Handelsblatt - 20.08.2019

(Michael S) #1

Georg Weishaupt Rottendorf


B


ernd Freier mag keine
großen öffentlichen Auf-
tritte und gibt keine In-
terviews. Aber der Inha-
ber der Modegruppe
S.Oliver hat sich zum 50-jährigen Fir-
menjubiläum ein Denkmal gesetzt. In
einem abgeteilten Raum des Foyers
seiner Firmenzentrale in Rottendorf
bei Würzburg hat er ein Museum ein-
gerichtet: Fotos und Objekte von
Freunden des Hauses und Sponsor-
Partnern wie Wladimir Klitschko,
Dieter Bohlen und Stargeiger David
Garrett schmücken die Wände.
Es ist der Rückblick auf eine Er-
folgsstory: Wie Freier aus einer klei-
nen „Herren-Boutique“ in Würzburg
einen der führenden Modekonzerne
Europas geformt hat, mit einem Um-
satz von 1,3 Milliarden Euro. Doch
ein Blick nach vorn zeigt: S.Oliver
muss kämpfen, um diese Marktpositi-
on zu verteidigen.
Die Branche ist im Umbruch. On-
line-Plattformen wie Amazon und Za-
lando erobern Marktanteile. Billigket-
ten wie Primark, Kik oder Takko bau-
en ihr Filialnetz immer weiter aus
und greifen die Marken in der Mitte
des Markts an. Viele Konkurrenten
von S.Oliver wie Tom Tailor oder
Esprit kämpfen ums Überleben.
Und der Druck nimmt zu. „
werden nur zwei Marktsegmente
überdurchschnittlich wachsen“, er-
wartet Achim Berg, Experte für die

Mode- und Luxusbranche bei McKin-
sey. „Das Value-Segment, also preis-
bewusste Mode, wird um fünf bis
sechs Prozent zulegen, das Luxusseg-
ment um 4,5 bis 5,5 Prozent.“ Gerade
dieses Value-Segment setzt dem bis-
herigen mittleren Marktsegment
stark zu. „Wir nehmen diesen Wan-
del sportlich: Weil wir auch in Zu-
kunft wachsen wollen und angrei-
fen“, gibt sich S.Oliver-Eigentümer
Freier kämpferisch im Grußwort zum
Firmenjubiläum. Der Mittelständler
muss das Profil der Marke schärfen,
das Onlinegeschäft ausbauen und ei-
nen Nachfolger für den noch amtie-
renden CEO Bernd Freier finden.
Für den „Angriff “ soll Dirk Schnei-
der sorgen. Der neue Chief Digital Of-
ficer kam vor einem Jahr von Ama-
zon, wo er das deutsche Modege-
schäft und die paneuropäischen
Marken leitete, zur Modegruppe
nach Rottendorf. „Es gab bei S.Oliver
viele gute Ideen“, gibt sich Schneider
diplomatisch. „Aber es wurde zu
stark auf eine Karte gesetzt“, kriti-
siert er. Er hat deshalb eine ganz
neue Einheit geschaffen, die sich
„s.O.Excited“ nennt. Mit seinem jun-
gen Team will er vieles ausprobieren
wie bei einem Start-up. „Wir testen
neue Ideen schon in einem frühen
Stadium nach wenigen Wochen bei
den Kunden. So sehen wir sehr
schnell, ob wir die Idee weiterentwi-
ckeln oder wieder verwerfen“, be-

schreibt Schneider den neuen Geist
im Familienunternehmen.
So entstand auch das sogenannte
Showrooming-Konzept. Da zeigt das
Unternehmen nicht mehr im Laden
eine ganze Kollektion in allen Grö-
ßen, sondern beschränkt sich auf je-
weils einen Teil in einer Größe. Kun-
den können sich ihre gewünschte
Größe über einen Tabletcomputer im
Laden oder das eigene Smartphone
nach Hause oder in den Laden be-
stellen. Der Händler will das Konzept
demnächst in einem Stuttgarter La-
den mit der Kinderkollektion testen.

S. Oliver


Raus aus dem Mode-Museum


Unternehmen in der Mitte des Modemarktes haben es immer schwerer zu überleben. S.Oliver will


mit einem klareren Markenprofil, einer neuen Digitalstrategie und einem neuen Chef durchstarten.


Kollektion zum



  1. Geburtstag:
    S.Oliver will sich
    stärker vom
    Massengeschäft
    abgrenzen.


s.Oliver

Dort reichen zehn Quadratmeter, um
die ganze Kollektion zu zeigen.
Kommt das gut an, kann sich Schnei-
der vorstellen, „dass wir mit dem
Showrooming-Konzept Ministores er-
öffnen“. So will er auch das Online -
geschäft ausbauen, das nach den zu-
letzt veröffentlichten Zahlen für 2017
rund 16 Prozent vom Gesamtumsatz
von 1,3 Milliarden Euro erreichte.
Der Mittelständler aus Nordbayern
kann vieles ausprobieren, weil er fi-
nanziell gut aufgestellt ist im Gegen-
satz zu manchen Modefirmen wie Re-
né Lezard oder Strenesse, die schon
zweimal Insolvenz anmelden muss-
ten. Das Unternehmen verzichtet
weitgehend auf Bankkredite und kam
2017 auf eine hohe Eigenkapitalquote
von 66 Prozent. So erzielte die Grup-
pe eine Marge des operativen Ge-
winns (Ebit) von 8,6 Prozent.
Das liegt auch daran, dass Firmen-
inhaber Freier lange Zeit mit seiner
Modegruppe gut verdient hat. Der
Mann, der neben seiner Lehre zum
Karosseriebauer in Berlin in einer
Boutique jobbte, startete später in
seiner Heimatstadt Würzburg selbst
mit einer kleinen Boutique. Als er
Probleme mit einem Hemdenliefe-
ranten hatte, flog er nach Indien, um
die Textilien beim Hersteller selbst
einzukaufen. So wird er vom Einzel-
zum Großhändler. Und profitiert mit
seinen sogenannten Madras-Hemden
vom damaligen Indien-Boom.

Modebranche in Deutschland
Einzelhandelsumsätze (brutto) mit Bekleidung und Textilien
in Mrd. Euro

65 Mrd. €


Ohne Umsätze von Großhandel, Industrie und Handelsvertretern an Endver-
braucher; Endverbraucherpreise; 2017 und 2018: vorläufige Werte
HANDELSBLATT

2002 2018


Quelle: BTE

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Unternehmen & Märkte
DIENSTAG, 20. AUGUST 2019, NR. 159

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