Berliner Zeitung - 19.08.2019

(Rick Simeone) #1

Feuilleton


22 Berliner Zeitung·Nummer 191·Montag, 19. August 2019 ·························································································································································································································································································


Außenmausgrau,innenluftig


DieBerlinerTheatersaisoneröffnetmitmodernenKlassikernvonHeinerMüllerundThomasMannimGorki-ContainerundimBerlinerEnsemble


VonDoris Meierhenrich

D

alacht dasSpielbuden-
gesicht über die ganze
Bühnenbreite des BE –
lustig,natürlich,undeis-
kalt.Genaubesehenbezeugtnurdie
dicht bestückte Oberzahnreihe das
Lachmaul,dessenbleckendeBeißer
eigentlich für zwei Münderreichen.
Sohalbseitigaberkannsichunterih-
neneingleißendrauchigerHöllen-
schlundauftun,indendiefröhliche
„FelixKrull“-GesellschaftamEnde
dieseszirzensischenkleinenPremie-
renabendsunbeschadeteinzieht.
Esisteinebestürzendmuntervor
sichhinbrabbelndeSippe,indieder
AutorundRegisseurAlexanderEise-
nach seine Saisoneröffnungder alt-
ehrwürdigenBühneamSchiffbauer-
damm zusammenzieht. Undim
Grunde verkörpertihr unbeschwer-
tes Kirmes-Kabarett in seiner alles
um-,abernichtswirklichangreifen-
den Fischigkeitnicht nur das,was
ThomasMann vorgut hundertJah-
reninseinem „Vorzugskind des
Himmels“,dem HochstaplerFelix
Krull, als Künstlerparodie seiner
Selbstkonzipierte.Siezeigtauchdas,
wofürdasBEimdrittenJahrderIn-
tendanzvonOliver Reese steht: Mit
Aplomb versucht es immer wieder
GegenwartzuseinemProgrammzu
machenundbleibtdochallzuoftim
Konzept dieses Willens stecken.
Oder wie hier:inseiner literarisch-
historischenVorlage.


EinÙMunginchsta¬elei

DiesesMalnunistesdasschwülstig-
distinguierte Künstlermilieu Tho-
mas Manns und seine eigentlich
zeitlose Hochstapler-Figur,der sich
AlexanderEisenach in dieser Spiel-
zeitausführlichwidmenwillundfür
Dezember ein weiteres eigenes
Hochstapler-Stück ankündigt.
MannsOriginalmusszuBeginnnun
das Terrain abstecken,wobei keine
bloße Romanadaption herausge-
kommenist, viel eher eine Aktuali-
sierungsübung.Wasinvordemokra-
tischen Zeiten –Mann begann die
„Bekenntnisse“um 1906 –die feine
GesellschaftundihreHierarchie-ge-
steuerteIdeal-VerehrunganderGe-
schmeidigkeitdes „Kostümkopfes“
Felix so magischanzog, will nun in
die konsumistisch normiertenUn-
tiefendigitalerSmiley-undLike-Kul-
turüberführtwerden.
Eisenach versucht das,indem er
dieThomas-Mann-Weltaufnurdrei
Klusterfigurenradikal reduziertund
ihnen ein vomBühnenrand her
kommentierendes Clownspaar aus
dem Heute zur Seite stellt.Gutaus-
geklügelt funktioniertdas auf der


Bühne allerdings kaum, denn die
Patchwork-Figuren finden aus ihrer
papierenenGestaltlosigkeit in kein
Spiel.
Martin Rentzsch darfals dilettie-
render Maler Schimmelpreester so-
wie sämtliche Krull-Chefs,Direkto-
renundProfessorendenpatriarcha-
lischen Idealisten, geben undCon-
stanzeBeckersteuertalslangbeinige
SM-Domina die dämonisch-engels-
gleiche Geliebte Madame Houpflé
sowie dieTrapezartistin Androma-
che bei.Im groteskenSlapstick mit
Marc Oliver Schulzeals gutmütiger
Felix erturnen sich diese drei einige
amüsanteMomente,doch bleibt es
im Ganzen zu hölzern, unvirtuos.
Besonders die bemüht schnoddri-
gen Gegenwartslieferanten Sina
Martens undJonathan Kempf von
jenseits der viertenWand verfangen
sichmitihremDiskurs-Auftrageher
im Sesamstraßen-Klamauk, als dass
siedie SophistikheutigerInstagram-
Profilsucht problembewusstein-
speisten.UndMarcOliver Schulze,
neu am BE, macht als imitierender
Violinist imFrack oder Kloinstalla-

teur imBlaumann zu all dem eine
immer charmant chaplineske
Miene.
Leider muss auch erweitgehend
blassbleiben,weilhierselbstredend
nicht Krulls individuelleBesonder-

heit als Motor der Hochstapelei ge-
feiertwird, sonderndie Sensations-
gier derMaschine Gesellschaft.Gut
gemeint ist das und doch in seiner
gezirkeltenHalbheit eher geschei-
tert.

Dass es mehrMutbraucht, um
aus einem klassischen Text einen
heutigenzumachenundauseinem
kleinenAbendeinengroßen,waram
zweiten TagdesEröffnungswochen-
endes imGorki-Theater zu erleben.
Eigentlich kann man darüber nur
staunen.DennauchimsiebtenJahr
ihrer IntendanzschaffenesShermin
LanghoffundJensHilljeimmernoch
mühelos,einen Esprit und eine le-
bendig-engagierte Relevanzstim-
mungindemkleinenHausam Fes-
tungsgraben zu entfalten, dass es
eine Freude ist.Notwendig gewor-
dene Engpässe wie die überfällige
Sanierung der großen Bühne und
des Studios wenden sie kurzerhand
in eine Zeit der Möglichkeiten um
und laden für zweiSpielzeiten nun,
wenn die Bühnen geschlossenwer-
den müssen, in einen 22Meter lan-
gen, 12 Meter breitenContainer auf
demTheatervorplatzzumTheater.
Außen mausgrau, überrascht der
hohe,luftige Raum im Innern: eine
Wunderkiste,der kaum eine gelun-
generekleine Eröffnung bereitet
werden konnte als die Clownsnum-

mer,die Sebastian Nübling und das
7-köpfigeExilensemble des Gorki
nun ausHeiner Müllers 12-zeiligem
„Herzstück“machten.
ImGrundesindauchdiesesieben
Clowns eine ganzeHandvollFelix
Krulls .Nurandersalsimgediegenen
BE brauchen sie keineMann’schen
SatzgirlandenundveraltetenKunst-
diskurse,uminknappe achtzig
Spielminuteneinstrukturellausgrei-
fendes wie menschlich ergreifendes
Denkspiel um Schein und Sein,
große ErwartungenundkleineReali-
täten,echteundfalscheHoffnungen
aufzuziehen und wie sich beides
fruchtbarmiteinanderverbindet.

Energiegeladene eÝegungen
Müllers„Herzstück“,dasindenkbar
knappsterForm die schöne para-
doxeVerbindungvonBuchstabeund
Bedeutung,MaterieundGeist,Tech-
nik und Wirkung auseinanderlegt,
ausdernichtnuralleKunst,sondern
auch alles geglückteZusammenle-
ben entsteht,versammeltnur zwei
SprecherumeinHerz.Demeinenist
es Gefühlszentrum, dem anderen
Ziegelstein,doch das wichtigste:Es
schlägtfürbeide,steinernundideell.
An diesem Abend im Gorki-Contai-
nerschlägtdasMüller-Herzzweifel-
los in sieben schillernden Farben,
Materien und Spielweisen für diese
sieben. Denn bevor sie überhaupt
mit dem Müller-Text beginnen,ob-
wohleineblaukostümierteClownin
mitneckischemGamsbart-Haarzopf
auf dem Kopf die „Heiner –Bäng –
Müller-Show“ zigfach und in jeder
nurdenkbarenAnimationskunstan-
kündigt,kämpfenhier alle in erster
LiniemitderSchwerkraftderBühne
selbst,mitderTechnik,ihrereigenen
Angst, den vermeintlichenErwar-
tungen der Zuschauer,den Lasten
ihres eigenenLebens und der Ver-
geblichkeitihrerKunstüberhaupt.
Dassagtsichsodahin,aberfürall
das finden die sieben wunderbar
chaotische,auch alberne,aber im-
merglaubhafte,energiegeladeneBe-
wegungen:Demrosa Clown gehen
Ideen ab,weshalb er nur gefällige
Dienermacht,diekleinePinkehatso
vielAngst,dasssienurausdemTür-
rahmenschieltundbaldandenBei-
nen auf die Bühne gezogen wird,
unddieschwarzGewandete–sieou-
tetsichalsÖsterreicherin–schleicht
nur noch als deprimierte Mumie
durchdieSzenerie„wearesofucked
up!“.Natürlichsindsiedasnichtund
derJubelistamEndegroß.

Gorki-Container,bis 21.8., 20 Uhr,Tel:
20221115,
Berliner Ensemblewieder 23.8., 19.30 Uhr,
Tel: 28408155

Wenn das Thomas Mann wüsste: Marc Oliver Schulze und Constanze Becker in einer Szene des „Felix Krull“ am Berliner Ensemble. IMAGO IMAGES/MARTIN MÜLLER

Dominic Hartmann, Elena Schmidt undKendar Hmeidan in „Herzstück“ DPA/ANNETTE RIEDL

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