Neue Zürcher Zeitung - 17.08.2019

(Barry) #1

Samstag, 17. August 2019 WIRTSCHAFT 29


Die Milliardärsmacht


hinter Amerikas konservativer Politik


KochIndustries, Amerikas grösstes familiengeführtes Konglomerat, bereitet sichauf den Generationenwechsel vor


Im MittlerenWesten der USA


haben Charles undDavidKoch ein


Wirtschaftsimperium aufgebaut.


Hinter denKulissen ziehen die


konservativen Brüder zudem


wichtige Strippen in derPolitik.


Nun zeichnet sich ab, wer einmal


ihre Nachfolge antritt.


STEFANPARAVICINI, NEWYORK


Wenn ChaseKoch von seinerJugend er-
zählt,sprichter gerne über die Metho-
den seinesVaters Charles, mit denen der
CEO und Chairman vonKoch Indus-
tries den Sohn an die Ideen von ökono-
mischenVordenkern wie MiltonFried-
man oderFriedrichAugust von Hayek
heranzuführen versuchte.«Jeden Sonn-
tag hatten wir Ökonomie- und Phi-
losophie-Stunden», erinnert sich der
42-Jährige. «MeinVater nahm mich und
meine Schwester mit, und wir haben die
Bücher vonFriedman und Hayek vom


Band gehört.» Diese Sonderschichten
begannen für Chase schon im Alter von
sechsJahren. «Ich kann nicht sagen,dass
ich mich damals besonders passioniert
für diese Ideen interessiert habe», sagte
er vor einigen Monaten bei einemAuf-
tritt vor demRotary-ClubinWichita im
Gliedstaat Kansas.


Ein abschreckendes Praktikum


Auch das Interesse für den familieneige-
nenKonzern, den seinVater zusammen
mit dessen BruderDavid über sechs
Jahrzehnte zu einem der grössten US-
Konglomerate (Umsatz von 110 Mrd. $)
mit Aktivitäten in der Agrarwirtschaft,
im Energiesektor, in der Erdölindustrie
undPetrochemie,imRohstoffhandel,


in derPapier- und Zellstoffindustrie so-
wie in derFinanzbranche ausgebaut hat,
hielt sich bei Chase lange in Grenzen.
Im Alter von 15 Jahren absolvierte er
seinen erstenFerienjob in einemLand-
wirtschaftsbetrieb vonKoch Industries,
der wenig Lust auf mehr machte.
Während des Marketing-Studiums
an derTexas A&M-Universität –Vater
Charles und sein BruderDavid hatten
ebenso wie der GrossvaterundFirmen-
gründerFred ein Ingenieurstudium am
Massachusetts Institute ofTechnology
absolviert –kehrte Chase zwar jeden
Sommer zurück.Dochnach seinem
Abschluss imJahr 20 00 zog es ihn zu-
nächst nicht an denFirmensitz vonKoch
Industries inWichita, sondern nachAus-
tin,Texas, wo er neben einemJob bei
einer Unternehmensberatung mit sei-
nerBand lieber Led Zeppelin spielte,
als Hayek vomBand laufen zu lassen.
«Ich war zu stolz, um mich an das Netz-
werk vonKoch zu wenden», sagt Chase
imRückblick.

LeslieRudd, ein mittlerweile ver-
storbener Unternehmer ausWichita
und langjährigerFreund seinesVaters,
machte Chase bei einem Abendessen
inAustin schliesslich klar, dass er die
Chance, im familieneigenen Imperium
zu lernen, nicht ausschlagenkonnte.
DreiJahre nach dem Ende seines Stu-
diums begann er mit einer Ochsentour
durch denKonzern und machte unter
anderem in der Abteilung für Über-
nahmen undFusionen Station, lernte in
der Abteilung für Steuern dieFirmen-
strukturkennen und legte im Agrono-
mie-Geschäft sowie imRohstoffhandel
Hand an.Das alles sollte ihm eine
Erfahrung ähnlich einem MBA-Pro-
gramm vermitteln. Noch einmal drei
Jahre später startete Chase imregio-
nalen Management des Dünger-
geschäfts von Koch Nitrogen und
rückte bald inFührungsrollen beiKoch
Fertilizer und schliesslich zum Execu-
tiveVice President vonKoch Agrono-
mic Services auf.

Mittlerweile sitzt ChaseKoch nicht
nur imVerwaltungsrat vonKoch Indus-
tries, sondern steht auch an der Spitze
der im November 20 17 gründetenVen-
ture-Capital-GesellschaftKoch Disrup-
tiveTechnologies (KDT), die nach jun-
gen Unternehmen und vielversprechen-
denTechnologien sucht, mit denen das
Konglomerat den disruptivenWandel von
innen anstossen kann. «Macht es, oder wir
landen im Abfalleimer», hatte der damals
81-jährige CEO und Chairman Charles
Koch vor zweiJahren auf einerFührungs-
tagung als Losung zum technologischen
Wandel ausgegeben. Seit demRückzug
seinesvierJahrejüngeren BrudersDavid
im vergangenenJahr steht Charles alleine
an der Spitze vonKoch Industries.

KeinKonkurrent in Sicht


Über einen Zeitplan für die Nachfolge
an der Spitze vonKoch Industries ist
öffentlich nichts bekannt.Beobach-
ter haben aber spätestens seit der Be-

rufung von Chase an die Spitze von
KDTkeine Zweifel, dass er als Nach-
folger von Charles bestimmt ist. Die ein
Jahr ältere Schwester Elizabeth führt ein
eigenesVerlagshaus und spielt in dem
FamilienkonzernkeineRolle. Die Kin-
der vonDavidKoch sind deutlich jün-
ger und dürften für die Nachfolge noch
nicht infragekommen.
Was aus demFirmenimperium wird,
wenn die nächste Generationdas Sagen
hat, ist in der amerikanischen Öffent-
lichkeit allerdings nur die zweitwich-
tigsteFrage zumWechselan der Spitze
eines der grösstenFamilienunterneh-
men Amerikas. Denn die Gebrüder
Charles undDavidKoch verdanken ihre
Bekanntheit nicht nurdem unternehme-
rischen Erfolg vonKoch Industries, son-
dern vor allem dem politischen Einfluss,
den sich dieFamilie mit ihrem Netz-
werk aus Hunderten von Geldgebern
derRepublikanischenPartei und mit
der Gründung von Denkfabriken wie
dem Cato Institute oder dem American
Enterprise Institute aufgebaut hat.

IhrAufstieg wird in dem soeben er-
schienenen Buch «Kochland:The Secret
History ofKoch Industries and Corpo-
ratePower in America» umfassend be-
leuchtet. DieKochs gelten etwa als trei-
bende Kraft hinter der Abkehr der
amerikanischenRegierung von Mass-
nahmen zur Eindämmung des Klima-
wandels, dessen menschengemachte Ur-
sachen und allfällige verheerendeFol-
gen vonForschern, die von den Brüdern
gefördert wurden,jahrelang in Zweifel
gezogen oder ganz bestritten wurden.
ChaseKoch hat bereits anklingen las-
sen, dass er sich fürParteipolitik wenig
erwärmen kann.Das galt früher aller-
dings auch für die Ideen vonFriedman
und Hayek sowie für das Geschäft von
Koch Industries.

Beobachter habenkeine Zweifel, dass ChaseKoch die Unternehmensleitung vonKoch Industries übernehmen wird.DAVIDZALUBOWSKI/AP

Abrupter Stopp für Indiens Autoindustrie


Die Wirtschaft boomt, der Mittelstand wächst – warum ist die Nachfrage nach Personenwagendennocheingebrochen?


MARCO KAUFFMANN BOSSART, MUMBAI


Wer aufMumbais Strassen unterwegs
ist, würde eines nie für möglich halten:
einen massiven Absatzrückgang bei den
indischenAutobauern. In der Megalo-
polis kämpft ein endloser Strom anPer-
sonenwagen, Kleintransportern,Tuk-
Tuks und Motorrädern unerbittlich um
jeden Quadratzentimeter befahrbaren
Asphalt. Und gefühlt nimmt die Blech-
lawine vonTag zuTag zu. Doch der Ein-
druck täuscht. ImJuli 20 19 lieferten die
indischenAutobauer 31% weniger Pkw
aus als im selben Monat einJahr zuvor;
seit neunMonaten sinken die Absatz-
zahlen. Die Branchestecke in der gra-
vierendsten Krise seit 19 Jahren, beklagt
derVerband der indischenAutomobil-
produzenten (Siam).


Rolls-Royceschliesst Showroom


Praktisch täglich informieren die indi-
schenAutoproduzenten über Produk-
tionsstopps. Die Nummer eins auf dem
Subkontinent, das indisch-japanische
Gemeinschaftsunternehmen Maruti


Suzuki, fertigte imJuli rund einenVier-
tel wenigerFahrzeuge als imVorjahr.
Mahindra lässt dieFertigungsstrassen
in diesem Quartal während 8 bis 14 Ta -
gen ruhen.Vom Zulieferer Bosch ver-
lautet, imAugust werde in zweiFabri-
ken während 13Tagen nicht gearbei-
tet. Man wolle verhindern, dass unnötig
Lagerbestände angehäuft werden.
Laut dem Branchenverband Siam
haben bereits rund 300 Händler ihre
Showrooms für immer geschlossen.
Die Misere erstreckt sich offenbar von
Kleinwagen bis zur Luxusklasse. In
Gujarat, dem Heimatstaat von Minis-
terpräsident Narendra Modi, hat der
Importeur vonRolls-Royce eine 20 14
mit Brimborium eröffneteVertretung
wieder dichtgemacht. Gemäss der indi-
schen Wirtschaftszeitung «Business
Standard» harzte in Ahmedabad der
Absatz.Im zweiprozentigen Bereich
sackten auch dieVerkäufe für Motor-
räder ab. Sie gelten als Indikator für die
Kauflaune in den ländlichenRegionen.
Die markante Eintrübung in derFahr-
zeugindustriekontrastiert mit einem
zwar abgeschwächten, aber immer noch

robustenWirtschaftswachstum. Im zwei-
ten Quartal legte das Bruttoinlandpro-
dukt um 5,8% zu. Zudem ist im asiati-
schen Riesenreich einkonsumfreudiger
Mittelstand herangewachsen; er um-
fasst – je nach Definition – zwischen 80
und rund 500 Mio. Personen. Noch vor
einemJahr priesen Unternehmensbera-
tungsfirmen Indien alsAutomarkt der
Zukunft. Bis 2021 werde das Milliarden-
reichJapan und Deutschlandüberholen
undzum drittgrössten Produktionsland
nach China und Amerika heranwachsen.

In derKreditklemme


Wie erklärt sich die massiveKorrek-
tur? Nach Einschätzungen von Analy-
tikern schlägt die Krise bei den Schat-
tenbanken, die sich Mitte 20 18 zuspitzte,
mit vollerWucht auf dieAutobranche
durch. Stammten in normalen Zeiten
rund 40% derAutokredite vondie-
senFinanzdienstleistern, hat die Über-
schuldung mancher Institute dazu ge-
führt, dasssie den Geldhahn zudrehten.
Autokäufer müssen mehr Eigenmittel
vorweisen. Bei Nutzfahrzeugen wurden

60% durch die Schattenbanken finan-
ziert; bei den Zweirädern beträgt der
Anteilgar70%. Zudem haben striktere
Emissionswerte die Produktionskosten
und neueVersicherungsbestimmungen
die Unterhaltskosten erhöht.
Wenig erstaunlich, wenden sich die
Automobilhersteller jetzt hilfesuchend an
den Staat und verweisen auf ihre volks-
wirtschaftliche Bedeutung.Die Branche
beschäftigt rund 35 Mio. Personen und
macht beinahe die Hälfte der indischen
Industrieproduktion aus.Verlangt wird
unter anderem, dassAutos weniger stark
besteuert werden. Der Staat erhebt auf
Fahrzeuge eine Mehrwertsteuer von hap-
pigen 28%.JenachModell und in Be-
rücksichtigung zusätzlich anfallender
Gebühren kann die effektive Belastung
auf über 40% steigen.

Aufs falsche Pferd gesetzt


Weniger gerne spricht der krisengeschüt-
telte Sektor über eigeneFehler. Man-
che indische Hersteller tun sich schwer,
mit ihren Modellen den Geschmack der
preisbewussten und dennoch anspruchs-

vollenKundschaft zu treffen. So ent-
puppte sich etwa der KleinwagenTata
Nano, dessenForm an den Smart erin-
nert, als Flop. Mit einem Preis von weni-
ger als 20 00 Fr. hätte er Millionen von
Indern denTr aum vom eigenenAuto er-
füllen sollen.Das Gefährt geriet wegen
Bränden in die Schlagzeilen. Zudem
habe sich der billige Preis als Bumerang
erwiesen, stellte etwa das indische On-
lineportal«T heWire» fest.Wer es sich
leisten kann, vom Motorrad auf das
Auto umzusatteln, will einFahrzeug, das
nach etwas aussieht. Statt die Massen zu
begeistern, überlebte der Nano blossals
Nischenprodukt.
Ausländische Hersteller dürften
Indien wegen der schleppenden Nach-
frage vermehrt als Export-Hub nutzen.
Sowohl deutsche wie amerikanische
Autobauer produzieren auf dem Sub-
kontinent etwa für den US-Markt, unter
anderem wegen der tiefen Lohnkosten:
Mercedes begann vor einemJahr damit,
die Herstellung des GLC Compact von
Bremen nach Pune in Südindien auszu-
lagern.Fordexportiertvon Chennai aus
in die USA.

Chase spielte lieber
Led Zeppelin
mit seiner Band,
als sich die Lehren
von Friedrich August
von Hayek anzuhören.

Die Kochs verdanken
ihre Bekanntheit vorab
dem politischen Einfluss,
den sich die Familie
mit ihrem Netzwerk
aufgebaut hat.
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