Handelsblatt - 20.08.2019

(Michael S) #1

Jan Hildebrand, Thomas Sigmund Berlin


D


en Koalitionsausschuss am Sonntag-
abend hat Angela Merkel (CDU) noch
mitgemacht, bevor sich die Kanzle-
rin in dieser Woche den internatio-
nalen Verpflichtungen widmet. Am
Montag traf sie den ungarischen Regierungschef
Viktor Orbán in Sopron zu einem Festakt anlässlich
der ersten Massenflucht von DDR-Bürgern vor 30
Jahren. Danach ging es für Merkel weiter nach Is-
land zum Treffen der skandinavischen Regierungs-
chefs. Und Ende der Woche steht dann der G7-Gip-
fel im französischen Biarritz an, wo Merkel unter
anderem auf US-Präsident Donald Trump trifft.
Während sich die Kanzlerin um die große Welt-
politik kümmert, schleppt sich ihre Große Koaliti-
on in Berlin durch die Tiefen der Innenpolitik:
Grundrente, Abbau des Solidaritätszuschlags, Mie-
terschutz. Auf die sonst üblichen Bilder mit Wein-
gläsern in der Hand auf dem Kanzlerbalkon wird
verzichtet. Die Stimmung ist schon lange nicht
mehr danach. Ein bisschen was geht voran, doch
es wirkt alles mühselig, was auch an der Schwäche
der Protagonisten liegt. Die neue CDU-Chefin An-
negret Kramp-Karrenbauer sollte der Partei wieder

Selbstbewusstsein bringen, aber sie stolpert derzeit
von einer PR-Panne zur nächsten. Und bei der SPD
ist ohnehin Dauerkrise. Am Sonntagabend im
Kanzleramt gratulierten die Koalitionspartner zwar
höflich Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zu seiner
Bewerbung um den Parteivorsitz. Aber dass die So-
zialdemokraten derzeit mit fünf Leuten beim Koali-
tionsausschuss auflaufen müssen, verdeutlicht den
Selbstfindungsprozess. Neben Scholz nahmen die
Interimsvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel,
Manuela Schwesig und Malu Dreyer sowie der
Übergangschef der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich,
teil.
Manch einer bei Union und SPD fühlt sich da
schon wie in einer Interimskoalition. Bisher war
die Unzufriedenheit vor allem aufseiten der Genos-
sen groß, doch auch bei der Union sinkt die Stim-
mung, was vor allem mit der Performance von
CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer zu tun hat. Die
neue Verteidigungsministerin brach am Montag-
morgen zu ihrem ersten Truppenbesuch nach Jor-
danien auf. Eigentlich eine unaufgeregte Meldung.
Aber in der Union fürchten inzwischen einige bei
jedem Auftritt Kramp-Karrenbauers, sie könnte

wieder eine missverständliche Äußerung von sich
geben. Die Reise überstand sie ohne politischen
Schaden. Anders noch, als sie kurz zuvor den wahl-
kämpfenden Parteifreunden in Brandenburg, Sach-
sen und Thüringen einen Bärendienst erwies.
In einem Interview hatte AKK den früheren Ver-
fassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, der als
Sprachrohr der konservativen CDU-Splittergruppe
Werteunion auftritt und in Ostdeutschland Wahl-
kampf macht, scharf angegangen. „Ich sehe bei
Herrn Maaßen keine Haltung, die ihn mit der CDU
noch wirklich verbindet“, sagte Kramp-Karrenbau-
er. Auf die Frage nach einem Parteiausschluss ant-
wortete sie nicht mit einem klaren Nein, sondern
verwies auf „hohe Hürden“.
Als in der Partei der Ärger hochkochte, sah sich
Kramp-Karrenbauer zur Klarstellung gezwungen,
dass sie keinen Parteiausschluss gefordert habe.
Zwar teilt man in Parteivorstand und auch in der
Fraktion die inhaltliche Einschätzung zu Maaßen,
und viele sind ebenfalls genervt von der perma-
nenten Selbstdarstellung des Ex-Verfassungsschutz-
präsidenten. Aber warum Kramp-Karrenbauer nun
ausgerechnet zwei Wochen vor den Wahlen in

Leerlauf nach der


Sommerpause


Vor den Wahlen in Sachsen und Brandenburg schiebt die Große Koalition mühselig


neue Projekte an. Zur mühsamen Chefsuche innerhalb der SPD gesellen sich auch


noch Zweifel an den Führungsqualitäten von Annegret Kramp-Karrenbauer.


Annegret Kramp-
Karrenbauer: Die
CDU-Chefin steht in
der Kritik.

dpa

Olaf Scholz:
Der Vizekanzler will
SPD-Chef werden. Bloomberg

Wirtschaft


& Politik


DIENSTAG, 20. AUGUST 2019, NR. 159


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