Neue Zürcher Zeitung - 17.08.2019

(Barry) #1

Samstag, 17. August 2019 WIRTSCHAFT 25


Nach jahrzehntelanger Diskussion wird die


Bahnstrecke Zürich–München endlich elektrifiziert SEITE 27


Bei den mächtigen Koch Industries


rückt ein Nachfolger ins Rampenlicht SEITE 29


Freenet setzt Sunrise unter Druck


Der grösste Aktionär will gege n die Kapitalerhöhung stimmen und den Kauf von UPC Schweiz platzenlassen


GIORGIOV. MÜLLER


Die deutsche BranchenkolleginFreenet,
der grösste Einzelaktionär des Schwei-
zer Telekommunikationsunternehmens
Sunrise (Beteiligung 24,52%), wird an
derausserordentlichenGeneralversamm-
lung gegen die beantragte Kapitalerhö-
hung stimmen. Das teilte das Unterneh-
men am Freitagmit. Sunrisekonnt edie
AnkündigunglediglichzurKenntnisneh-
men,weiles amkommenden Donnerstag
dieGeschäftszahlen zumerstenHalbjahr
publiziert und sich deshalb nicht äussern
darf. Die Finanzierung für die geplante
Übernahme des Kabelnetzbetreibers
UPC Schweiz für 6,3 Mrd.Fr. ist infrage
gestellt. Zudem stehtauch noch dasPla-
zet der Kartellbehörden aus. Im Sommer
hat dieWeko mitgeteilt,sie wolle den Zu-
sammenschluss «vertieft» überprüfen.
Ein Entscheid wird spätestens Anfang
Oktober gefällt; von einer Zustimmung
kann ausgegangen werden.Danach hat
Sunrise 30Tage Zeit, eine ausserordent-
liche Generalversammlung abzuhalten.


Kritikpunkte sind bekannt


Sunrise ist nach wie vor von der strategi-
schen Logik eines Zusammengehens mit
UPC überzeugt,wie dieFirma in der kur-
zenMedienmitteilungschreibt.Mehrund
vor allem Neues darf sie wegen der lau-
fendenSchweigeperiodenichtsagen.Was
die strategische Logik hinter derTrans-
aktion betrifft, waren sich der vonPeter
Kurer präsidierteVerwaltungsrat von
Sunrise sowie auch das Unternehmen
Freenet, für dasKonzernchef Christoph
Vilanek im achtköpfigen Gremium sitzt,
bisher einig. EineKonsolidierung und
Schaffung einer starken Nummer zwei,
die den PlatzhirschSwisscom stärker her-
ausfordernkann,wurdevondenBetroff e-
nen bisher auch nicht in Zweifel gezogen.
Falls sich aber dem Ankerinvestor
noch andereAktionäre anschliessen soll-
ten – institutionelle Investoren wie UBS
(5,85%), Blackrock (4,99%) und Norges
Bank (3,337%) halten weiterenamhafte
Pakete –, könnte die für die Übernahme
nötige Mittelaufnahme von 4,1 Mrd.Fr.
scheitern.Für eine Zustimmung an der
auf diesen Herbst angesetzten ausser-
ordentlichenGeneralversammlungreicht
eineeinfacheStimmenmehrheit.Weilsich


die institutionellenAnleger bisher nicht
gegen die Übernahme gesträubt haben,
scheint das Risiko eines Scheiternsrecht
klein zu sein.Sunrise will dieTransaktion
noch im laufendenJahr abschliessen.
Schon länger hat der deutscheAnker-
aktionärseineBedenkenangemeldet,wie
die Übernahme von UPC aufgegleist
wordenist.Von Anfang an war auch
klar kommuniziert worden, dass er sich
an der Kapitalerhöhung nicht beteiligen
wird.Angesichts der enorm grossen Mit-
telaufnahme wird dies zu einer entspre-
chendgrossen Gewinnverwässerung für
die Altaktionäre führen und den Anteil
von Freenet am fusionierten Unterneh-
men deutlich verringern.
Am Freitag hatFreenet seine Kritik
nun konkretisiert. Generell hältFreenet
denPreisvon6,3Mrd.Fr.,dendieMutter-
gesellschaft von UPC, Liberty Global, in
bar erhalten soll, als zu hoch.Angesichts

der labilenVerfassung, in der sich UPC
zurz eit befindet, sowie der äusserst be-
schränkten Zahl potenzieller Käufer hat
dieser Einwand zumTeil seine Berech-
tigung. Der Sunrise-Verwaltungsrat hält
dieserKritik entgegen,dass ein externes
Gutachten den Preis als fair eingeschätzt
habe und dieTrendwende bei UPC sogar
besser als erwartet verlaufe.
Im Weiteren fordertFreenet, dass
LibertyGlobalnichtwiegeplantbeiUPC
Schweizganzaussteige,sondernsicheinen

Teil derTransaktionssumme in Aktien
abgelten lasse und zudem die ausstehen-
den Anleihen von UPC auf seineRech-
nung nehme. Die vonFreenet als «sehr
unausgewogen» und für alle Aktionäre
als«nachteilig»zubezeichnendeStruktur
derÜbernahmehalsedenSunrise-Aktio-
nären das gesamte Risiko auf. Für einen
reinen Finanzinvestorsind dieserstaun-
lich detaillierte strategische Überlegun-
gen.DasssichLibertyGlobalzueinerAn-
passungderÜbernahmebedingungenbe-
reit erklärt,ist nicht zuerwarten.

Plötzliche Kehrtwende


Im Gegensatz zu früher, als auchFree-
net die strategische Logik eines Zusam-
menschlussesnochbefürwortete,plädiert
das Unternehmen plötzlich dafür, dass
Sunrise eigenständig bleibt.Rein opera-
tiv wäre das für den zweitgrösstenTele-

komkonzern der Schweiz zwarkein Mal-
heur. Operativ hat Sunrise in den ver-
gangenen MonatenFortschritte erzielt.
Etwasanders sähe es für den Sunrise-
Verwaltungsrat aus, der damit sein Ge-
sichtverlierenwürde.ImWeiterenwären
dannauch wieder alle Optionen offen;
zum Beispielkönnte die vom französi-
schen Unternehmer Xavier Nielkon-
trollierte Salt Mobile Interesse an UPC
anmelden.Wegen dieser Konste llation
wird wohl derzeit emsig an einemKom-
promiss gearbeitet, um den Deal zuret-
ten. DerWille beimVerwaltungsrat und
beim Management von Sunrise, diesen
transformatorischen Schritt zu reali-
sieren, ist offensichtlich sehr stark. Die
Transaktion in dieserForm durchzufüh-
ren, also Liberty Global ganz auszuzah-
len, sei aufWunsch von Sunrise gemacht
worden, hört man.
Laut Quellen finden schon länger
Gespräche zwischenFreenet und Sun-
rise statt, um eine für beide Seiten güt-
liche Lösung zu finden. Zu einem Eklat
ist es offenbar nicht gekommen, der das
forschereVorgehen vonFreenet erklären
würde.Freenethatkonstatiert,esseinicht
gewillt, zuKursen unter 80Fr. auszustei-
gen. Das Unternehmen scheint also mit
der jüngsten Intervention vor allem ein
entsprechendes Umfeld dafür schaffen
zu wollen,sein Sunrise-Engagement zum
besten Preis zu veräussern. Mit Blick auf
die eigene finanzielle Situation käme ein
MittelzuflussdemUnternehmenäusserst
gelegen. EndeJuni belief sich die Eigen-
kapitalquotevonFreenetnochauf25,3%
(i.V. 29,5%), und die Nettoverschuldung
hat sich innerhalbeines Jahres um 28%
auf2,2 Mrd. €erhöht.Selbstaufadjustier-
terBasisweistFreenetNettoschuldenvon
1,3 Mrd. € oder dem Sechsfachen des er-
wirtschafteten Ebitda aus.
Die strategischenForderungen von
Freenetkönnten also vor allem ein tak-
tischer Schachzug sein, um denWert des
Sunrise-Paketszuoptimieren.AmFreitag
avancierte der Aktienkurs von Sunrise
um fast 4% auf gut 76Fr. Seit der Über-
nahmeankündigungEndeFebruarhaben
dieValoren gut 6% eingebüsst, während
der SMI in diesem Zeitraum 2% zulegte.
Es würde nicht überraschen, wennschon
bald eine Lösung für denAusstieg von
Freenet gefunden wird, mit der alle Sei-
ten ihr Gesicht wahren können.

Sunrise hat Grosses vor–Freenet und dieWettbewerbskommissionwerden demwohl nicht imWege stehen. ENNIO LEANZA/KEYSTONE

Peter Kurer
Verwaltungsrats-
KEYSTONE präsident Sunrise

Auf den US-Konsumenten ist (noch) Verlass


Den Konjunktursorgen der Finanzmarktteilnehmer und Unternehmen steht in Amerika ein bis jetzt robuster Binnenkonsum geg enüber


MARTIN LANZ,WASHINGTON


Es wird immer vielAuto gefahren in den
USA. ImAugust, wenn selbst die Ame-
rikaner eineWoche oder zweiFerien
machen, erstrecht. VergangeneWoche
hat die Nachfrage nach Benzin mit 9,93
Mio. Fass pr oTag gar einen neuen All-
zeit-Höchstwert erreicht. Grund dafür
sind der guteWirtschaftsgang in den
USA und dierelativ niedrigen Benzin-
preis e. Derzeit isteine Gallone im lan-
desweitenDurchschnitt für$2.636 er-
hältlich (knapp 70 Cent pro Liter).Vor
Jahresfrist waren es$2.849.
Der Amerikaner tankt also diesen
Sommer etwas günstiger und hat mehr
Geld füranderes zurVerfügung. Der
Ben zinpreis ist mit ein Grund, wieso
sich die Konsumenten bisher einmal
mehr als stabile Stütze der US-Volks-
wirtschaft erwiesen haben, während
Finanzmarktteilnehmer und Unterneh-
men seit einiger Zeit konjunkturelle
Warnsignale senden. DerrobusteKon-
sum erklärt sich zudemmit dem inzwi-
schen seit über zehnJahren währenden


wirtschaftlichenAufschwung, der guten
Verfassung des Arbeitsmarkts, der ver-
haltenen Inflation und den anhaltend
niedrigen Schuldzinsen.

Zollerhöhungen inVorbereitung


Auch Trumps Handelskrieg hat der
Konsumentenstimmung bis jetzt wenig
anhabenkommen, haben doch die ver-
schiedenen Sonderzölle auf Stahl und
Aluminium sowie auf Gütern aus China
Herr undFrau Amerikaner bisher noch
kaum direkt getroffen.Daskönnte sich
nun ändern, wie es auch der amFreitag
veröff entlichte provisorischeAugust-
Wert für dieKonsumentenstimmung an-
deutet. Mit 92 Punkten liegt der Index
im langjährigenVergleich zwar immer
noch auf einem ansprechenden Niveau.
Es ist aber der zweitniedrigste Monats-
wert der bisherigen ÄraTrump. Unter
dem seitJanuar 2017 amtierenden Prä-
sidentenTrump hat der Index mehrmals
die 100-Punkte-Marke erreicht, die bes-
tenWerte seit derJahrtausendwende. Es
ist nicht zuletzt dieEntwicklung dieses

Indikators, die Trump immer wieder zur
Behauptung veranlasst,Amerikakönne
einen Handelskrieg mit China gut ver-
kraften.Der jüngsteWert zeigt nun aber,
dass amerikanischeKonsumenten doch
langsam nervös werden.
Richard Curtin, der für die Kon-
su mentenumfragen zuständige Chef-
ökonom, sagte amFreitag, die Geld-
politik und die Handelspolitik hätten

unter denKonsumenten die Unsicher-
heit erhöht. Die Befragten haben laut
dem Ökonomen stark auf die für Sep-
tember angekündigten Zollerhöhungen
aufchinesischen Importenreagiert. In
derAnfangAugust durchgeführten Um-
frage haben 33% derKonsumenten das
Thema spontan erwähnt. Der nun jüngst
verfügteAufschub einesTeils der Zoll-
erhöhungen verschiebt deren negati-
ven Effekt auf dieKonsumentenpreise,
räumt aber die Bedenken in Bezug auf
künftige Preiserhöhungen nicht aus.

Kontraproduktive Zinssenkung


Laut Curtin hat zudem die EndeJuli er-
folgte Zinssenkung durch die Zentral-
bankFed unter denKonsumenten in
erster Linie Unbehagen ausgelöst. Sie
hä tten aus der Zinssenkung geschlos-
sen, dass eineRezession im Anmarsch
sei , und sähen sich deshalb möglicher-
weise gezwungen, ihreAusgabenim
Hinblick auf härtere Zeiten bereits jetzt
anzupassen.Wenn das tatsächlich so ist,
werden die Fed-Verantwortlichen das

erklärte Ziel ihrer Zinssenkung, näm-
lich die Stützung des gegenwärtigen
Wirtschaftsaufschwungs,verfehlen.
Der August-Wert des Indikators
darf sicher nicht überbewertet wer-
den. Die amerikanischenKonsumenten
sindinder Umfrageperiode vom 31.Juli
bis zum14.August nämlichregelrecht
bombardiert worden:Auf die Fed-Zins-
senkung am 31.Juli folgte die Ankündi-
gung der Zollerhöhungen,dann dieVer-
schiebung einesTeils dieser Erhöhungen
sowie negativeKonjunkturmeldungen
aus demRest derWelt. In j enen zwei
Wochen kam es auch zu Kapriolen an
den Aktien- und Anleihemärkten.
Die wichtigstenTreiber des Privat-
konsums, der 68% des US-Bruttoinland-
produkts ausmacht, sind günstigeJob-
und Einkommensaussichten. Solange
diese einigermassen intakt bleiben, wie
es derzeit den Anschein macht, bleibt
eineVerlangsamung desWirtschafts-
gangs in denkommenden Monaten das
wahrscheinlichste Szenario.Beginnen
aberFirmen, Stellen abzubauen, wird
QUELLE: UNIVERSITY OF MICHIGAN NZZ Visuals/cke. 2020 ein richtig spannendesWahljahr.

DieKonsumentenstimmung sinkt
Michigan-Index der Konsumentenstimmung
in Punkten, 1. Quartal 1966=100

50

60

70

80

90

100

110

Januar1999 August 2019
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