Handelsblatt - 20.08.2019

(Michael S) #1

Brandenburg und Sachsen die Debatte über Maa-


ßen befeuerte, die im Zweifel eher der AfD nutzen


dürfte, versteht in der Partei kaum jemand.


Und es ist nicht die erste Panne der neuen CDU-


Chefin. Lange fand sie nicht die richtige Reaktion


auf die Klimadebatte und die CDU-Kritik von You-


tubern, schließlich äußerte sie sich missverständ-


lich über Regeln für Meinungsäußerungen im Inter-


net. „Schwer erklärbar“, sagt ein führender CDU-


Politiker über die Pannenserie. Nun ist die CDU


aber – anders als die SPD – keine Partei, die schnell


die Messer hinter dem Rücken der Vorsitzenden


wetzt. So gab es öffentliche Kritik nur aus


der dritten Reihe. Viele CDU-Vordere


sammelten sich am Wochenende


eher um die Chefin, verwiesen


wieder und wieder auf ihren


ersten Erfolg als Verteidi-


gungsministerin: Soldaten in


Uniform sollen kostenlos


Bahnfahren dürfen. Das


macht aber auch deutlich:


Alle in der Partei wissen,


dass Kramp-Karrenbauer


nun dringend Unterstützung


bei der Vermarktung kleiner


Erfolge braucht.


Hinter vorgehaltener Hand äu-


ßern jedenfalls die Ersten in der Uni-


onsfraktion leise Zweifel, ob Kramp-Kar-


renbauer als Parteichefin und Kanzlerkandidatin


die Richtige sei. Noch sind das vor allem die frühe-


ren Unterstützer von Friedrich Merz. Bei denen


dürfte aber auch Frust hochkommen, dass Kramp-


Karrenbauer einen nahezu perfekten innerparteili-


chen Wahlkampf führte und ihre Fehler dann erst


nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden anfingen. Bei


Merz war es eher umgekehrt.


Wenn man sich in der CDU umhört, wer denn


im Fall eines Scheiterns von Kramp-Karrenbauer


als Alternative bereitstünde, fällt allerdings nicht


mehr zuerst der Name Merz. Verwiesen wird auf


den ehemals Dritten im Rennen um den Parteivor-


sitz: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der


sei derzeit „auffällig ruhig“, sagt ein CDU-Vorderer.


Was übersetzt immer heißt: Vorsicht, da hat noch


einer was vor.


Der September dürfte für Kramp-Karrenbauer je-


denfalls nicht einfach werden. Während ihr unge-


schickter Umgang mit den Klimademonstranten bei


der Europawahl Stimmen kostete, könnte der Maa-


ßen-Fehler nun bei den Wahlen in Brandenburg und


Sachsen schaden. Bei einem schlechten Abschnei-


den der CDU und einem Triumph der AfD am 1. Sep-


tember werden die beiden Landesverbände die


Schuld auch beim Konrad-Adenauer-Haus abladen.


Die nervöse Grundstimmung macht die Arbeit in


der Großen Koalition schwierig. Das zeigte sich


jetzt erst wieder beim Koalitionsausschuss. Beim


Mietrecht war man sich noch vergleichsweise


schnell einig (siehe Bericht rechts). Beim Klima-
schutz hat man sich auf weitere Arbeitstreffen geei-
nigt, um dann am 20. September ein Gesamtpaket
zu beschließen. Auch bei der Grundrente ist keine
Einigung in Sicht. Kanzleramtschef Helge Braun
(CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sol-
len ein Grundsatzpapier erarbeiten. Die beiden Un-
terhändler, so ist seit Wochen zu hören, wären sich
aber ohnehin relativ schnell einig. Der Kompro-
miss scheitert bisher an den Maximalforderungen
aus ihren jeweiligen Parteien. Und so soll dann
auch eine Arbeitsgruppe aus Union und SPD einge-
setzt werden.
Beim Abbau des Solidaritätszu-
schlags war sich die Große Koaliti-
on am Montag zuerst nicht einig,
worauf sie sich am Sonntag-
abend verständigt hatte. Fi-
nanzminister Scholz hatte
vor einer Woche einen Ge-
setzentwurf vorgelegt, der
den Wegfall des Solis für 90
Prozent der Steuerzahler
im Jahr 2021 vorsieht, weite-
re 6,5 Prozent sollen zumin-
dest teilweise entlastet wer-
den, die 3,5 Prozent mit den
höchsten Einkommen sollen ihn
zunächst komplett weiterzahlen.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU)
hatte daraufhin am Freitag ein Gegenkonzept vor-
gelegt, das die Entlastung für alle in einem ersten
Schritt 2021 und das komplette Aus im Jahr 2026
vorsieht. Altmaier begründete seinen Vorstoß auch
mit Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von
Scholz’ Gesetz.
Beim Koalitionsausschuss wurde auch über das
Soli-Problem gesprochen. Und zunächst hieß es am
Montag aus Unionskreisen, Scholz könnte mit sei-
nem Gesetz wohl doch noch nicht am Mittwoch ins
Kabinett. Das Finanzministerium dementierte: Zeit-
plan unverändert. Schließlich bemühte sich CSU-
Chef Markus Söder um Aufklärung: Scholz’ Gesetz
werde als ein „erster Schritt“ so beschlossen, erklärt
der bayerische Ministerpräsident. Er betonte zu-
gleich: „Nach Einschätzung unserer bayerischen
Verfassungsexperten ist die Wahrscheinlichkeit, dass
der Soli als verfassungswidrig eingestuft und ganz
abgeschafft wird, als sehr, sehr hoch einzuschätzen.“
Von Altmaiers Alternativplan hält Söder trotzdem
nichts, der sei „das falsche Signal“, weil die Union ei-
ne vollständige Soli-Abschaffung früher wolle.
Ergebnis: Altmaier steht nun mal wieder ziem-
lich düpiert da. Sein Miniaufstand mit dem Gegen-
konzept ist nach wenigen Tagen wieder beendet.
Zurück bleibt Frust beim Wirtschaftsflügel, der auf
etwas mehr Durchhaltevermögen gehofft hatte. Alt-
maier sagte, er wolle weiter für sein Modell kämp-
fen. Es gehe auch um Glaubwürdigkeit von Politik
und meinte damit wohl Söder und Scholz. Er habe
für seine Pläne viel Unterstützung bekommen. Der
Wirtschaftsminister will nun darauf setzen, dass es
im parlamentarischen Verfahren noch Änderungen
gibt, wie er sagte.
Auch das dürfte zum schlechten Erscheinungs-
bild der Koalition beitragen: Bei fast jedem gemein-
samen Beschluss fordert einer der Regierungspart-
ner umgehend mehr, sei es die SPD bei Rente und
Mindestlohn oder die Union beim Soli. So entsteht
der Eindruck der Unzulänglichkeit der eigenen
Maßnahmen und des Dauerstreits in der Koalition.
Dabei liefern Union und SPD durchaus. In den ers-
ten 15 Monaten dieser Legislaturperiode hat die
Große Koalition 140 von 296 Wahlversprechen um-
gesetzt. Immerhin 40 Versprechen wurden bereits
in Angriff genommen. Das geht aus einer neuen
Studie der Bertelsmann Stiftung hervor, die am
Montag präsentiert wurde.
Mitte Oktober will die Koalition dann selbst Bi-
lanz ziehen, so hat man es am Sonntag im Kanzler-
amt vereinbart. Im Koalitionsvertrag ist eine Revi-
sionsklausel zur Mitte der Legislaturperiode verein-
bart. Vor allem für die SPD wird die Halbzeitbilanz
wichtig. Viele der Bewerber um den Parteivorsitz
wollen das Regierungsbündnis verlassen.


Leitartikel Seite 14



Sonntagsfrage


Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl
wäre ... (Ergebnis) Sonstige 8 %


HANDELSBLATT • Umfrage vom 17.8.2019 Quelle: Forsa


Union


SPD


Grüne


AfD


FDP


Linke


25 %


13 %


24 %


8 %


 %


13 %


Ich sehe bei


Herrn Maaßen


keine Haltung,


die ihn mit


der CDU


noch


wirklich


verbindet.


Annegret
Kramp-Karrenbauer
CDU-Vorsitzende

Bauen und wohnen


Scharfe Kritik an


Koalitionsplänen


W


ährend Bundesbauminister Horst See-
hofer (CSU) von „einem Meilenstein in
der Wohnungspolitik dieser Bundesre-
gierung“ spricht, stößt das im Koalitionsausschuss
beschlossene Wohn- und Mietenpaket bei Oppositi-
on und Verbänden auf scharfe Kritik. „Es ist haupt-
sächlich dem Druck der anstehenden Landtags-
wahlen zu verdanken, dass Justizministerin Lam-
brecht und Bauminister Seehofer gestern über-
haupt mit Ergebnissen vor die Mikrofone treten
konnten“, sagte die Sprecherin für Verbraucher-
schutz der FDP-Bundestagsfraktion, Katharina Will-
komm, dem Handelsblatt. Das Ergebnis entspreche
den niedrigen Erwartungen. „Einmal mehr verzich-
tet die Regierung darauf, wesentliche bürokrati-
sche Fesseln zu lockern, um Neubau zu erleichtern.
Stattdessen zieht sie die Regulierungsschraube wei-
ter an.“
Union und SPD hatten sich am Sonntagabend auf
verschiedene Erleichterungen für Mieter und Im-
mobilienkäufer geeinigt. So sollen die umstrittenen
Regelungen der Mietpreisbremse um fünf weitere
Jahre bis 2025 verlängert werden. Zu viel gezahlte
Miete soll rückwirkend für einen Zeitraum von 2,
Jahren nach Vertragsschluss zurückgefordert wer-
den können, sofern ein Verstoß gegen die Miet-
preisbremse vorliegt und der Verstoß innerhalb
von 30 Monaten nach Beginn des Mietverhältnisses
vom Mieter gerügt wurde. Der Betrachtungs zeit -
raum für die ortsübliche Vergleichsmiete wird von
vier auf sechs Jahre verlängert. Käufer von Woh-
nungen und Einfamilienhäusern sollen künftig ma-
ximal die Hälfte der Maklerkosten tragen müssen.
Der Bundesverband Freier Immobilien- und
Wohnungsunternehmen (BFW) sieht das Vertrauen
von Vermietern, Bauherren und Investoren in die
Politik stark erschüttert. „Beständiges Herumdok-
tern am Mietrecht sorgt nicht für mehr bezahlba-
ren Wohnraum – das erreichen wir nur mit einer
Ausweitung des Angebots“, forderte BFW-Präsident
Andreas Ibel.
Auf weniger Kritik stoßen die Pläne zur Mobilisie-
rung von Bauland. Knappes Bauland ist ein Pro-
blem beim Bau bezahlbarer Wohnungen, ebenso
die Kosten. Künftig sollen Grundstücke des Bundes-
eisenbahnvermögens verbilligt an Länder oder
Kommunen abgegeben werden. Mit der Bahn will
die Regierung sprechen, um Grundstücksflächen
aus deren unmittelbarem Besitz für den Bau von
Wohnungen zu nutzen. Angedacht ist die Einrich-
tung eines sogenannten Brachflächenprogramms,
für das allerdings noch keine Mittel vorhanden
sind. Bis Jahresende soll es einen Gesetzentwurf
zur Änderung des Baugesetzbuchs geben. Damit
sollen Kommunen Baulücken besser schließen kön-
nen, etwa durch eine erleichterte Anwendung des
Baugebots, mit dem Eigentümer dazu verpflichtet
werden können, Grundstücke zu bebauen.
„Natürlich sind das Schließen von Baulücken
und die Mobilisierung von Bauland gut und rich-
tig“, sagte Andreas Mattner, Präsident des Spitzen-
verbandes der Immobilienwirtschaft ZIA, dem
Handelsblatt. Allerdings seien das meist praktische
Probleme, die sich mit Regulatorik nur bedingt lö-
sen ließen. Mattner hält schnellere Baugenehmi-
gungen und Bebauungspläne für zielführender.
Den Verbraucherschützern geht das Paket nicht
weit genug: Maßnahmen der Regierung für be-
zahlbares Wohnen seien mehr als überfällig, die
Beschlüsse aber „in vielen Punkten nicht konse-
quent genug“, sagte Klaus Müller, Vorstand Ver-
braucherzentrale Bundesverband (vzbv).
Deutschlands oberster Verbraucherschützer for-
dert beispielsweise eine Mietpreisbremse auch
im Neubaubereich. Verbraucher müssten zudem
einen Anspruch auf eine vollständige Rückzah-
lung von zu viel gezahlten Beiträgen haben. Ein
Rückforderungsrecht für nur zweieinhalb Jahre
sei nicht akzeptabel.
Heike Anger, Silke Kersting

Koalitionsarbeit


140


VERSPRECHEN


aus dem Wahlkampf hat die Große
Koalition bisher umgesetzt, 40 sind
in Bearbeitung.

Quelle: Bertelsmann Stiftung


Wirtschaft & Politik


DIENSTAG, 20. AUGUST 2019, NR. 159


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