Handelsblatt - 20.08.2019

(Michael S) #1

Zulieferer


Continentals


Bleiproblem


D


as Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) prüft der-
zeit einen Fall, in den Continental verwi-
ckelt ist. Jahrelang hat der Zulieferer an
Fahrzeughersteller elektronische Komponenten
mit zu hohem Bleigehalt ausgeliefert. Nach eige-
nen Angaben wurde der 2016 von der EU festge-
legte Bleigrenzwert um 0,0003 Gramm je betrof-
fener Komponente überschritten.
Nun wirkt diese Überschreitung auf den ersten
Blick nicht wirklich dramatisch. Allerdings zählt
Blei zu jenen Schwermetallen, mit denen der
Mensch am besten gar nicht in Berührung kom-
men sollte. Bereits kleine Dosen Blei können
schädigende Auswirkungen auf das Nerven- und
Blutbildungssystem sowie auf die Nieren haben.
Bei den Teilen mit erhöhtem Bleiwert handelt
es sich vor allem um Komponenten für Leiter-
platten und Steuergeräte sowie Kondensatoren.
Continental hatte die Teile von verschiedenen
Zulieferern erhalten, allerdings hatten diese kei-
ne Typengenehmigung für die neuen Grenzwer-
te. Die „Bild am Sonntag“ hatte zunächst berich-
tet, dass die fehlerhaften Bauteile von einem chi-
nesischen Zulieferer stammen würden. Ein
Continental-Sprecher teilte auf Anfrage mit, dass
derzeit geprüft werde, wie es zu diesem Richtlini-
enverstoß kommen konnte und wie viele Fahr-
zeuge betroffen sind.
Die „Bild am Sonntag“ spricht von rund 50 Mil-
lionen Fahrzeugen, nennt allerdings keine Quel-
le. Außerdem beruft sich die Boulevardzeitung
auf vertrauliche Dokumente, die dem nieder-
sächsischen Umweltministerium vorliegen, de-
nen zufolge es Continental erst im Laufe des
kommenden Jahres schaffen werde, alle betroffe-
nen Bauteile in einem gesetzeskonformen Zu-
stand zu liefern. Damit wäre der Produktions-
start der achten Generation des VW Golfs in Ge-
fahr. Ein Sprecher des Hannoveraner Zulieferers
konnte das nicht bestätigen. Gemäß dem Plan,
der mit dem Umweltministerium Niedersachsen
ausgearbeitet wurde, und den Absprachen mit
den Kunden erwarte Continental keine Anlauf-
verzögerung bei der Typengenehmigung der
neuen Elektrokomponenten.
Für den Endkunden dürfte der erhöhte Blei -
gehalt keine Auswirkungen haben. So haben die
Komponenten von Fahrzeugen, die vor 2016 pro-
duziert wurden, höhere Bleiwerte. Die Entsor-
gung von Fahrzeugen mit höherem Bleigehalt ist
für Autobesitzer zudem nicht teurer.
Für Continental wiederum hängt nun alles von
der Entscheidung des KBA ab. Sollte die Behörde
wegen des erhöhten Bleigehalts der Bauteile ei-
nen Rückruf anordnen, könnten auf den Zuliefe-
rer unkalkulierbare Kosten zukommen. Denn die
fehlerhaften Komponenten dürften in Millionen
von Fahrzeugen verbaut sein. R. Tyborski

von 330 Prozent. Die meisten Mängel gingen auf


Probleme am Antriebsstrang, an den Airbags und


an der Karosserie zurück. Mercedes hat im ersten


Halbjahr 2019 fast 500 000 Autos in die Werkstät-


ten holen lassen und kommt damit auf eine Rück-


rufquote von 300 Prozent. Beim Stuttgarter Her-


steller verursachten Airbags die größten Probleme.


„Alles bleibt auf einem hohen Niveau“, fasst CAM-


Professor Stefan Bratzel die aktuelle Lage zusam-


men, „und die Deutschen sind voll mit dabei.“


Bratzel hält die jüngsten Ergebnisse für wenig


vertrauenserweckend für die gesamte Autobran-


che. „Wenn zehn von 16 untersuchten Herstellern


wegen sicherheitstechnischer Mängel mehr Fahr-


zeuge zurückrufen müssen, als sie im gleichen


Zeitraum verkauft haben, ist das insgesamt ein


bedenkliches Qualitätsniveau der Branche“,
warnt der Autoprofessor.
Das Risiko großer Rückrufaktionen sei durch
Plattform- und Gleichteilestrategien sowie globale
Produktionsnetze erheblich gestiegen, erklärte
Bratzel weiter. Außerdem habe die technische
Komplexität der Fahrzeuge deutlich zugenom-
men. Zugleich würden sicherheitsrelevante Män-
gel in den wichtigsten Absatzmärkten nicht mehr
toleriert. Kunden seien über das Internet immer
besser informiert, die Hersteller müssten bei dro-
hendem Imageverlust schneller reagieren.
Manche Hersteller und Zulieferer betrieben zur
kurzfristigen Gewinnmaximierung eher reaktive
Systeme beim Qualitätsmanagement – die erst
dann richtig funktionierten, wenn etwas passiert
sei. Außerdem habe so mancher Hersteller die
Entwicklungszyklen reduziert, was sich sofort bei
der Qualität niederschlage.

Die Komplexität nimmt zu


Autoprofessor Bratzel rät der Branche zu mehr
Qualität, gerade auch wegen der zu erwartenden
höheren Anforderungen in der Zukunft. Durch
Elektrifizierung, Digitalisierung und autonomes
Fahren werde die Komplexität sogar noch zuneh-
men. „Die Cybersecurity von Fahrzeugen wird
insgesamt zum großen Sicherheits- und Qualitäts -
thema der Branche aufsteigen, das wesentlich
über die Akzeptanz von neuen Wachstumsfeldern
der Automobilindustrie entscheidet“, folgert der
Hochschullehrer.
Vertreter der Autobranche sehen die Lage
nicht ganz so dramatisch. „Rückrufaktionen spie-
geln die hohe Verantwortlichkeit der Autoindus-
trie für ihre Kunden auch bei komplexer werden-
den Fahrzeugen wider“, heißt es beim Verband
der Automobilindustrie (VDA). Die Fahrzeugher-
steller optimierten ihre Qualitätssysteme laufend,
die Sensibilität sei gerade bei sicherheitsrelevan-
ten Teilen hoch. „Insgesamt sind Autos deutscher
Marken zuverlässig und haben eine hohe langfris-
tige Produktqualität“, verlautet zudem aus Bran-
chenkreisen.
Beim Zulieferkonzern Continental war die vom
Verband verkündete Sensibilität offenbar nicht
groß genug. Das Unternehmen hat über Jahre
hinweg Bauteile mit zu hohem Bleigehalt an seine
Kunden in der Automobilindustrie geliefert. Die
genaue Menge der betroffenen Fahrzeuge ist
noch nicht ermittelt, eine zweistellige Millionen-
zahl dürfte es allerdings werden. Angesichts mög-
licher Belastungen in Milliardenhöhe kann Conti-
nental nur hoffen, dass die Aufsichtsbehörden
keinen umfassenden weltweiten Rückruf verlan-
gen werden.


Kommentar Seite 29



IAN LANGSDON/EPA-EFE/REX

Das ist


insgesamt ein


bedenkliches


Qualitäts -


niveau der


Autobranche.


Stefan Bratzel
Autoexperte CAM

BMW und Honda müssen am häufigsten nachbessern


Zahl der zurückgerufenen Fahrzeuge im ersten Halbjahr 2019


554 755


280 917


113 262 105 143


HANDELSBLATT


BMW VW Mitsubishi Toyota


95 195


Ford


4,03 Mio
4,01 Mio

2,14 Mio


3,85 Mio


Honda Fiat Chrysler Ford Subaru


1,55 Mio


VW


Quellen: KBA/Gepa/Kfz-Rueckrufe.de, auto-institut.de

Deutschland USA


Continental:
Komponenten mit
zu hohem Bleigehalt
ausgeliefert.

REUTERS

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