Süddeutsche Zeitung - 20.08.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1
von katrin blawat

E


in Mann liegt auf dem Boden eines
Parkplatzes. Eine Frau läuft an ihm
vorbei – und statt zu fragen, ob er Hil-
fe braucht, nimmt sie das Geld aus dem vor
ihm stehenden Becher. In einer anderen
Szene dagegen schreitet eine Passantin
ein, als eine Gruppe einen Einzelnen mas-
siv bedrängt. Das Urteil über die beiden
Frauen dürfte einhellig ausfallen: Erstere
verhält sich unsozial, letztere handelt
anständig. Komplizierter wird es jedoch,
fragt man nach den tiefer liegenden Ursa-
chen der unterschiedlichen Verhaltenswei-
sen. Was entscheidet darüber, ob sich je-
mand für Hilfsbedürftige einsetzt oder sie
kaltblütig ausnutzt? Ist das soziale Verhal-
ten eines Menschen vor allem von seinen
Erfahrungen, seiner Erziehung, seinem
Umfeld geprägt – oder von seinen Genen?
Als Wissenschaftler um Matthew Lebo-
witz von der Columbia University in New
York ihren Probanden diese Frage stellten,
fiel die Antwort auf den ersten Blick
erstaunlich aus. Benimmt sich jemand
anständig, halten das viele Menschen zu
einem wesentlichen Teil für ein Resultat
von Genen, die vermeintlich für gute Taten
prädestinierten. Im Gegensatz dazu sind
Menschen seltener bereit, Rüpeleien auf
entsprechend nachteilige Gene zu schie-
ben. Benimmt sich jemand schlecht, liegt
das nicht am Erbgut, so lautete die mehr-
heitliche Meinung der Studienteilnehmer.
Und diese Auffassung ist offenbar neu:
Vergleichbare Studien hätten bislang
keine eindeutigen Ergebnisse erbracht,
schreiben die Autoren im Fachjournal
Nature Human Behaviour.
Dabei ist die Fragestellung durchaus
relevant, etwa wenn Richter die Tatmotive
eines Angeklagten beurteilen. Ist es ge-
rechtfertigt, einen Menschen sozusagen als

Opfer seiner Gene zu sehen, die ihn unwi-
derruflich in ein bestimmtes Schicksal hin-
einschubsen? Auch wenn es darum geht, ge-
gen die Stigmatisierung von Krankheiten
vorzugehen, ist die allgemeine Auffassung
über deren Ursachen von Bedeutung.
Die Antwort der Wissenschaft steht
unterdessen schon fest: Zwar spielt das
Erbgut tatsächlich in alles hinein, was ein
Mensch ist und was er tut – in seine Hand-
lungen, seine Persönlichkeit, seine Körper-
maße, seine Neigungen zu bestimmten
Krankheiten und Ähnliches. Wie stark der
Einfluss der DNA jeweils ausfällt, variiert
jedoch abhängig vom betrachteten Merk-
mal. Und immer gilt, dass Gene nicht wie
ein Knopf funktionieren, der Menschen,
einmal gedrückt, in willenlose, ferngesteu-
erte Wesen verwandelt. Stattdessen liegt
einer Person ein konkreter Wesenszug
oder ein Verhalten vielleicht näher als ein
anderer. Doch geschieht auch dies nicht
nach einem vorbestimmten Schema, son-
dern in steter Wechselwirkung mit dem,
was ein Mensch erlebt, was er lernt, wo er
wohnt, mit wem er sich umgibt. Kurz
gesagt: Die Zusammenhänge sind äußerst
vielschichtig.

Angesichts einer solchen Komplexität
verwundert es kaum, wenn in der öffentli-
chen Wahrnehmung meist subjektive
Faktoren darüber entscheiden, wie stark
und unter welchen Umständen ein Mensch
als genetisch geprägt gilt. Wichtig scheint
vor allem zu sein, ob sich der Betreffende
fair verhält. Das legt zumindest die Studie
der Psychologen aus New York nahe. Für
ihre Untersuchung teilten die Forscher

ihre Probanden in zwei Gruppen ein und
machten sie mit der fiktiven Protagonistin
Jane bekannt. Die eine Gruppe erfuhr zum
Beispiel, wie Jane den Obdachlosen be-
klaut. In der Geschichte für die andere
Gruppe schützte die Frau dagegen die zwei-
te Person vor dem übergriffigen Verhalten
der Gruppe.
Diese Versuchsanordnungen variierten
die Forscher mehrmals, doch am Ergebnis
änderte sich nichts. Im Fall der sozialen
Jane waren die Probanden eher bereit, ihr
Verhalten auf Gene zurückzuführen, als
sie es im Fall der kaltherzigen Jane waren.
Diese gegensätzlichen Überzeugungen
blieben selbst dann bestehen, als die
Forscher den Befragten ausdrücklich eine
schlüssige genetische Erklärung für Janes
unsoziales Verhalten lieferten – bezie-
hungsweise eine solche Disposition für ein
soziales Verhalten von Jane verneinten.
„Wie die Leute verhaltensgenetische Er-
kenntnisse interpretieren, hängt nicht nur
von den wissenschaftlichen Belegen ab,
sondern auch von der moralischen Quali-
tät des entsprechenden Verhaltens“, fol-
gert die Gruppe um Lebowitz.
Erklären lasse sich das mit dem
Wunsch, einen Übeltäter für sein Verhal-
ten umfassend verantwortlich machen zu
können. Gemäß dem üblichen Gerechtig-
keitsempfinden ist dies nur möglich, wenn
die betreffende Person bewusst und aus
freien Stücken gehandelt hat. Dem stünde
jedoch die Überzeugung entgegen, das Erb-
gut könne sogar Verhaltensweisen auf un-
ausweichliche Art und Weise determinie-
ren. Um diesen Widerspruch aufzulösen,
mussten die Probanden einen genetischen
Einfluss auf schlechtes Benehmen also
abstreiten – andernfalls hätten sie ihrer
inneren Logik zufolge auch Rüpel-Jane ihr
schlechtes Verhalten nicht wirklich übel
nehmen dürfen.

Was sich in der Studie von Lebowitz und
seinen Kollegen offenbart, bezeichnen Ilan
Dar-Nimrod und Steven Heine von der Uni-
versity of British Columbia im Fachmaga-
zinPsychological Bulletinals „genetischen
Essentialismus“: die – in den allermeisten
Fällen falsche – Ansicht, Gene bestimmten
unwiderruflich über Verhalten, Charakter,
Eigenarten und ganz allgemein das Schick-
sal eines Menschen.

Auch bei den meisten Krankheiten ent-
scheiden nicht die Gene allein darüber, ob
sie ausbrechen. Dennoch können biologi-
sche Erklärungen helfen, das Stigma man-
cher Leiden zu verringern, wie unter ande-
rem eine Metastudie des Teams um Erlend
Kvaale von der University of Melbourne im
FachblattClinical Psychology Reviewge-
zeigt hat. Erklärt man zum Beispiel psychi-
sche Krankheiten als erblich bedingt, wer-
den die Patienten seltener stigmatisiert.
Sie gelten dann eher als Opfer eines unab-
wendbaren Schicksals, als dass man sie als
irre betrachtet. Allerdings hat der biolo-
gisch orientierte Erklärungsansatz auch
seine Schattenseite: Sowohl Außenstehen-
de als auch Patienten zeigen sich pessimis-
tisch, wenn es um die Aussicht auf Besse-
rung geht. Gegen die Macht der Gene lasse
sich nichts ausrichten, heißt es dann oft.
Doch was folgt daraus für Forscher, die
den Einfluss von Genen auf Verhalten und
Gesundheit untersuchen? Vielleicht hilft
ihnen schon das Wissen um die häufige
Fehlinterpretationen ihrer Erkenntnisse,
um diese „mit beträchtlicher Vorsicht“ zu
vermitteln, wie Dar-Nimrod und Heine
raten.

Ein Schwerpunkt der Weltartenschutz-
Konferenz Cites, die bis zum 28. August in
Genf tagt, sind die Afrikanischen Elefan-
ten. Die Tiere sind auf der Roten Liste der
vom Aussterben bedrohten Spezies als
gefährdet eingestuft. Im Jahr 2016 soll es
weltweit nur noch 415 000 Exemplare ge-
geben haben, jüngere Zahlen existieren
nicht. Je nach Land ist die Situation der Tie-
re allerdings sehr unterschiedlich. Unter
anderem deshalb sind Afrikanische Elefan-
ten bei Cites, das sich ausschließlich mit
dem Handel gefährdeter Tiere und Pflan-
zen befasst, national unterschiedlich einge-
stuft. In Sambia beispielsweise stehen Afri-
kanische Elefanten auf dem sogenannten
Anhang I, der den internationalen Handel
komplett verbietet. In Botswana, Namibia,
Simbabwe und Südafrika sind die Tiere da-
gegen nur in Anhang II gelistet, hier muss
der Handel „kontrolliert und beschränkt“
werden. Zudem ist eine Ausfuhrgenehmi-
gung erforderlich.
Mehrere Länder des südlichen Afrika
versuchen derzeit in Genf, die geltenden
Verbote zu lockern. Sie haben beantragt,
den Handel mit Elfenbein aus Botswana,
Namibia, Simbabwe und Südafrika frei-
zugeben. Sambia will außerdem, dass die
Elefanten des Landes nur noch den be-
grenzten Schutz von Anhang II genießen.
Die Vertreter dieser Länder begründen das
damit, dass sich die Tiere wieder vermehrt
hätten, weil sie erfolgreich geschützt wor-
den seien. In Botswana etwa sei die Zahl
der Elefanten zwischen 2002 und 2015 von

etwa 100 000 Tieren auf 130 000 gewach-
sen. Ob das stimmt, ist allerdings kaum zu
überprüfen. Erst im vergangenen Monat
erschien in der FachzeitschriftCurrent Bio-
logyein Bericht, wonach es in Botswana
eine neue Wildereikrise gibt. Demnach hat
die Zahl getöteter Elefanten, deren Kada-
ver ohne Stoßzähne gefunden wurden, zwi-
schen 2014 und 2018 um fast 600 Prozent
zugenommen. Allein im vergangenen Jahr
seien dort 156 Elefanten gewildert worden.
Tierschutzorganisationen wie der WWF
oder Pro Wildlife lehnen eine Lockerung
des Handels mit Stoßzähnen oder anderen
Körperteilen Afrikanischer Elefanten ab
und fordern ein komplettes Verbot in allen
Ländern. Die neue Generalsekretärin von
Cites, Ivonne Higuero hat dagegen durch-
aus Verständnis für solche Anliegen: Der
Schutz von Tieren und Pflanzen vor Wilde-
rern sei kostspielig, die lokale Bevölkerung
müsse von ihrem Einsatz auch wirtschaft-
lich profitieren können, sagte sie in Genf.
„Der Schutz und der legale Handel mit
Wildarten tragen zu nachhaltiger Entwick-
lung bei, das ist bewiesen“, sagte sie. Die
Bundesregierung will sich in Genf für
einen besseren Kampf gegen die Wilderei
einsetzen. „Dafür darf es keine Lockerung
der geltenden internationalen Handelsver-
bote geben“, teilte das Bundesumweltmi-
nisterium mit. Als Jagdtrophäe dürfen Afri-
kanische Elefanten allerdings auch nach
Deutschland eingeführt werden. Allein im
vergangenen Jahr wurden 48 Genehmi-
gungen dafür erteilt. tina baier

Ein Phänomen, das auch beim Salzen von


Nudelwasser eintritt, wollen Forscher aus


Kalifornien zur klimafreundlichen Strom-


produktion nutzen. Trifft salzreiches auf


salzarmes Wasser, schwärmen Salzteil-


chen von ganz allein aus, bis der Salzgehalt


überall gleich ist. Das geschieht nicht nur


im Kochtopf, sondern auch am Meer, an


Flussmündungen zum Beispiel oder dort,


wo Kläranlagen gereinigte Abwässer einlei-


ten. Um diese Naturkraft, die auch „blaue


Energie“ genannt wird, in Strom zu ver-


wandeln, arbeitet ein Team um Kristian


Dubrawski von der Stanford University an


einer Batterie der besonderen Art.


„Unsere sogenannte Mischungsentro-

pie-Batterie ist einfach gebaut und besteht


aus kostengünstigen Materialien“, sagt Du-


brawski. Anders als andere Verfahren, die


das gleiche Phänomen nutzen, kommt sie


ohne wartungsintensive Membranen und


Stromturbinen aus. Die Batterie enthält


zwei Elektroden, von denen eine aus dem


Farbpigment Berliner Blau besteht, die an-


dere aus dotiertem Polypyrrol, einem leit-


fähigen Kunststoff. Darüber berichteten


die Forscher im FachblattACS Omega.


Wird die Batterie abwechselnd mit Meer-


wasser und Süßwasser geflutet, wandern


elektrisch geladene Salzteilchen immer


wieder in die Elektrodenmaterialien hin-


ein beziehungsweise heraus. Über einen


äußeren Stromkreis können dann elektri-


sche Ströme abgezapft werden. Das Prin-


zip ist nicht neu, doch die gewählten Mate-


rialien seien robuster und billiger als in bis-


herigen Apparaturen, heißt es laut Studie.


Die Wissenschaftler haben einen Proto-

typ mit Meerwasser aus einer Bucht bei


San Francisco und gereinigtem Abwasser


aus einer Kläranlage in Palo Alto erfolg-


reich getestet. „Kläranlagen in Küstennä-


he sind ein guter Ausgangspunkt, um die


Technologie zu etablieren“, sagt Dubraw-


ski. Deren Energiebedarf könne damit


großteils oder sogar vollständig gedeckt


werden. Das globale Potenzial für die salz-


gestützte Stromernte aus dem Meer ist
noch viel größer. Allein an Flussmündun-
gen ließen sich jährlich 625 Terawattstun-
den gewinnen, was drei Prozent des welt-
weiten Stromverbrauchs entspreche, be-
richtete ein internationales Forscherteam


  1. Zudem fließt der „blaue“ Strom unab-
    hängig von Wetter, Jahres- oder Tageszeit.
    Das ist ein Vorteil gegenüber Windkraft-
    oder Solaranlagen.
    Bisher lag der Fokus auf Verfahren, in
    denen Membranen Süß- und Salzwasser
    trennen. Maßgeschneiderte Poren lassen
    nur bestimmte Teilchen passieren, zum
    Beispiel Wassermoleküle. Diese schlüpfen
    von der Süßwasser- auf die Meerwassersei-
    te, um die hohe Salzkonzentration dort aus-
    zugleichen. Mit dem erhöhten Wasser-
    druck kann eine Stromturbine betrieben
    werden. Vor zehn Jahren testete der norwe-
    gische Energiekonzern Statkraft diese so-
    genannte Osmose-Technologie, verfolgte
    sie aber aus wirtschaftlichen Erwägungen
    nicht weiter. Noch in Betrieb ist die eben-
    falls membrangestützte, eher batterieähn-
    liche Pilotanlage des niederländischen Un-
    ternehmens Redstack. Das Kernstück die-
    ser sogenannten Umkehr-Elektrodialyse-
    Anlage ist ein Stapel aus Membranen, die
    nur für elektrisch geladene Salzteilchen
    durchlässig sind. Allerdings sind Membra-
    nen nicht nur das Herz, sondern oft auch
    ein Schwachpunkt solcher Verfahren,
    denn sie begrenzen die Stromernte und
    müssen häufig von Verstopfungen befreit
    werden. Daran arbeiten Forscher noch.
    Ob das membranfreie Arrangement aus
    Kalifornien als Alternative taugt, bleibt ab-
    zuwarten. Bisher liefert es lediglich im La-
    bor Strom und davon noch zu wenig. „Ich
    würde sagen, dass die Leistungsdichte
    noch um eine Größenordnung steigen
    müsste, damit unsere Batterie für kommer-
    zielle Anwendungen taugt“, sagt Dubraw-
    ski. Doch dann wollen die Forscher die Pla-
    nung einer Pilotanlage am Meer in Angriff
    nehmen. andrea hoferichter


Das müssen nette Gene sein


MenschlichesVerhalten wird zu einem winzigen Teil vom Erbgut bestimmt. Auch das von Rüpeln.


Trotzdem herrscht die Ansicht, es gebe große Unterschiede zwischen der Genetik von Gut und Böse


Biologische Ursachen können


helfen, das Stigma
mancher Leiden zu verringern

Jagen oder nicht jagen?


Schutz von Elefanten wird neu verhandelt


Strom aus Salz


Versuche wecken Hoffnung auf neue Generatoren


Selbst eine schlüssige genetische


Erklärungfür soziales Verhalten
überzeugte die Probanden nicht

(^14) WISSEN Dienstag, 20. August 2019, Nr. 191DEFGH
FOTO: BEN CURTIS/AP
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