Neue Zürcher Zeitung - 17.08.2019

(Barry) #1

40 LITERATUR UND KUNST Samsta g, 17. Au gust 2019


Mit ihren schwarzen Helden


hat in Amerika keiner gerechnet


Welten liegen zwischen Richard Wrights «Native Son» und Ralph Ellisons «Invisible Man» – doch ihre Autoren verbindet vieles


ANGELA SCHADER


Ein grosserWurf gelingt nur, wenn man
alles aufs Spiel setzt. RichardWrights
1940 erschienenerRoman «Native Son»
allerdings war selbst unter dieser Prä-
misse anKühnheit schwer zu überbieten



  • lief der damals32-jährige afroamerika-
    nischeAutor doch bewusst das Risiko,
    dass das Buch als Dolchstoss in denRü-
    cken der eigenen Community verstan-
    den werdenkönnte. «Native Son» legte
    nicht behutsam denFinger in dieWunde
    der Rassenproblematik. Es war ein mit
    wütender Härte geführterFaustschlag,
    der – das wies der enorme Erfolg des
    Buches aus – die amerikanische Gesell-
    schaft im Innersten traf.
    Big ger Thomas lebt mit der Mutter
    und zwei Geschwistern in einer miesen
    Einzimmerwohnung in Chicagos South
    Side. Bockig und aggressiv istWrights
    schwarzer Protagonist, hat Einträgeim
    Strafregister. Die Daltons wissen das
    und wollen ihm dennoch eine Chance
    geben. Schon fünf Millionen haben die
    Eheleute – die ihr Geld aber nicht zu-
    letzt auf dem Buckel von Schwarzen
    verdienen – für «Negerschulen» gespen-
    det; nun soll der junge Mann als Chauf-
    feur in ihren Haushalt eintreten.
    Bigger wird Mary, ihrer einzigen
    Tochter, das Leben nehmen. Spielt mit
    den Eltern und derPolizei Katz und
    Maus, bis er selbst zum Gejagten wird.
    Ermordet auf der Flucht mit unfassba-
    rer Kaltblütigkeit Bessie, sein Mädchen,
    das er nie geliebt hat.Wird nach einer
    Hatz über ChicagosDächer bei klirren-
    der Kälte zur Streckegebracht, vor Ge-
    richt geführt und verurteilt, während
    Soldaten draussen den Mob in Schach
    halten,der mit der «schwarzen Bestie»
    kurzen Prozess machen will.


Angst undHass


So die rudimentäreKontur desRomans,
der nun unter demTitel «Sohn dieses
Landes» erstmals integral auf Deutsch
vorliegt; die in dieJahre gekommene
Übersetzung von Klaus Lambrecht
wurde überarbeitet und durch einige
Passagen ergänzt, dieWright bei der
Erstpublikation geopfert hatte.Seine
Intensität gewinnt das Buch dadurch,
dassWright das Geschehen ganz aus
Biggers eingeschränkter Sicht darzu-
stellen versucht.Angst und der aus ihr
gebo rene Hass sind das explosive Ge-
misch, das den Protagonisten durchs
Leben treibt. Hält ihm ein schwarzer
Freund den Spiegel vor, schlägt er erbar-
mungslos zu; wollen ihmWeisse human
begegnen,ist di eVerstörungkomplett.
Gegenüber dem soignierten Mr. Dal-
ton kann sich Bigger noch in die tumbe
Demutshaltung flüchten, die, wie er
glaubt,Weisse von seinesgleichen erwar-
ten. Aber wie umgehen mit Mary und
ihremFreundJan, den glühendenJung-
kommunisten, die ihm umsVerrecken
von Gleich zu Gleich begegnen wollen?
Biggerfühlt sich durch ihreAvancen wie
nackt ausgezogen:Das Paar,meint er,
hieve ihn lediglich «zu sich hoch, um
ihn zu betrachten und sich über ihn lus-
tig zu machen. Und in diesemAugen-
blick wurde er voneinemdumpfen, kal-
ten und sprachlosen Hass überwältigt.»
Wright hält in dieser Szene so man-
chen naivWohlmeinenden unerbittlich
den Spiegel vor. Doch auch die posi-
tivsteFigur imRoman kommt nicht un-
geschoren davon. Max,der jüdische An-
walt , der Bigger vor Gericht verteidigt,
ist der erste Mensch, der den Protago-
nisten aus seiner dumpfenVerschlossen-
heit heraustreten lässt, ihm ein Selbst-
gefühl gibt, das den Namen verdient.
Wunderbar ist das inWorte gefasst:
«Er hattekein Recht, stolz zu sein, und
doch hatte er zu Max gesprochen wie
ein Mensch, der etwas besass.» Aber es
wird das einzige Mal bleiben. Als Big-
ger, mittlerweile zumTod verurteilt,den
Faden des Gesprächs nochmals aufneh-
men will, hat Max es bereits vergessen.


Wright hat im Essay «How ‹Bigger›
WasBorn» festgehalten,was ihn zur Nie-
derschrift desRomans trieb und von wel-
chenSkrupelnsiebegleitetwar.Esseiihm
klar gewesen, schreibt er, dass sein Prot-
agonist von weissen wie–schlimmernoch
–von schwarzen Lesern als eine Bestäti-
gungderschlimmstenrassistischenVorur-
teile missverstanden werdenkönne. Zu-
glei ch aber wusste er, dass er «nicht über-
zeugendüber Bigger schreibenkonnte,
wenn ich ihn nicht abbildete, wie erwar».

Der Freund alsKritiker


Doch löst dieDarstellung diesen An-
spruch wirklich ein?HeutigeLeser dürf-
ten die Härte desRomans als allzu holz-
schnittartig empfinden,und schonRalph
Ellison,WrightsFreund und späterer
literarischerKonkurrent, urteilte scharf:
«Wright musste Biggers Bewusstsein
Gedanken undKonzepte aufzwingen,
die dessen Intellekt nicht formulieren
hättekönnen. ZwischenWrightsKön-
nen undWissen und demPotenzial von
Biggers stummen Gefühlen lagen tau-
sendJahreBewusstseinskultur.»Dabei
schätzte Ellison «Native Son»keines-
wegs gering;er hatte denRoman seiner-
zeit frisch ab der Schreibmaschineund
mit Begeisterung gelesen.
RichardWright war es auch gewe-
sen, der den sechsJahre Jüngeren zum
Schreibenermutigt hatte, als Ellison
1937 – eigentlich in der Absicht, Bild-
hauer zu werden – nach NewYork kam.
Die beiden teilten ihre künstlerischen
und intellektuellenAmbitionenund die
damitverbundenen Ambivalenzen. Sie
geisselten weissenRassismus, bekann-
ten sich aber zur modernen westlichen
Kultur und standen den schwarzenreli-
giösen undpolitischen Eliten kritisch
geg enüber.Sie glaubten, imKommu-
nismus eine Bewegung zu finden, wel-

che die Anliegen der Afroamerikaner
über diereine Rassenfrage hinaustrug –
und liefen an der Enge der Doktrin wie
auch an den unterder roten Fahne fort-
bestehendenrassistischenReflexen auf.
In mancher Hinsicht mutet Ellisons
Hauptwerk, der1952 erschienene «In-
visible Man», wie ein Gegenprojekt zu
WrightsRoman an; auch dieser Mark-
stein der afroamerikanischen Litera-
tur ist nun in überarbeiteter deutscher
Fassung wieder aufgelegt worden.Wo
Wright auf Naturalismus setzte, arbei-
tet Ellison mit Surrealismus und ätzen-
der Ironie, flicht durch den ganzen
Roman die verschränkten Leitmotive
von Blindheit und Unsichtbarkeit. Sei-
nen brillanten und mit allen rhetori-
schenWassern gewaschenen Ich-Erzäh-
ler stellt er explizit afroamerikanischen
Charakteren wie Bigger entgegen, die
seiner Ansicht nach «ohne jede intel-
lektuelleTiefe waren».
Mit grimmiger Lust jagt Ellison sei-
nen Helden durch die höhere Schule
der Demütigungen, die Amerika für
einen ambitionierten jungen Mann mit
dunklemTeint bereithält. Ein von weis-
sen Gönnern inszeniertes, so grotes-
kes wie gemeines Ritual verschafft ihm
Zutritt zu einem – zumindest inTeilen
nach dem berühmtenTuskegee Insti-
tute modellierten – afroamerikanischen
Elite-College. Der schwarzeRektor der
Institution steht denWeissen an Zynis-
mus nicht nach, agiert aber ungleich sub-
tiler; Ellison zeichnet ihn als gerissenen
Manipulator,der seine Macht so kalt-
schnäuzig wie selbstgewiss ausspielt –
auch gegen den Protagonisten.
Vor allem aber wird dieser auf oft
tückische Art zum Spielball der eigenen
Begabung. Atemberaubend demons-
triert dies die Szene, da der junge, inzwi-
schen vom Leben ordentlich gebeutelte
Mann Zeuge einer Zwangsräumung

wird: Betroffen ist ein altes schwarzes
Ehepaar, dessenHabe Stück für er-
bärmliches Stück auf die Strasse getra-
gen wird. Die Bewohner des Schwar-
zenviertels drängen herbei, Empörung
kocht hoch, der Protagonist will eigent-
lich zuRuhe und Mässigung aufrufen;
stattdessen strömt eineRede von seinen
Lippen, die ihr Massan derjenigen des
Mark Anton im dritten Akt von Shake-
speares «Julius Caesar» nimmt und die
das genaue Gegenteil dessen bewirkt,
was sie zu proklamieren scheint.
Der Auftritt zieht dieAufmerksam-
keit der «Bruderschaft» auf den unbe-
kanntenRedner; und währendWright
die Kommunisten trotz den zutiefst er-
nüchternden Erfahrungen, die er in
ihrenReihen machte, in seinemRoman
mit einem blauenAuge davonkommen
lässt, holt Ellison zu einer punktgenauen
Abrechnung mit derPartei aus.Wie
einst der Schriftsteller selbst tritt ihr
sein Romanheld im Glauben bei, hier
endlich «mehr zu sein als nur Mitglied
einerRasse». Faktisch wird er instru-
mentalisiert, mit giftigem Neid verfolgt,
wo immer er Erfolge einheimst, abge-
kanzelt und bestraft, wenn er selbstän-
dig agiert,statt blind den «streng wissen-
schaftlichen»Kurs einzuhalten, den die
Bruderschaft vorgibt.

UnterirdischeVerbindung


Auch der afroamerikanischen Leser-
schaft schenktEllison nichts; immer wie-
der zäsiert er denRoman mit Szenen, in
denen Schwarze gegen Schwarze antre-
ten.Das gipfelt in der Gegnerschaft zwi-
schen demRomanheldenund «Ras, dem
Mahner» – einer bösen Karikatur des
Politikers und Aktivisten Marcus Gar-
vey, der Panafrikanismus und Schwarzen
Nationalismus predigteund dessen Ge-
dankengut später von derRastafari-Be-

wegung aufgenommen wurde. Im rabia-
ten Showdown wird der Protagonist von
Ras’ Gefolgsleuten umzingelt undsoll
aufgeknüpft werden – nach der guten
altenTradition desLynchmords.
Ob sie nicht begriffen hätten,schreit
der bedrängte Held, dass sie alle nur
Puppen in einem grösseren Spiel seien?
«Es geht so: ‹Nigger fängt man nur mit
Niggern.› Mich haben sie benutzt, um
euch zu fangen, und jetzt benutzensie
Ras, damit er mich aus demWeg räumt
und euer Opfervorbereitet.» Aber es
sind nicht dieseWorte, sondern List und
Gewalt, die ihm das Lebenrett en.
Ellisons irregeleiteter Messias wird
auf der Flucht in einenKohlenschacht
stürzen und sich in einer unterirdischen
Höhle einnisten, die er aufKosten der
Elektrizitätsgesellschaft mit exakt 1369
Lampen illuminiert.Ob er dort auch sei-
nem Widerpart begegnet, den Richard
Wright siebenJahre zuvor entworfen
hatte? Die1945 entstandene Erzählung
«The ManWho Lived Underground»,
ein surreales Stationendrama en minia-
ture, mutet an wie eine subterraneVer-
bindung zwischen denAutoren – und
das Reich, das sichWrights Held zwi-
schenKellermauern und Kanalisations-
schächten einrichtet, kann der Lichter-
grotte des «Unsichtbaren Mannes»Kon-
kurrenz machen: DieWände sind mit
geklauten Hundert-Dollar-Scheinen ge-
pflastert,aus dem Boden glitzern achtlos
in die Erde getretene Diamanten.

Rich ard Wrig ht: Sohn diesesLandes. Deutsch
von Klaus Lambrecht, überar beitet und ergänzt
von Yamin von Rauch. Kein & Aber, Zürich


  1. 575S., Fr.30.–.


Ralph Ellison: Der unsichtbare Mann. Deutsch
von Georg Goyert, überar beitet von Hans-
Chri stian Oeser. Aufbau-Verlag, Berl in 2019.
680S., Fr.40.90.

In harschenVerhältnissen aufgewachsen, avancierte RichardWright zum gefeierten
Schriftsteller.Das Bildzeigt ihn inVenedig imJahr 1950. ARCHIVIO CAMERAPHOTO EPOCHE

«InvisibleMan» blieb Ralph Ellisons grosserWurf.Die Aufnahme entstand 1952, im
Erscheinungsjahr desRomans. HULTON
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