Süddeutsche Zeitung - 20.08.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1
von phliipp selldorf

Ü


ber einen früheren deutschen Nati-
onalspieler wird in seinem ehemali-
gen Verein erzählt, dass er kein be-

gabter Autofahrer gewesen sei. Das wäre


an sich nicht erzählenswert, interessant


wird die Geschichte aber dadurch, dass


der Mann in seinem Fuhrpark ein halbes


Dutzend teurer Sportwagen versammelt


hatte. Wenn eines dieser Autos aus einer


engen Lücke auf dem Spielerparkplatz zu


rangieren war, dann musste er einen Kolle-


gen fragen, ob er das für ihn erledige.


Im Profifußball gibt es sehr viele Fälle,

die belegen, wie sich mit viel Geld viel Un-


sinn anstellen lässt. Man braucht dazu


nicht auf die oft vom Ernst des Lebens


noch unberührten Spieler zu deuten – es


sind die Unternehmen selbst, die soge-


nannten Vereine, die es ihnen vormachen.


Von einem dieser Fälle profitiert nun der


FC Bayern mit der Übernahme des Angrei-


fers Philippe Coutinho. Die Konditionen


dieses Leihgeschäfts hat der FC Barcelona


selbst bekanntgemacht: Die Münchner be-


zahlen eine Leihgebühr und übernehmen


Coutinhos Gehalt, letzteres ist allerdings


nicht mit gewöhnlichen Millionen-Gehäl-


tern zu vergleichen, nicht mal mit den Mul-


timillionen-Gehältern der anderen Bay-


ern-Spieler. Bis Juni 2020 dürfte Coutin-


ho den Klub geschätzt 30 Millionen Euro


kosten. Viel Geld für ein Gastspiel, aber in


Anbetracht des Marktwerts und der Ver-


hältnisse, die in der entfesselten Branche


herrschen, ein guter Handel.


Der Coutinho-Deal lässt sich sogar als

Beleg dafür deuten, dass die Hyperinflati-


on auf dem Spielermarkt Grenzen er-


reicht haben könnte. Selbst die Größten


der Großen unter den Klubs geraten in Ge-


fahr, an den Wucherungen Schaden zu


nehmen. Zwar hat es auch in diesem Som-


mer etliche Transaktionen gegeben, bei


denen mehr als 100 Millionen Euro be-


wegt wurden (Antoine Griezmann/FC Bar-


celona; Joao Felix/Atlético Madrid; Eden


Hazard/Real Madrid), aber es häufen sich


auch die Fälle, bei denen Großklubs durch


misslungene Spekulationen in Schwierig-
keiten geraten sind.
Der FC Barcelona ist einer der Betroffe-
nen, Paris St. Germain ein anderer, zwei
Klubs, die durch hemmungsloses Geldaus-
geben die Preise in die Höhe trieben und
nun dafür büßen müssen. Während Barce-
lona durch Coutinhos Veräußerung zum
Freundschaftspreis quasi mit Gewalt die
Kosten senkt, wartet man in Paris darauf,
dass jemand kommt und Neymar abholt.
PSG könnte ihn schon noch gebrauchen,
aber man möchte ihn halt nicht mehr ha-
ben – abgesehen vom bedauernswerten
Trainer Thomas Tuchel. Aber wer soll die
222 Millionen zurückbringen, die Neymar
vor zwei Jahren gekostet hat? Real Ma-
drid? Hat bereits für Hazard, Jovic, Mili-
tao, Mendy und Rodrygo 300 Millionen
ausgegeben und wird überzählige Kost-
gänger wie Gareth Bale oder James nicht
los, weil Normal-Vereine sie nicht bezah-
len können. Barcelona? Hat schon 200 Mil-
lionen für Griezmann und de Jong ausge-
geben und trägt noch schwer am irrwitzi-
gen Preis, den Borussia Dortmund für Ous-
mane Dembélé erhalten hat. Bisher war
Dembélé für Barca eine sportliche Fehl-In-
vestition mit hohem Wertverlust.
Das Geschäft mit Superstars funktio-
niert, wenn auch die Superstars funktio-
nieren. Dann rechnen sich sogar die riesi-
gen Kosten. Aber wenn es schief geht wie
bei Coutinho, Dembélé und Neymar, gera-
ten selbst die Giganten in Turbulenzen
und sogar: in wirtschaftliche Zwänge.
Das heißt nicht, dass die Preise bald sin-
ken werden, lediglich die Exzesse lassen
womöglich nach. Gute Spieler werden wei-
terhin teuer gehandelt, es lohnt sich ja,
wenn es die richtigen sind. Als der FC Li-
verpool 2018 Fabelsummen für Virgil van
Dijk und Torwart Alisson Becker bezahlte,
waren die Bedenken groß. Doch dank der
Spezialisten van Dijk und Alisson gewann
der Klub im Mai die Champions League.
In diesem Sommer hat Liverpool übrigens
offiziell nur zwei Millionen für Transfers
ausgegeben – und ist wieder Tabellenfüh-
rer der Premier League.

DAS GESCHÄFT MIT DEN STARS


Grenzen der Hyperinflation


von benedikt warmbrunn

München– Montagmittag an der Münch-
ner Arena. Ein paar Familien sind auf der
Rampe vor dem Stadion unterwegs, die
Kinder tragen Trikots mit Nummern, die je-
der Fan des FC Bayern zuordnen kann. Die
25 – Thomas Müller. Die 22 – Serge Gna-
bry. Die 9 – Robert Lewandowski. In der
Arena sind auf den Rängen nur wenige Dut-
zend Menschen, sie haben eine Führung ge-
bucht, nun bekommen sie eine Zugabe.
Auf den Rasen läuft ein Mann in komplet-
ter Bayern-Montur, rote Stutzen, rote Ho-
se, rotes Trikot, auf seinem Rücken die
Nummer 10. Die 10, das ist die einfachste
Übung, jeder weiß, wer beim FC Bayern in
den vergangenen zehn Jahren die heilige
10 getragen hat, Arjen Robben natürlich,
der Siegtorschütze beim Titelgewinn in
der Champions League 2013.
Der Mann im Trikot mit der Nummer
10, der am Montag auf den Rasen läuft, der
den Ball jongliert, fünfmal, zehnmal, zwan-
zigmal, ist aber acht Zentimeter kleiner als
das Original, er hat mehr Haare auf dem
Kopf, obendrein ein paar am Kinn, und er
zieht auch nicht von der rechten Seite in
die Spielfeldmitte, um dann den Ball im
Tor zu versenken. Die bayerische Num-
mer 10 trägt seit diesem Montag aber auch
nicht mehr Arjen Robben. Die Nummer 10
trägt für mindestens ein Jahr Philippe Cou-
tinho, 27 Jahre alt, 172 Zentimeter groß,
brasilianischer Nationalspieler, für eine
Saison ausgeliehen vom FC Barcelona.
Sportdirektor Hasan Salihamidzic, er-
zählt Vorstandsboss Karl-Heinz Rumme-
nigge im Pressesaal der Arena, habe am
Vormittag Robben angerufen. Nachdem
der Niederländer im Sommer seine Karrie-
re beendet hat, hatten sie sich im Verein
vorgenommen, seine Nummer für diese

Saison nicht zu vergeben, wie auch die 7
von Franck Ribéry, der ebenfalls nicht
mehr zum Kader gehört (und noch einen
Klub sucht), „als große Geste unseren Spie-
lern gegenüber“, sagt Rummenigge. In je-
nem Telefonat teilte Salihamidzic Robben
mit, dass sie diese große Geste doch nicht
einhalten können, wegen Coutinho. Rob-
ben, zitiert ihn Rummenigge, „hat damit
überhaupt kein Problem, er wünscht Phi-
lippe alles Gute. Er ist ein mehr als würdi-
ger Nachfolger für das Trikot mit der Num-
mer 10“. Und zumindest beim letzten Satz
ist nicht ganz klar, ob das so Robben gesagt
hat, oder ob das nur Rummenigge so sagt.

Mächtig stolz sind sie am Montag beim
FC Bayern auf sich selbst. Als Coutinho den
Pressesaal betritt, folgt ihm eine Busla-
dung an Menschen, seine Frau Aine, seine
Berater, weitere Begleiter. Unter all diesen
Menschen versteckt sich auch mehr oder
weniger gut getarnt Bayern-Präsident Uli
Hoeneß, der in den Zuschauerrängen Platz
nimmt. Auf dem Podium sitzt Coutinho –
noch zivil mit blauem Anzug und schwar-
zem T-Shirt – in der Mitte, neben ihm Rum-
menigge und Salihamidzic. Der Sportdirek-
tor wirkt so gelöst wie vielleicht noch nie in
seinen knapp zwei Jahren im Amt, er sitzt
ganz aufrecht, vielleicht schwebt er, so ge-
nau ist das nicht zu unterscheiden. Saliha-
midzic sagt: „Das ist schon ein Transfer,
der dem FC Bayern gut zu Gesicht steht.“
Coutinho löst für die Bayern mehrere
Probleme auf einmal. Da ist das sportliche
Problem, dass das Offensivspiel des Teams
unter Trainer Niko Kovac bisweilen arg vor-

hersehbar war. Auch beim 2:2 gegen Berlin
zum Liga-Auftakt am Freitag liefen die
meisten Angriffe über die Flügel, durchs
Zentrum kam fast gar nichts. In der Mitte,
sagt Salihamidzic über Coutinho, „ist seine
Position, auf der er seine Kreativität, die er
lebt, vorzeigen kann, und das ist wichtig
für unsere Mannschaft“. Salihamidzic
spricht von Bällen, die Coutinho „durchste-
cken“ könne und auch davon, dass dieser
„unsere Spitzen“ besser bedienen könne.
Coutinho sagt: „Meine Lieblingsposition,
um mein Bestes geben zu können, ist die
Zehnerposition, weil ich mich da auch am
besten bewegen kann.“ Wo er spielt, werde
aber der Trainer entscheiden. (Was ein biss-
chen Spannung verspricht, denn im aktuel-
len System hat Kovac keinen Zehner vorge-
sehen.) Das ebenfalls nicht unerhebliche
zweite Problem, das Coutinho löst, ist das
mit der Transferbilanz des Klubs.
Der FC Bayern hat sich lange mehr oder
weniger gut getarnt auf dem Transfer-
markt bewegt, die Erwartungen, die Hoe-
neß früh geweckt hatte („Wenn Sie wüss-
ten, was wir alles sicher haben“), wurden
lange nicht erfüllt. Durch Coutinho ist zu-
mindest für ein Leihjahr ein Spieler gekom-
men, der als ungewöhnlich veranlagt gilt,
auch wenn er diese Veranlagung in seinen
eineinhalb Jahren bei Barça selten nach-
weisen konnte. Salihamidzic sagt: „Mit
den Spielern, die wir verpflichtet haben, ha-
ben wir in Qualität und Breite einen sehr
guten Kader gewonnen, damit kann man
arbeiten. Unsere Aufgabe ist es nun, den
Trainer zu unterstützen, um diese Ziele,
die hochgesteckt sind, zu erreichen.“
Dass Coutinho nach München gekom-
men ist, sagt Rummenigge, liege auch an
dem guten Verhältnis, das die Bayern zum
FC Barcelona haben. Im Januar 2018 war
Coutinho für 145 Millionen Euro aus Liver-

pool nach Barcelona gewechselt, plus Bo-
nuszahlungen in Höhe von bis zu 15 Millio-
nen Euro. In der Mitteilung, in der die Bay-
ern am Montagvormittag den Transfer fix
vermelden, steht zwar: „Über die finanziel-
len Details der Vereinbarung haben die Par-
teien Stillschweigen vereinbart.“ Wenige
Minuten zuvor hatte Barcelona aber in der
eigenen Mitteilung finanzielle Fakten ver-
raten: Die Bayern zahlen 8,5 Millionen Eu-
ro Leihgebühr, im Sommer 2020 können
sie Coutinho fest für 120 Millionen Euro
verpflichten, außerdem zahlen sie das
komplette Gehalt des Spielers (angeblich
zwölf Millionen Euro – netto). Spieler und
Preis ergeben ein Paket, auf das die Bayern
nicht ganz zu Unrecht stolz sind.

Am Mittag verzichtet Rummenigge auf
weitere Tarnversuche, er sagt: „Das ist
auch irgendwo ein Freundschaftspreis.“
Vermutlich ist es genau so viel, dass Barce-
lona die Abschreibungen in der Bilanz de-
cken kann, die der Coutinho-Deal von 2018
in diesem Jahr verursacht. Was eine feste
Verpflichtung angeht, spricht Rummenig-
ge von einer „einseitigen Kaufoption, die
nicht preiswert ist“. Er sagt aber: „Ich
schließe nicht aus, dass das auch eine lang-
jährige Partnerschaft werden kann.“
Den Spieler, erzählt der Klubboss, habe
Salihamidzic übrigens auch für den FC Bay-
ern gewonnen, indem er ihm ein Geschenk
mit zu den Verhandlungen nach Barcelona
gebracht habe. Ein Trikot des FC Bayern,
darauf die Nummer 10. Es war ein Trikot,
auf dem nicht mehr „Robben“, sondern be-
reits der Name „Coutinho“ stand.

Berlin –Das Spielwar längst vorbei, doch


die Menschen auf den Rängen waren nicht


willens, zu gehen. Und sie waren auch


nicht bereit, sich dem Defätismus zu erge-


ben, der Enttäuschung, der Ernüchterung.


Im Gegenteil.
„Union Berlin.. .“, sangen sie im Stadion

An der Alten Försterei, „unsre Liebe/unsre


Mannschaft, unser Stolz/unser Verein/Uni-


on Berlin...“ Da capo al fine ging das; so lan-


ge, bis den Männern in den roten Trikots


gar nichts anderes mehr übrig blieb, als ei-


nen Gang anzutreten, der ihnen skurril vor-


gekommen sein dürfte. Eine Ehrenrunde


im eigenen Stadion zu drehen, nach einer


vollauf verdienten 0:4-Niederlage im ers-


ten Bundesligaspiel der Vereinsgeschichte


gegen RB Leipzig, auf die Idee muss man


auch erst einmal kommen.


„Wir sind angekommen – am Boden“, be-

fand Trainer Urs Fischer später im Presse-


raum des Stadions. „Leipzig war sehr ge-


fährlich, hatte eine unheimliche Dynamik,


Wucht und Schnelligkeit. Am Ende müs-


sen wir mit dem 0:4 zufrieden sein, die Nie-


derlage hätte deutlich höher ausfallen kön-


nen“, fügte er hinzu. Auch in der Mann-


schaft leugnete niemand die Ernüchte-


rung. „Wir müssen unsere Lehren daraus


ziehen. Wir sind ja nicht in der Bundesliga,


um uns abschlachten zu lassen“, sagte Uni-


ons Mittelfeldspieler Grischa Prömel.


Zwar hatte auch er sich den Kampf um

den Klassenerhalt nicht als Wochenend-


spaziergang ausgemalt. Doch eine so bruta-


le Begegnung mit der Wirklichkeit hatte


niemand erwartet. Den einzigen Trost


fand Trainer Fischer anderntags darin,


dass das multiple Organversagen, das sei-


ne Mannschaft offenbarte, nichts über ih-


re wahre Leistungsfähigkeit aussagt. Es wa-
ren so viele Spieler unter ihrer Normal-


form, dass das Potenzial nicht einmal annä-


hernd abgerufen wurde. Aus unerklärli-


chen Gründen. „Auch die Jungs haben kei-


ne Antwort“, sagte der Coach.


Und es stimmt ja: Eine solch hohe Sum-

me an individuellen und kollektiven Feh-


lern hat man selten gesehen. Sie führte,


wie Fischer meinte, per „Kettenreaktion“


zu einem Verlust an Selbstvertrauen, der


fast mit Händen zu greifen war. „Wir müs-


sen uns schnellstmöglich zurechtfinden“,
erklärte Fischer. „Es ist eine andere Liga,
da kommt eine andere Geschwindigkeit, ei-
ne andere Qualität. Wenn du fehleranfällig
bist, kriegst du die Quittung.“
Gegen Leipzig fiel sie auch deshalb so
hoch aus, weil den Toren durch Marcel
Halstenberg (16.), Marcel Sabitzer (31.), Ti-
mo Werner (42.) und Christopher Nkunku
(69.) eklatante statische Probleme ausge-
rechnet in der Defensive vorausgingen.
Diese war in der Aufstiegssaison, neben
der am Sonntag nicht wahrnehmbaren
Heimstärke, die vornehmste Tugend Uni-
ons gewesen. Auch am Montag noch war es
Fischer unerklärlich, wieso seine Mann-
schaft wirkte, als würde sie den Zweikämp-
fen ausweichen, anstatt sie zu suchen.

Die noch überschaubare, gleichwohl
größte Gefahr, die Union droht, dürfte der
Verlust jener Euphorie sein, die nach dem
Aufstieg im Mai gar nicht mehr abebben
wollte. Fußball ist ja auch eine Frage von
Gemütszuständen, im Stadium der Hoff-
nung lässt es sich viel leichter kämpfen –
auch ums Überleben. So gesehen erscheint
wenig tröstlich, dass Union am Wochenen-
de zum FC Augsburg reist. Dort steht Fi-
schers Schweizer Landsmann und Kollege
Martin Schmidt nach dem Pokalaus in Verl
und einem 1:5 bei Borussia Dortmund vor
der Notwendigkeit, einen Sieg zu erzielen.
Fischer zeigte sich genügsam. Es würde
guttun, wenn die Bemühungen seines
Teams mal mit einem Punkt belohnt wür-
den. „Es geht aber erst mal darum, eine
Leistung auf den Platz zu bekommen, mit
der man leben kann“, – Fischer weiß ja,
dass das Leben auch nach peinigenden Auf-
taktpleiten weitergeht. Sein erstes Spiel
als Profi des FC Zürich ging 1:6 verloren, ge-
gen den FC Sion. Er habe dennoch Verteidi-
ger in Zürich bleiben und eine dann 20-jäh-
rige Karriere erleben dürfen, scherzt Fi-
scher. Den Humor, immerhin, hat ihm das
0:4 nicht geraubt. javier cáceres

Berlin –Etwasüberrascht sah Timo Wer-
ner schon aus, als an der Außenlinie des
Stadions An der Alten Försterei die Tafel
mit der Nummer 11 hochgehalten wurde.
Und somit das Signal kam, dass er seine
Schicht nach 65 Minuten beenden und ge-
gen Christopher Nkunku, Rückennum-
mer 18, ausgetauscht werden sollte. Die
Verblüffung war nachvollziehbar: Werner
hatte nicht nur ein formidables Tor erzielt
(42.). Er hatte mit einer Energieleistung da-
zu beigetragen, dass sich zwischen RB Leip-
zig, seiner Mannschaft, und dem Bundesli-
gadebütanten FC Union Berlin eine Kluft
aufgetan hatte, die das Endergebnis ange-
messen spiegelte, Leipzig siegte mit 4:0.
Warum ich?, schien Werners Gesicht zu
fragen, ich hab’ doch gut gespielt! Wenn er
Zweifel gehabt haben sollte, dass sein neu-
er Trainer Julian Nagelsmann das irgend-
wie anders gesehen haben könnte, wurden
diese rasch zerstreut. Denn Nagelsmann
war anschließend voll des Lobes.
„Er ist ein wichtiger Spieler, hatte groß-
artige Eins-zu-eins-Situationen, viel
Speed und hat ein tolles Tor geschossen.
Wir brauchen ihn“, sagte der bisherige
Coach der TSG 1899 Hoffenheim: „Ich hof-
fe, dass er bleibt.“
Werner wird, so viel steht fest, mindes-
tens in der Saison 2019/20 in Leipzig blei-
ben. Am Sonntagabend, das Spiel in Berlin-
Köpenick war gerade beendet, kursierte
die Meldung derBild-Zeitung, wonach der
FC Bayern Werner für diesen Sommer end-
gültig abgesagt habe. Beim Weitertrans-

port der Meldung ging ein Detail unter, das
durchaus wichtig ist: Werner selbst hatte
schon vor Wochen von dem Gedanken Ab-
stand genommen, jetzt nach München zu
gehen. Er hatte das offensive, öffentliche
Werben der Bayern um Leroy Sané (Man-
chester City) sehr aufmerksam verfolgt –
und fühlte sich in einer Weise hingehalten,
die ihm, immerhin Mittelstürmer der deut-
schen Nationalmannschaft, nicht behagte.
Zumal er im Sommer auch das Interesse
von Topadressen wie Liverpool, Paris Saint-
Germain, Atlético Madrid und AS Rom auf
sich gezogen hatte. Nach allem, was man
über Werner verlässlich weiß, steht ein
Wechsel ins Ausland für ihn zum gegenwär-
tigen Zeitpunkt nicht zur Debatte. Mit

23Jahren wähnt er sich in einem Alter, in
dem er sich auch noch in Deutschland fort-
entwickeln kann und will. Aber wer weiß,
wie sich das alles mittelfristig darstellt.
Kurzfristig wird er sich entscheiden
müssen, ob er das noch immer gültige An-
gebot der Leipziger annimmt, den Vertrag
zu verlängern. Jenseits der sportlichen Er-
wägungen ist das für Leipzig auch von wirt-
schaftlichem Interesse, Werner ist nur
noch bis zum Sommer 2020 an Leipzig ge-
bunden ist. Danach könnte er ablösefrei
wechseln, was wiederum die Aussicht auf

eine sattesigning feebietet, also für Wer-
ner persönlich lukrativ wäre. Diese verlo-
ckende Perspektive erklärt auch, warum
der Schwabe den öffentlich und mitunter
ultimativ formulierten Bitten der Leipzi-
ger standhielt, sich endlich pro oder contra
Vertragsverlängerung zu entscheiden.
Diese Dringlichkeit halten die Leipziger
aber weiter aufrecht. Am Sonntag erklärte
Manager Markus Krösche in Berlin, dass

es schon „in den nächsten Tagen definitiv
eine Entscheidung geben wird. So oder so.“
Man wolle die Personalie „nicht ins Unend-
liche ziehen“, Werners Berater sähen „das
auch so“. Werner soll durchaus gespannt
darauf sein, wie sich Leipzig unter Nagels-
mann entwickelt, welche Impulse der neue
Trainer ihm persönlich gibt. Wie sich die
Lage in München entwickelt, ist eine ähn-
lich faszinierende Frage. Der FC Bayern
bleibt für Werner objektiv eine reizvolle Op-
tion, bei der Entscheidung, einen Wechsel
nach München hintanzustellen, liegt die
Betonung auf dem Wörtchen: jetzt.
Eine Verlängerung in Leipzig bei deut-
lich angehobenen Bezügen und einer realis-
tischen Ausstiegsklausel ist daher nicht
von vornherein auszuschließen. Eine Ten-
denz mag RB-Manager Krösche zwar noch
nicht erkennen, alles sei in der Schwebe.
„Das ist Timos Entscheidung“, sagte er,
„wir haben alles getan, haben ihm alle
Wertschätzung, die man als Verein geben
kann, entgegengebracht.“ Aber für Leipzig
läge die Sache klar. „Wir wollen unbedingt
mit ihm verlängern. Man sah auch heute,
dass er uns unheimlich helfen kann, unse-
re Ziele zu erreichen“, sagte Krösche, der
auch dies feststellen konnte: Das Geraune
um seine Zukunft kann Werners Leistung
nichts anhaben.
Und wer weiß, vielleicht wollte Nagels-
mann Werner ja auch nur für die kommen-
den Aufgaben schonen. Zum Beispiel für
den 14. September, wenn der FC Bayern in
Leipzig zu Gast ist. javier cáceres

DEFGH Nr. 191, Dienstag, 20. August 2019 HF2 23


Sogar Robben stimmt zu


Durch die Leihe von Coutinho löst der FC Bayern gleich zwei Probleme: Er bekommt mehr Kreativität für das


bisweilen vorhersehbare Offensivspiel – und er hat einen Spieler geholt, der die Transferbemühungen rettet


Zu den Verhandlungen brachte


Sportdirektor Salihamidzic bereits
ein Trikot mit der Nummer 10 mit

„Wir sind angekommen –


am Boden“


Union Berlin rätselt über das schwache Gesamtbild beim Debüt


Kleiner Dank an URS: Erst der Schweizer Trainer Urs Fischer fand einen Weg, die


Unioner aus Köpenick in die erste Liga zu lotsen. FOTO: BRITTA PEDERSEN / DPA


Schwabe in der Schwebe


Nachdem Timo Werner in dieser Saison nicht zum FC Bayern wechseln wird, hofft Leipzig auf eine Vertragsverlängerung


Kam 2016 vom VfB Stuttgart nach Leip-
zig: Timo Werner. FOTO: BEHRENDT / IMAGO

Die 8,5 Millionen Euro Leihgebühr


nennt Klubboss Rummenigge
einen „Freundschaftspreis“

Die größte Sorge ist nun, dass


die durch den Aufstieg erzeugte
Euphorie verloren geht

Der Stürmer selbst wollte am


Ende nicht mehr zum Meister


nach München wechseln


SPORT


Der neue Zehner: Bayern-Vorstand Rummenigge und Sportdirektor Salihamidzic überreichen Coutinho das Trikot mit der Nummer für Regisseure. FOTO: STACHE / AFP
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