Berliner Zeitung - 19.08.2019

(Rick Simeone) #1
Berliner Zeitung·Nummer 191·Montag, 19. August 2019–Seite 20*
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Sport


DasLehrstück


DasBundesligadebütdes1.FCUniongerätaussportlicherSichtzumDesaster.DieElfvonTrainerUrsFischerunterliegtRBLeipzig0:


VonPatrick Berger und
Mathias Bunkus

V

on einemDrama ist im
Fußballgernmaldie Rede.
Auch weil die Beobachter
gernmal zur Überzeich-
nung des Geschehens neigen. In
dem hier zu beschreibendenFall,
dem Bundesligadebüt des 1. FC
Union, das amSonntagnachmittag
im Stadion An der Alten Försterei
überdieBühneging,istaberdieBe-
zeichnung wohl durchaus ange-
bracht. DieAuseinandersetzungder
Eisernen mit demvonden Union-
FanssoungeliebtenBundesligaspit-
zenklub RB Leipzig war nämlich in
jedwederHinsichteinSchauspiel.
Wegen des zunächst gerührten,
zwischenzeitlich enthusiastischen,
noch später doch argenttäuschten
Publikums.WegendesWetters,dain
dererstenHälfteüberderlegendären
Spielstätte doch schon ein fast un-
heimlicher,geradezu künstlich wir-
kenderStarkregenniederging.Wegen


der Vielzahl an tragischenFiguren,
dieallesamtaufseitendesGastgebers
zu finden waren.Ja,diese Premiere
des1.FCUnioninderhöchstenSpiel-
klassewurdezumbitterenLehrstück
für die Aufstiegshelden inRotund
Weißundfürdiejenigen,dieimSom-
merzur VerstärkungdesKadersnach
Köpenickgekommenwaren.Dasließ
sich nach 90, ausSicht der Unioner
dochverstörendenMinutenaucham
Endergebnis ablesen. Es lautete 0:
(0:3) und spiegelte letztlich einen
Klassenunterschiedwieder,denTrai-
ner UrsFischer wie folgt kommen-
tierte: „Wir sind heute hartauf dem
Boden gelandet.Aber wenn du so
viele Geschenkeverteilst wie wir in
der ersten Hälfte,brauchst du dich
nichtwundern,dassmanEndemitso
einem Ergebnis vomPlatz geht.Wir
habenheuteeineersteKostprobebe-
kommen, was es heißt, in derBun-
desligazuspielen.“
DerSchrecken nahmvor
Zuschauernschon in der 16.Minute
fürUnionseinenAnfang,alsowenige

Sekunden nachdem dieUnion-Fans
ihren Stimmungsboykott mitCount-
downundexplosivemSupportbeen-
dethatten.WobeimaninderAnalyse
dieSchuldnatürlicherstmalanSulei-
manAbdullahifestmachenkann.Der
AußenstürmerwarbeieinemAngriff
der Leipziger viel zu spät seiner

Pflichtnachgekommen,fürdennach
innen gerückten Rechtsverteidiger
ChristopherTrimmel dieSeite zuzu-
machen,spurtetesichzwarnochmal
flugsineinenZweikampfmitMarcel
Halstenberg,wurdevonebendiesem

im Strafraum aber mit einer kurzen
Drehung ins Leeregeschickt.Hal-
stenbergblieb noch genügendZeit,
um sich für den gezieltenTorschuss
in die Balance zu bringen.Er über-
wand Keeper Rafal Gikiewicz mit ei-
nemSchlenzer.Abermalehrlich,war
dasvonFischernichtvielzuriskant,

Abdullahi in dieStartelf zu nehmen?
DerNigerianer war ja aufgrundvon
Passproblemen erst in der dritten
Woche derVorbereitung zumTeam
gestoßen,hatteauchindenTestspie-
lennur wenigSpielpraxisgesammelt.

„Wir sind heute hart


auf demBoden gelandet.“


Union-Trainer UrsFischerist in der anstehendenTrainingswoche
vorallem als Psychologegefragt.

Auch beim zweitenGegentreffer,
denSabitzerinder31.Minutemitei-
nemLinksschussvonderStrafraum-
grenz eherbeiführte,lässt sich die
Schuldfragenichtsoleichtbeantwor-
ten.Sicher,TrimmelhattedenBallet-
wasleichtfertiginderVorwärtsbewe-
gung anHalstenbergverloren, aber
musste das sein, dieser schnelleAb-
wurfvon Gikiewicz aufTrimmel, der
sichaufseinerSeitedochineinerUn-
terzahlsituationbefand?
Beim 0:4 gestaltet sich dieSache
noch etwas komplizierter,weil die
Fehlerkette dabei noch etwas länger
war.Schlussendlich kam Sabitzer
nach einerFlanke vonHalstenberg
frei zumKopfball, zielte aber nicht
aufsTor, sonderneröffnetedemein-
gewechselten Christopher Nkunku
miteinercleverenAblagedieChance
zumAbstauber(69.).
Immerhin:Das0:3 in der 42.Mi-
nute ist–wenngleich auch hier die
Abwehrdes1.FCUnionim Kollektiv
dochsehrschläfrigwirkte–vorallem
auf die KlassevonNationalspieler

Timo Werner zurückzuführen.Wer-
ner entwischteKevenSchlotterbeck,
jagtedenBallinden Winkel.
DasBedenkliche amVortragdes
AufsteigerswaraberletztlichdieTat-
sache,dass es fürUnion nicht eine
Großchance zu verzeichnen gab.
Auch nicht, alsFischer zur zweiten
Hälfte Anthony Ujah statt Christian
Gentner insSpiel brachte,als Unter-
stützungfürdeneinsamenSebastian
Andersson.Undauch nicht in den
Phasen,alsRBnichtganzsointensiv
presste .„Werweiß,wozusoeineKlat-
sche gut ist“, sagteMittelfeldspieler
Grischa Prömel,„mal zu sehen, dass
esinderBundesligaandersläuft.Wir
habeneinfachzuvieleTugendenmis-
sen lassen, waren immer einen
Schrittzuspätdran.Dasisteine rie-
sigeEnttäuschung.“
EsbrauchtenachdemSchlusspfiff
alsojedeMengeTrostfürdiegefalle-
nen Helden. Trost vonden Rängen,
Trost vomTrainer,der nach diesem
Spiel eine Gewissheit hat:So reicht
dasnicht.

Das erste von vier Gegentoren für die Eisernen: Marcel Halstenberg erzielt in Köpenick das 1:0 für RB Leipzig. IMAGO IMAGES


Allez,allez,ohohohooo


Tränen,Schweigen,Stimmungsexplosion:BeimBundesligadebütdes1.FCUnionstehendieFansinallenGefühlslagenbedingungsloswieimmerhinterihrerMannschaft


VonPatrick Berger

E


rkonnte sich den Seitenhieb
danndochnichtverk neifen.„Al-
len,denenMitbestimmungineinem
Verein etwas bedeutet, sind herzlich
dazueingeladen,indennächsten
Minuten lautstarkzus chweigen“,
verk ündete Stadionsprecher Chris-
tian Arbeitwenige Minuten vordem
Anpfiff über dieMikrofone .Zuvor
hatteer ,sov ielAnstandmusstedann
bei allerAbneigung gegenüber dem
„Konstrukt RB Leipzig“ (als solches
bezeichneten dieUnion-Fans den
Gegnerim Vorfeld)sein,auchdiemit-
gereisten Leipziger empfangen.
„Auch in der 1. Liga machen wir das
so“, sagte Arbeit, „wir begrüßen un-
sereGäste.“ DerName desGegners,
sowiesonstüblich,wollteihmdann
abernichtüberdieLippengehen.
WenigspäterertöntedanndieVer-
einshymne „EisernUnion“ aus den
Lautsprechernund die Union-Fans
hieltenrund500 Bannerhoch,diedie


Konterfeis verstorbenerFans,Mit-
glieder,Angehöriger sowie frühere
Spielerzeigten.MitderAktion„End-
lich dabei“ gedachten dieUnioner
denen, die diese historischeSaison
im deutschen Oberhaus nicht mehr
erleben können.Dieser Moment an
der Alten Försterei rührte den einen
oderanderenFanzuTränen.
Unddannschwiegensie.Füreine
Viertelstunde.Obwohl das mit dem
Schweigen dann nicht zu hundert
Proz entklappte,wasbeieinemsolch
denkwürdigenSpielallerdingsinder
Natur einesVollblut-Fans liegt.Bei
FoulspielendesGegnerswurdelaut-
starkgepfiffen, sobald sich eineTor-
chanceanbahnte,schnelltederStim-
mungspegelindieHöhe.Nurdieor-
ganisierteUnterstützung mitFange-
sängen blieb eben aus.„Daswar
schon ungewohnt“, sagte Kapitän
ChristopherTrimmel. Grischa Prö-
mel ergänzte,dass man sich„natür-
lich vonAnfang anStimmung ge-
wünscht“hätte.

fennah/DieZeitistnungekommen,
ihr werdets alle sehn/DerErste FC
Unionwir dnunendlichobenstehen/
Allez, allez, allez, allez, ohohohooo/
MitunsandeinerSeitewirstdunie-
mals untergehen.“DieFans sangen,
tanzten, hüpften.DerStimmung tat
der folgende 0:1-Rückstand durch
MarcelHalstenbergkeinenAbbruch.

Um 18.15 Uhrwurde derStim-
mungsprotest aufgehoben. Zehn,
neun, acht,...–die Unioner zählten
die Sekunden bis zurStimmungsex-
plosionmitgehobenenArmenrunter
–...drei,zwei,eins.Unddannwurde
esrichtiglaut:„Unionduwirstsiegen,
glaubandichundeswirdwahr/Die
ersteBundesligaistfürunszumGrei-

Journalisten aus allerWelt waren
nach Köpenick gekommen, um das
historischeSpiel hautnah zuverfol-
gen.BerichterstatterausTschechien,
Frankreich,denUSA,sogarausJapan
und Italien. AusMailand warPaolo
Tomaselli vonder Zeitung Corriere
dellaSera,dermeistgeleseneninIta-
lien, angereist.Manhabe sehr wohl
vomAufstiegdesKultvereinsausOst-
Berlin gehörtund sei begeistertvon
dessenFankultur,sagteder Reporter,
derfürgewöhnlichüberJuventusTu-
rinund Italiens Nationalmannschaft
berichtet.DieBildernachdemSiegin
der Relegation gegenStuttgartvon
feierndenFans und spätervonder
der Schiffsfahrtmit der „Viktoria“
und denBeibooten über dieSpree,
hätten auch im SüdenEuropas für
Aufsehengesorgt.„Wirvermissendas
inItalien“,sagteTomaselliundblickte
wehmütigaufdenRasen,„dieserbe-
dingungsloseRückhalt,dieLiebeder
Fans zu ihremVerein, der einfacher
Fußball,dievollenStehplätze.“

WeitvordemSpielwardiesespe-
zielle AtmosphäreinK öpenick zu
spüren. Schon um 15.30Uhr, zwei-
einhalbStundenvordemPremieren-
spiel, drängten Menschenmassen
ausderS-Bahn.AnderUnion-Tanke
zischten die Anhänger wie gewohnt
Bier,aßen Wurst, schwärmtenvon
derverg angenenSaison,unterhielten
sichüberdasBevo rstehende.Einet-
was korpulenterFaninr ot-weißem
Trikot hatte noch zweiTickets über,
verk aufte sie fast zumEinkaufspreis
von15E uroundmachtesozweiAn-
hängerglücklich.AuchdasistUnion
Berlin: Zusammenhalt,Treue.Unab-
hängigvonderLigazugehörigkeit.
Dassdie Partiemit0:4endete,hielt
niemanden ab,noch eineViertel-
stunde nachAbpfiff lautstarkzus in-
gen. „DieFans stehen hinter uns“,
sagteTrimmel,„dasistunsbewusst.“
Reporter Tomaselli ausMailand war
baff: „Nach einer solchen Klatsche
hättendieFansin Italienihr eMann-
schaftausgepfiffen.Hierfeier nsie.“

„Endlich dabei“: Union-Fans haltenPorträts von Ehemaligen in die Höhe.DPA/BRITTA PEDERSEN
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