München– Sietanzen und singen, schwin-
gen Tücher und Besen. Pailletten glitzern,
Teller fliegen. Das kann nur eine Musical-
premiere sein. Walt Disney würde ob die-
ser Anfangsszene von „Dornröschen“ vor
Neid erblassen. Auch dieses Jahr gastieren
die Brüder-Grimm-Festspiele Hanau zwei
Wochen lang am Deutschen Theater in
München, um hier eine moderne, man
möchte fast sagen „schmissige“ Musical-
Adaption des Klassikers zu zeigen. Die
Handlung: Dornröschen (Sophia Euskir-
chen) wird von der guten Fee Aurora (Jan-
ne Marie Peters) am letzten Tag ihres hun-
dertjährigen Schlafes geweckt. Der Haken
an der Sache: Eigentlich schläft sie noch
und muss im Traum dafür sorgen, dass
Prinz Alexander sie tatsächlich wachküsst.
Klingt ein bisschen nach dem Science-Fic-
tion-Film „Inception“ frei nach den Gebrü-
dern Grimm. Und ist mindestens genauso
verwirrend.
Aurora führt Dornröschen und das Pu-
blikum durch ihre Vergangenheit – die
Hauptperson ist abwechselnd begeistert
und entsetzt, während sie dem wilden Trei-
ben auf der Bühne zuschaut und von Auro-
ra immer wieder in die Szenen gezaubert
wird. Die Zuschauer verfolgen Dornrös-
chens ganzes Leben, leiden und lachen mit
ihr. Dass die Protagonistin etwas eigensin-
nig ist, verleitet den Hofmarschall zu ei-
nem Zitat aus der Kinokomödie „Fack ju
Göhte“: „Dornröschen, heul leise!“. Die Zu-
schauer glauben mehr zu wissen als die Fi-
guren und wiegen sich in Sicherheit, bis sie
völlig überrascht werden und das Mitfie-
bern vor dem großen Finale beginnt.
Sowohl die jungen als auch die älteren
Zuschauer sind bei der sehr charmant in-
szenierten Kennenlernszene von Dornrös-
chen und ihrem Auserwählten gebannt
und lachen über den Schlagabtausch, den
sich Prinz Alexander (Kurosch Abbasi) und
Dornröschen liefern. Das ganze Ensemble
ist stimmgewaltig, allen voran Franziska
Becker, die es schafft, die Boshaftigkeit ih-
rer Figur mal leise drohend, mal laut grol-
lend darzustellen und auch die Verletzun-
gen der bösen Fee intoniert.
Der Komponist Marian Lux sitzt im Pu-
blikum und singt fast jedes Stück mit,
nach dem grandiosen Terzett der drei Feen
wird er von seinem Sitznachbarn umarmt.
Der Song ist ein Höhepunkt. „Wir haben
auch beim Schreiben gesagt, dass wir hier
drei starke Frauen haben, dass muss ein-
fach knallen“, sagt der Autor Wolfgang
Adenberg nach der Vorführung. Rettender
Prinz hin oder her, dieses Stück gehört auf
jeden Fall den Frauen. „Dornröschen ist ei-
ne sehr emanzipierte Figur“, betont Aden-
berg. Diese Emanzipiertheit fällt bei Dorn-
röschen sehr launisch aus, aber sie ist ja
auch erst 17. anna weiß
Dornröschen – Das Musical, läuft noch bis 31. Au-
gust, Mi.-Sa. 19.30 Uhr, So. 16 Uhr, Deutsches Thea-
ter, Schwanthalerstraße 13,t55 23 44 44
München– Wer sich auf einen ungewöhn-
lichen architektonischen Stadtspazier-
gang durch Rom begeben will, kann dies
derzeit in der Staatlichen Münzsammlung
in der Münchner Residenz tun. Kirchen,
Paläste und Residenzen, Straßen und Platz-
anlagen mit Obelisken und Brunnen, Stadt-
mauern, Brücken und Wasserleitungen bis
hin zur außerhalb Roms gelegenen Hafen-
anlage, aber auch idealisierte und chiffre-
hafte Architekturen funkeln zumeist silb-
rig im Licht der Vitrinen.
Dazu zeigt die Ausstellung mit einem
Folianten von 1679 die älteste Medaillenge-
schichte der Päpste in Buchform, stellt ein
hübsches Kästchen mit 247 in elf Schubla-
den verwahrten Papstmedaillen des Nürn-
berger Verlegers Caspar Gottlieb Lauffer
aus, geht ein wenig auf Sammlungsge-
schichte ein und wirft einen Blick auf Me-
daillentraditionen in Europa. In Deutsch-
land ragten die Reichsstädte Nürnberg
und Augsburg hervor, und in Frankreich
gab LudwigXIV. königlich-französische
Medaillenserien in Auftrag. Auch inner-
halb Italiens fanden sich Darstellungen
von Städten in diesem Format. Doch keine
Stadt wurde so häufig auf Medaillen ver-
ewigt wie Rom, die ewige Stadt.
Auftraggeber dieser Architekturmedail-
len, deren Hochblüte zwischen 1460 und
1670 lag, waren vor allem die Päpste. Sich
selbst zum Ruhm und zum Lob der Stadt
ließen sie Medaillen prägen, die auf einer
Seite ihr eigenes Konterfei zeigte, auf der
anderen ein von ihnen erbautes oder ge-
plantes Gebäude. Die Liste umfasst nicht
weniger als 18päpstliche Auftraggeber
und reicht von Paul II. bis Alexander VI. Ei-
nige Päpste waren so interessiert, dass sie
sich selbst an den Entwürfen beteiligten.
Angesichts der langen Bauzeit unter ent-
sprechend vielen Päpsten wurde kein ande-
re Gebäude so oft auf Medaillen dargestellt
wie die päpstliche Basilika St. Peter. Um
1580 werden vermehrt die beiden Haupt-
kirchen San Giovanni in Laterano und San-
ta Maria Maggiore abgebildet und seit Ur-
ban VIII., also von 1623 an, tauchen auch
kleinere Kirchen auf Medaillen auf. Sie alle
zeichnen einen Stadtplan des päpstlichen
Rom nach, das die antike Stadt ignorierte.
Auch einflussreiche Kardinäle, unter ih-
nen besonders Alessandro Farnese, taten
es den Päpsten gleich. Zudem rückten an-
dere Auftraggeber wie Jacopo Gottifredi,
Leibarzt PaulsII., der päpstliche Baumeis-
ter Donato Bramante oder der Militärkom-
mandant Niccolò Todini ihre Bauten ins
rechte Licht, indem sie die entsprechen-
den Gebäude auf Medaillen prägen ließen.
Bei der Vielzahl bedeutender Auftragge-
ber traten die Medailleure in den Hinter-
grund. Dabei lässt sich anhand er ausge-
stellten Objekte vor allem aus den Händen
von Gaspare Mola und Gaspare Morone
Mola gut erkennen, wie sich im Verlauf von
zwei Generationen die Darstellungsweise
und Prägetechnik veränderte. Neben Au-
ßen- traten Innenansichten, man experi-
mentierte mit Perspektiven und schuf at-
mosphärisch dichte Platzansichten. Die
Medaillenkunst wurde immer detaillierter
und feiner, bis Medaillenbilder kompo-
niert wurden, die mit dem Charakter der
Veduten von Kupferstechern konkurrie-
ren konnten. evelyn vogel
Die silberne Stadt. Rom im Spiegel seiner Medail-
len, Staatliche Münzsammlung, Residenzstraße 1,
bis30. Mai, Di.-So. 10-17 Uhr
Die Zuschauer glauben mehr
zu wissenals die Figuren und
wiegen sich in Sicherheit
Gewähren ihren Gästen viel Raum für persönliche Anliegen – und geben schon mal Lebenshilfe: die beiden Moderatorinnen Esther Diestelmann (links) und Julia Viechtl (rechts). FOTO: CATHERINA HESS
Vor allem Päpste gaben
die Medaillenbildnisse
in Auftrag
Wachgeküsst
Ein modernes„Dornröschen“ im Deutschen Theater
von thomas jordan
U
m zu erfahren, was die kreativsten
Köpfe Münchens umtreibt, braucht
es gar nicht viel: Nur ein schmales,
schwarzes Sofa und einen verschrammten
Beistelltisch mit ein paar Mikrofonen. Die
Einrichtung im Interviewraum von Radio
Feierwerk ist schlicht und funktional. Und
ein bisschen ramponiert wirkt sie auch.
„Shabby“, wie Esther Diestelmann und Ju-
lia Viechtl sagen würden. Der Ort, an dem
die „Nahaufnahme“, der Podcast des Ju-
gendkulturzentrums Feierwerk, jeden Mo-
nat entsteht, hat selbst viel von dem, was
die Münchner Subkultur ausmacht. Ir-
gendwie passend. Denn um deren Macher
geht es in der „Nahaufnahme“ schließlich.
Seit Anfang 2018 betreiben Viechtl und
Diestelmann ihren Podcast. 14 Folgen da-
von kann man inzwischen im Netz abru-
fen. Daniel Hahn war schon da, der einen
Dampfer zerlegen und wieder zusammen-
setzen ließ und heute mit der Alten Utting
die ausgefallenste Feier-Location Mün-
chens betreibt. Genauso wie der Chef des
Szene-Clubs Harry Klein, David Süss. Von
ihren Gästen wollen die beiden wissen,
was sie antreibt und was ihnen beim Durch-
halten hilft. „Wir fragen: Wie oft wolltest
du hinschmeißen, und warum hast du es
trotzdem durchgezogen?“, sagt Diestel-
mann. Dazu haben sich die beiden Modera-
torinen drei Kategorien ausgedacht, zu de-
nen sie ihre Gäste befragen. Zeit, Sein und
Laster. Ein lockerer Rahmen, mehr nicht.
Denn eigentlich geht es vor allem darum,
die Menschen hinter der neuen Platte oder
dem neuem Kunstprojekt genauer kennen-
zulernen.
Viechtl und Diestelmann sind gut ver-
netzt in der Münchner Szene. Die eine,
Viechtl, hat Geige studiert, spielte lange in
einer Indie-Band und hat schon von Berufs
wegen den Überblick darüber, was in Mün-
chen musikalisch gerade angesagt ist. Sie
leitet die städtische Fachstelle Pop im Fei-
erwerk und fördert Münchner Bands. Die
andere, Diestelmann, ist gelernte Journa-
listin, seit Jugendtagen großer Hip-Hop-
Fan und als Chefredakteurin des Radio Fei-
erwerk Herrscherin über die Mikrofone.
Bevor es mit dem „Anarcho-Ding“, wie
Diestelmann den Podcast nennt, losging,
haben sich die beiden Moderatorinnen ei-
ne Liste mit 30Namen aus der Freien Sze-
ne in München gemacht. Leute, die sie
kannten, oder die sie gerne kennenlernen
wollten. Seien es nun Szene-Größen wie
der Rapper Keno Langbein, dessen Brass-
bandMoop Mamaden inoffiziellen Sound-
track Münchens geschrieben hat. Oder
Menschen, die eher im Hintergrund wir-
ken. Wie die Veranstalterin des Tunix- und
des Garnix-Festivals an der TU München,
Alessa Patzer.
„Wir haben gemerkt: Das sind alles sehr
zähe Persönlichkeiten“, sagt Esther Diestel-
mann. Wer in München unabhängige Kul-
turprojekte auf den Weg bringt, bei denen
der finanzielle Gewinn nicht im Vorder-
grund steht, der braucht oft drei oder vier
verschiedene Standbeine. So wie Roger
Rekless, der kürzlich in der „Nahaufnah-
me“ zu Gast war. Der Münchner Rapper
und Moderator spielt nebenher in einer Me-
tal- und einer Jazz-Band und schreibt Bü-
cher. „Wenn du davon leben willst, musst
du dich sehr breit aufstellen“, sagt Diestel-
mann, „und den Tanz zwischen städti-
scher Förderung und eigenen Projekten be-
herrschen.“ Von Enttäuschungen und
Rückschlägen auf diesem Weg kann fast je-
der berichten, der bei Viechtl und Diestel-
mann auf der schwarzen Ledercouch zu
Gast war.
Oft wirkt der Podcast wie ein lockerer
Feierabend-Plausch unter Freunden. Das
liegt vor allem daran, dass die beiden Mode-
ratorinnen ihren Gästen viel Raum geben,
sich im Gespräch zu entfalten, eigene Anlie-
gen einzubringen. „Wie Leute etwas be-
gründen, sagt viel über sie selbst aus“, sagt
Esther Diestelmann. Im Gespräch mit
Keno Langbein fanden die beiden heraus,
warum es dem Rapper einmal trotz gro-
ßem Bemühen nicht gelungen war, eine
weibliche Co-Sängerin zu finden: Nur den
Refrain zu singen, war den jungen Musike-
rinnen einfach zu langweilig. Die Südtiro-
ler Schlagzeugerin und Sängerin Maria de
Val erzählte davon, wie ihre Eltern mit
ihrem Kirchenaustritt umgehen. Und
manchmal leisten Viechtl und Diestel-
mann auch Lebenshilfe on air. Mit dem
Sänger der IndiebandKytes, Michi Spieler,
sprachen sie über Eitelkeit und seine
Sorge, irgendwann einmal Geheimrats-
ecken zu bekommen.
Und dann gibt es in der Nahaufnahme
noch diese Momente, in denen es um-
schlägt. In denen im Gespräch plötzlich ein
sensibler Punkt erreicht wird. Wo etwas,
das mit Musik begann, plötzlich beim Geld
oder der Gesundheit angelangt ist. Die gro-
ße Offenheit und Natürlichkeit der „Nah-
aufnahme“ fördert in solchen Fällen mitun-
ter heftige Reaktionen zu Tage. „Bei uns
wird auch geweint“, sagt Julia Viechtl. So
sprach der Rapper Rekless in der „Nahauf-
nahme“ unverblümt über seine Depressio-
nen und wie diese Phasen seine Musik be-
einflussen.
„Wir hätten uns nie vorstellen können,
ein anderes Format als den Podcast zu ma-
chen“, sagen die Moderatorinnen. Denn
die Intimität, um die es den beiden im Ge-
spräch geht, wird durch das Audioformat
begünstigt. Viele Gäste vergessen irgend-
wann, dass auf dem kleinen schwarzen Bei-
stelltisch im Radio Feierwerk Mikrofone
stehen. Und so mancher bereut womöglich
später das allzu ehrliche und offene Ge-
spräch: „Unsere Gäste müssen sich öfters
mal bei Freunden oder Verwandten für das
entschuldigen, was sie bei uns gesagt ha-
ben“, sagt Julia Viechtl.
Das Konzept Nahaufnahme gelingt
auch deshalb so gut, weil die Moderatorin-
nen auch Privates von sich selbst preisge-
ben. Etwa den Ärger über die oberlehrer-
haften Kommentare, die Julia Viechtl als
weibliche Bassistin an einem vermeintli-
chen Männerinstrument immer wieder zu
hören bekommt. „Wir schneiden eigent-
lich nichts raus“, sagt Diestelmann. Außer
ein Gast wünsche das ausdrücklich.
Nach jahrelangen eigenen Erfahrungen
und vielen Gesprächen mit Kulturma-
chern gibt es so schnell nichts mehr, das
Viechtl und Diestelmann an der Münchner
Szene überrascht. Möchte man meinen.
Hier kenne jeder jeden, sagen die beiden
Moderatorinnen, und ständig müsse sich
die Subkultur in München gegen das Kli-
schee wehren, nicht cool zu sein.
Und dann sprachen die beiden für ihren
Podcast mit der Veranstalterin Émelie Gen-
dron. Dabei erfuhren sie, warum die Kana-
dierin aus Montréal mit seiner berühmten
freien Musikszene an die Isar gezogen ist:
genau, der Münchner Subkultur wegen.
Im Netz zu finden: nahaufnahme.podigee.io, außer-
dem bei Spotify und iTunes
Alle Werke führen nach Rom
DieMünzsammlung zeigt die Metropole im Spiegel ihrer Medaillen
Drei herausragende römische Darstellungen auf Medaillen (von links): Der Petersdom (Paul V., 1608), das Kapitol (Pius VII.,
- und der Vierströmebrunnen mit Obelisk auf der Piazza Navona (Innozenz X., 1649). FOTOS: SERGIO CASTELLI
Die Stimmung kippt: Dornröschens 17. Geburtstag ist aufgrund einer etwas ausge-
dehnten Schlafphase eigentlich ihr 117. FOTO: HENDRIK NIX
„Bei uns wird auch geweint“
Unter dem Motto „Nahaufnahme“ stellen Julia Viechtl und Esther Diestelmann die Macher der Münchner Subkultur vor –
mit ihren Stärken, aber auch mit ihren Schwächen. Dabei kochen die Emotionen manchmal hoch
HÖRT, HÖRT!
Kultur-Podcasts aus München
SZ-Serie• Folge 2
R12 (^) KULTUR Dienstag, 20. August 2019, Nr. 191DEFGH