaginAlt-Ho-
henschönhausen.NachPolizeianga-
bengriffeinHundebesitzereineFa-
miliezunächstverbalan,anschlie-
ßendhetzteerseinenBullterrierauf
denFamilienvater.DerMannwurde
nichtnurgebissen,derHundehalter
tratundschlugihnobendrein.Der
Angr eiferkamkurzzeitiginPolizei-
gewahrsam.InallendreiFällener-
mitteltderStaatsschutz.(dpa,BLZ)


Berlin


14 * Berliner Zeitung·Nummer 191·Montag, 19. August 2019 ·························································································································································································································································································


Bittelächeln


Zum21.MallädtdieBundesregierungzumTagderoffenenTürundlocktvorallemBerlinbesucheran


VonJulia Haak

D

ie siebenjährige Lilli hat
an der Sicherheitskon-
trolle vordem Kanzler-
amt erst mal eine ganz
wichtigeFrage an dieSicherheits-
beamtinnen. „Warum muss Papa
sich denn woanders anstellen als
Mamaundich?“,willsiewissen.Lilli
istmitihrenElternfüreinpaarTage
aus Nürnbergnach Berlin gekom-
men.AmSonntagwollensiesichdas
Kanzleramt voninnen ansehen –
und das geht nur deshalb,weil ihr
Berlin-AufenthaltundderTagderof-
fenen Tür derBundesregierung zu-
sammenfallen.
Sogehtesoffenbarvielen,dieam
Wochenendevorund in denMinis-
terien und demKanzleramt anzu-
treffen sind.Berlinbesucher schei-
neninderMehrheitzusein,Einwoh-
nerder Stadtsinddeutlichseltener.

Mehrals800Veranstaltungen
Zum21. Malöffnete dieRegierung
die sonstversperrtenBereiche für
die Bürger.Mehr als 100000Besu-
cher nutzen jedesJahr die Gelegen-
heit. Es ist ein großesEreignis mit
mehr als 800Veranstaltungen im
Kanzleramtundden14Ministerien.
Lilli interessiertsich allerdings
erst einmal für dieZettel, die über
denSchleuseneingängenhängen.Es
sind Piktogramme für Männer und
Frauen.Während sich Lilli und ihre
MutterfürdenSicherheitscheckdort
anstellen müssen, wo die schwarze
Figur ein Kleid trägt, wirdihr Vater
gebeten,sichmitanderenMännern
links anzustellen. Dasfindet Lilli
seltsam.DieFraueninU niformsind
allerdingsüberihreFrageentzückt.

Siesagen, dass sie rausfinden
müssen,objemandeineWaffedabei
hat und dassFrauen dieFrauen ab-
tasten und Männer die Männer.
Letzteres leuchtet Lilli zwar nicht
ein, aber dass man keineWaffe zur
Bundeskanzlerinmitnimmt,schon.
Es sind vorallem die kleinen
Dinge,die ganz praktischen, die die
Leute an diesemTaginteressieren.
ImKanzleramtschlendernsiedurch
die Räume und denGarten. Siese-

hensichdenDienstwagenderKanz-
lerin und denHelikopter an.Setzen
sich im internationalenKonferenz-
saalmalprobehalberaufdieStühle,
auch wenn das nicht erwünscht ist.
Diskutieren, warum der eineRaum
großundderanderekleinist.
Vorden Porträts der ehemaligen
BundeskanzlerbleibtLillientgeistert
stehen. Helmut Kohl im blauen An-

zug,Gerh ardSchröderganzinGold
–aber keineFrau. Dabei hatte Lilli
gedacht,Kanzler seien immer,oder
aber zumindest fast immer,Frauen
wieAngelaMerkel.Sokannmansich
irren. Mankann an LillisReaktion
auch etwas anderes ablesen:Nach
fast 14 Jahren mit einerKanzlerin
wächst eineGeneration heran, für
diedasselbstverständlichist.
MitdabeiandiesemTagsindna-
türlich auchMinister undStaatsse-

Wie einPopstar:BeimTagder offenen Tür der Bundesregierung ist Kanzlerin Angela Merkelnatürlich die Hauptattraktion. DPA/MICHAEL KAPPELER

Hohe Sicherheit: Lange Schlangen am Bundesinnenministerium. BERLINER ZEITUNG/WÄCHTER

kretär e–und die Kanzlerin in echt
undnichtalsBild.AlsAngelaMerkel
am Nachmittag die Gäste begrüßt,
sind Hubschrauber undDienstwa-
gen uninteressant.DieGästen zü-
ckenihr eMobiltelefoneundfotogra-
fieren. EinHandyfotovonderKanz-
lerin,dasistschonetwas.
BenachbarteMinisterienmüssen
anderweitig für Spektakuläres sor-

gen. DasBundesinnenministerium
umdie EckehatdieGSG9derBun-
despolizei alsAttraktion desTages
vorgesehen.DiesefälltdannamVor-
mittag aber erst mal aus.Eigentlich
waren gleich dreiDemonstrations-
sprünge derSpezialeinheitvorgese-
hen.Aberesnieselt,undderHimmel
ist bedeckt. So könnten dieFall-
schirmspringer nicht sicher landen,
sagtHerrRebelvonderBundespoli-
zei.Ersteh timAtriumdes Ministeri-
ums und spricht in einMikrofon.
Vielleicht amNachmitt ag,tröstet er
dieAnwesenden.

ZeitraubendeSicherheitskontrolle
Es sind ohnehin nurwenige Besu-
cherindem GebäudedesMinisteri-
ums mit dem burgartigen, abwei-
sendenÄußeren.Eigentlicherstaun-
lich, erstreckt sich dochvorderTür
des Ministeriums eine lange
SchlangewartenderMenschen.
Aber das kann natürlich auch an
der zeitraubendenSicherhe itskon-
trolle liegen, die hier besonders in-
tensivausfällt.Tasche,Jacke,Schirm,
alleswir ddurch leuchtet,Stiefelaus-
ziehen, und dann befühlt eineBe-
amtinjedeFalteinderKleidung.
„GleicheSicherhe itsstufe wie am
Flughafen“, verrät die Polizistin. Al-
lerdings seien sie hier gründlicher,
behauptet sie dann. Dasmag als
Werbung für die eigeneGründlich-
keitgemeintsein.DochimHinblick
auf die nächsteFlugreise wirkt die
Aussag edocheherbeunruhigend.

Julia Haak
hat lauter gutgelaunte
Menschengetroffen.
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