Neue Zürcher Zeitung - 17.08.2019

(Barry) #1

Samstag, 17. August 2019 LITERATUR UND KUNST43


«Nein,Foie gras d’oie.»
«Ach so. Leberpastete.»
Und nahm sich noch eins.
Bitte sehr.
Vom Zuschauerraum aus kann man
TeevonWhiskyauchnichtunterscheiden.
Hie und da scheint er damit beschäf-
tigt zu sein,um sein Haus herum zu wer-
keln.Ein Ziereremit in behaglicher Ein-
siedelei. Krautern nennt er das; er sam-
melt selteneWörter im Gefäss seiner
Sp rache.Was ihn aber vor allem be-
schäftigt, ist dieKunst, sich einenBart
wachsen zu lassen. Um diesen daraufhin
gleich wieder einzukürzen, umzuschnei-
den, wegzurasieren.
SeineFrau, welche auch eineKunst
beherrschen muss, nämlich die, ihn zu
bewundern und unauffällig sein Le-
ben zu organisieren, schlägt sich mit
dem Alltag herum. Er beobachtet der-
weil, was sein Haarwuchs macht. Er
sitzt amTisch, brütet und fummelt da-
bei mit dem Handinneren amBartwuchs
herum.Das Kinn muss die Hand spü-
ren, um ganz Kinn sein zukönnen, die
Hand wiederum lernt das Spüren an den
Stoppeln.
Er fummelt, notiert Himm. Und
sucht nach anderenWörtern. Er zwir-
belt seinen Schnauz, er dreht Locken
in seinenBart. Er fingert, frickelt, grab-
belt, notie rt Himlicek, er klütert, knod-
delt, nestelt, nippelt, er polkt, pusselt
und fingerspitzelt. Er friemelt imBart,
der um den friemelndenFinger herum
im Wachsen ist.Das alles soll ausdrü-
cken, dass der Schauspieler sich mit sich
selbst beschäftigt. Er zoppelt, er zupft;
er wuselt wie sinnierend, notiert Himm,
er wuselt ohne einen Gedanken, gedan-
kenverloren.
Dann wieder Glatze.
Dann , im Handumdrehen, lange
Haare,strähnig,weissgrau,unordentlich:
dochKönig Lear.Er hat ihn nicht ge-
spielt.Nein,sagt er traurig, «das hat man
mir versagt», die Stimme gehoben, ge-
stützt. Es muss sich um eine Intrige ge-
handelt haben. Schauspieler sind immer
Opfervon Intrigen, sofern sie nicht
selbst eine anzetteln.


Die Perücke des Dorfrichters


Die Glatze erinnert uns alle an eine
andere Intrige,an die des Dorfrich-
ters Adam in Kleists «Der zerbrochne
Krug».Dort spielt einePerücke neben
einem zerbrochenen Krug die Haupt-
rolle, eine Perücke, die schreiend sicht-
bar fehlt auf der mit zwei tiefenWund-
malen verunstalteten Glatze.
«DieWunde heut und gestern die
Perücke. / Ich trug sie weiss gepudert
auf demKopfe, / Und nahm sie mit dem
Hut, auf Ehre, bloss, /Als ich ins Haus
trat, ausVersehen ab.»
Gleichsam nackterscheintAdam zu
der Verhandlung, die er leiten soll und
die ihn, wie einst bei Sophokles, als den
Schu ldigen überführen wird. Er unter-
sucht, wie Ödipus, seinen eigenenFall



  • entblösst von einemRequisit seines
    Amtes, mit nacktem Schädel, ehrlos.
    In dem Weinstock vor Evchens
    Kammer hater seinePerücke hinter-
    lassen, die nun gegen ihn zeugen wird,
    dort ausserdem eineKuhle im Schnee,
    «als ob sich darin eine Sau gewälzt».
    Dazu Abdrücke seines Pferde- oder
    Schwellfusses, links , und – als ob das
    alles Kleist nichtreichen würde – einen
    Gestank wiePech und Schwefel, «und
    hintenDampf, wenn ich nicht sehr mich
    ir re». Überdies einen Haufen Scheisse
    an einemBaum auf seinem nächtlichen
    Nachhauseweg, seine Spur, die hinten
    zu seinem Haus führt, aber vorne nicht
    mehr heraus.Als Frau Brigitte die Perü-
    cke beibringt, ist’s um den Dorfrich-
    ter geschehen.
    Und Gerichtsschreiber Licht:«Hm!
    Die Perücke passt Euch doch, mein
    Seel /Als wär auf Euren Scheiteln sie
    gewachsen.»
    Abgesehen von derFrage, weshalb
    das Wort Scheitel hier im Plural steht,
    ist derFall gelöst, und diePerückehat
    unserem Schauspieler – hat auch er ein-
    mal denAdam gegeben? – dasRecht zu-
    gesprochen, seine Haartracht jederzeit
    alsTeil seines Berufs zu betrachten.
    Himms Lebenslauf ist mit Schau-
    spielern gespickt. Als kleines Kind, an
    der Hand seiner Mutter, in den Som-
    merferien, im Süden, sieht er zu einem
    stoppelbärtigen Mann auf,der mit gros-
    ser Stimme mit derMutter spricht. Er
    spricht Deutsch, jedoch ein anderes als
    Himm bekannt war.


Was hat der Mann gesagt, fragt
Himm, warum spricht er so?
Er darf seine Sprache auch in den
Ferien nicht verlernen, sagt die Mutter.
WarumkannmanSpracheverlernen?
Später erfährt Himm:Auch Musi-
ker müssen immerfort üben. Die besten
übrigens am meisten.
Ein so entbehrungsreich gestemm-
tes Können muss dauernd hochgehal-
ten werden.

Der Intendant inder Badehose


ZumTheater gehören seine Anek-
doten.Auch Himm hateine. Einmal,
lange ist’s her,steht er mit einergrossen
Dame des deutschenTheaters auf dem
Sandstrand von Ischia. Es ist Abend.
Man blickt gemeinsam über den im
GegenlichtglitzerndenWasserspiegel
und den leisenWellengang.Da erhebt
sich,Schritt für Schritt grösser werdend
und schliesslich bei den beiden ankom-
mend, eine Männerfigur aus demWas-
ser.Ach, sagt die grosse Schauspielerin
zu Himm,das ist ja... Und sie stellt vor,
mit ihrer besten Bühnenstimme, Sten-
torstimme, ihrer Sonntagsstimme, als
der andere dasteht:Mein jungerFreund
Himm – Generalintendant Professor
GustavRudolf Sellner.
Man gibt sich die Hand, imBade-
kostüm stehend, jeder denktzwanghaft
an sein Gemächte,das hier ganz und gar
überflüssige, aber man steht so formvoll-
end et,als stünde man imAbenddress im
Foyer desDarmstädterTheaters, wo die-
ser Sellner auch herkommt. Es war wohl
einerseits dasWort Generalintendant,
das den förmlichen Abstand zweier
Badehosen bewirkte, aber andererseits
auch – und noch mehr – eine Gnade, die
aus jenem Berufkommt. Solche Men-
schen, lernt Himm, sind eben nicht nur
fähig,Figuren zu kreieren–sie können
auchRäume schaffen.
Der Schauspieler stellt nicht nur je-
mand anderes vor auf der Bühne, einen,
der er selbst nicht ist. Er stellt zugleich
sich vor und aus, er kann mit nichts
anderem als mit sich selbst arbeiten.
Freilich in einem anderen Lichtals dem
alltäglichen, das heisst in einer Art von
Erscheinung, mit der er sonst nicht auf-
tritt. Er verstellt sich nicht, erstell t sich
aus als..., und dieses Als hat immer
schon zu ihm gehört. Er ist es gewesen,
er holt es nun wieder hervor.
Dabei begleiten ihnAttribute, Requi-
siten genannt. Bertolt Brechts Anwei-
sung an dieDarsteller der Bettler in der
«D reigroschenoper», sie sollten immer
eine Zahnbürste in der Brusttasche tra-
gen, war von dieser Art. Sie sollte den
Darstellern helfen, zu zeigen, dass ge-
rade im sozialen Abstieg der Einzelne
noch auf Attribute des früheren Lebens
nicht verzichten kann: Sie erinnern
ihn daran, wo er herkommt – dem Zu-
schauer jedoch zeigen sie, wo es ihn ein-
mal hintreibenkönnte.
Himms Nachbar und Schauspieler-
freund muss nun zu Proben für einige
Zeit in den Norden fahren. Als Himm
ihn zurBahn bringt, istFritz zu seiner
Überraschung so glattrasiert, als hätte
er sich am ganzenKörper enthaart. Er
trägt eine einfache Hose, ein dunkles
T-Shirt, darüber ein leichtesJackett.Er
hat wieder seinen steifen Hut auf, sei-
nen Aussenwelthut,in der Hand hält
er eine kleine, weicheReisetasche, das
Requisit für seine Siebensachen. Er
reist unbeschwert, ganzKünstle r, mit
leichtem Gepäck,wie einer, der bald zu
Hause sein wird. Und das stimmt auch


  • wird er denn nicht aufder Bühne
    erwartet?
    Himm sieht ihm nach,wie er zwi-
    schen den Menschenverschwindet, der
    steife Hut obenauf wie einKorken auf
    dem Wasser.
    «Er liess seine Kiste imKonsulat zu-
    rück», das findet Himm dann bei Mel-
    ville, «und nahm für seine Utensilien nur
    seineReisetasche mit.Dasist fastso,als
    ginge man nackt; aber mit seinerBart-
    tracht brauchte erkein Necessaire – nur
    eine Zahnbürste – ichkenne keinen un-
    abhängigeren Menschen.»Auch Mel-
    ville trug in erster Linie einenBart und

  • so vermutet Himm – statt aufwendiger
    Kleidung Manieren.
    Himm stellt sich seinen Schauspie-
    ler schlafend vor.Was macht der für
    ein Gesicht, wenn ihmkeiner zusieht?
    Mimt er in einer Art mimetischer End-
    losschleife einen Schlafenden, wenner
    schläft?Wir allekommen nicht heraus
    aus unseren Masken, und man kann


sagen: Der andere hatkeine Ahnung
von uns.Aber der Schauspieler spielt es
vor, dass wirnicht herauskommen. Denn
auch ohneKostüm und Maske ist der
in Kostüm und Maske, ein Schauspie-
ler als Selbstdarsteller, der einen Schau-
spieler vorstellt.
Himm hat ihn gern, seinenFritz, so
wie er ist, und er ist fasziniert davon,
was der alles aufführt. Himms Neugier
kommt auf ihreKosten. SeinenAuftritt
spieltFritz immer an derRampe,ganz
vorn, und dort sozusagen auf Zehenspit-
zen, auch bei sich zu Hause. Man sieht
ihn nicht nur neubärtig, wenn man an-
kommt – erreckt dir auch noch seinen
Kopf entgegen,das Kinn nach vorn,und
er sagt es, sofort: «Ich muss mir für die
Rolle eines Richters denBart wachsen
lassen.»

Der Bart tritt auf


Und dann, ganz Historiker, ganz ver-
an twortungsbewusst:«Trug man nicht
damals, in den zwanzigerJahren, noch
einen gezwirbelten Schnauzer?»
Ein anderes Mal. EinFernsehmann
hat angerufen. Es ist eineRolle vom
Anfang des 20.Jahrhunderts zu entwer-
fen, WeimarerRepublik.Das vergan-
gene19. soll in derRolle noch zu spü-
ren sein. DerSchauspieler will einen
«steifen Stock» spielen, wie er sagt. Der
Bart, den der steife Stock spielen soll,
wird ausführlich bedacht. Ein altesKon-
versationslexikonmuss helfen.DasWort
«Wilhelminismus». DerBart soll ein
Vollbart sein, mit Schnauzer, links und
rechts gezwirbelt.
Himm schliesst aus dem Nachdruck,
mit dem Müller-Grabbe diese Erwä-
gungen vorträgt, dass derBart dieRolle
für den Schauspieler übernehmen soll.
Der Bart,den der Schauspieler sich aus-
gedacht hat, soll auftreten, und dahin-
ter verborgen – wie einer, der sich eine
Maske vorhält – seinTräger.
Das kann im Fernsehenreichen,
denkt Himm. In der Grossaufnahme. Im
Theater braucht es mehr. Und stellt sich
eine Übung für Schauspieler vor: Der
Schauspieler ist glattrasiert,er spielt sei-
nen Bart. Der Zuschauer,der dasThea-
ter verlässt, muss schwörenkönnen, der
Schauspieler habe einenBart getragen.

Nun ist er kahlgeschoren.Kopfku-
gel ,Kugel kopf.Kein Bart. Leicht ge-
röteter Schädel. Ein wenig sieht er nun
aus wie Erich von Stroheim in «Sunset
Boulevard».Als Himm das ausspricht,
reckt der andere das Kinn vor:er kann
auch Stroheim.Himm,der weiss, wie viel
schwerer es ist, eine knappe Skizze zu
machen, als eine Ölschwarte zu pinseln,
bewundert dierasche, genaue Bewe-
gung. So müsste man schreibenkön-
nen. So müsste man spielen.Aber auf
der Bühne fallen sie dann doch immer
in die grosse Geste.
Der Schauspieler hat bessereTage
gesehen, wie man allzu leicht sagt.Wie
das manchem so geht, und nicht nur
Schauspielern: Man fällt von derRolle.
Fritz hat sich in den Süden abgesetzt.
Die Theater wussten sich zurächen, an
seinem schwindenden Erfolg wie an
seinem Abschied nach Italien. Grossen
ist es so ergangen, von denen man nur
weiss, weil siemit Glücknoch einmal auf
die Beine kamen: der alte Minetti zum
Beispiel.
«Lear», knarrt Fritz mit Minettis
Stimme, «Lear – in Ensors Maske», Tho-
mas Bernhard,er weiss, wie gerne Himm
das immer wieder hört.
Eines Abends, der Halbmond steht
zwischen denBaumkronen wie vorge-
schrieben, und von einer Seite leuch-
tet schwach eineLaterne auf den freien
Platz zwischen denBäumen.Ja, wie vor-
geschrieben:
«This lanthorn doth the horned moon
present –».
Zauberhaft verzaubernd schon jetzt
die Szene,als HimmsFreundFritz, auf
Zehenspitzen, auf dem staubigen Platz
vor dem Haus steht und nun, wie mit
Kin derstimme, leise, beschwörend die
Verse des Pyramus sagt:
«O Nacht, so schwarz vonFarb’, o
grimmerfüllte Nacht!/ O Nacht, die
immer ist, sobald derTag vorbei! / O
Nacht! O Nacht! O Nacht!Ach! Ach!
Ach! Himmel ach! / Ich fürcht’, dass
ThisbesWort vergessen worden sei.»
Und nun, und alle hielten den Atem
an:
«Und du, oWand,o süss’ und liebens-
werte Wand! / Die zwischen unsrer bei-
den Eltern Haus tut stehen; / Du Wand,
oWand, o süss’ und liebenswerteWand!
/ Zeig deine Spalte mir, dass ich dadurch
mag sehen.»
Der Freund hebt langsamdie Hand,
streckt langsam denFinger, und man
sieht dieWand, und man sucht mit den
Augen die Spalte, durch die die Lieben-
den sich für einen kurzenAugenblick se-
hen können.
«HabDank,du guteWand! Der Him-
mel lohn es dir!»
Es muss nunkeinen Applaus geben;
man hört ein etwas verlegenesLachen
in der Nacht.Aber Himm hat die Szene
nie schöner, nie dringlicher, nie ein-
facher gesehen. In dieserFrühsommer-
nacht erscheint Shakespeare persönlich
vor dem Haus seines spätenKollegen.

Hamlethater nicht gespielt


Himm mag denFritz.SeineVerlorenheit
berührt ihn. Und jene immer spürbare
Zartheit in dem grossen Mann.
Mitleid ist nicht gefragt, Bewunde-
rung angebracht. Oder Brüderlichkeit.
Der ist einKerl geblieben. Soviel der
daherredet und sagt und spricht: nie be-
klagt er sich über denWeg, der ihn hier-
hergeführt hat, an diesen Punkt in der
nichtdeutschsprachigenWelt, also ins
Off der deutschen Schaubühne, wo seine
Laufbahn miteinem Ruck zu einem
Haltepunkt gekommen ist. Hier wächst
der Lorbeer in grossen Büschen,aber
niemand mag ihn zu Kränzen binden.
Im Abseits, hinter den sieben Bergen,
und nicht in jenerToskana, wo die gros-
sen, die unübersehbaren Regisseure des
deutschenTheaters, die in derJugend
Revolution gemacht haben, im Alter ihr
Olivenöl hätscheln. ImWinter sitzt er an
seinem Kamin, vielmehr lagert er davor
auf einem alten Sofa, unterhält mit gro-
ben Klötzen, die er, gegeneinander ge-
lehnt, langsam herunterglüht, ein steti-
ges Feuerchen und liest in alten deut-
schen Zeitungen, welche ihm andere
hinterlassen haben.
«Er hat alle grossenRollen gespielt;
er gab sogar einmal den Nathan», raunt
man.Ihn zu fragen, getraut Himm sich
schon nicht mehr. Es ist nicht klar, wie
einer mit solch zweischneidigem Nach-
ruhm umgehen soll. Himm spürt sich
selbst, wie er knapp unterhalb des Be-

merktwerdens lebt. DieKollegen von
der Belletristik gehen an dieFrankfur-
ter Buchmesse,einige sogaran die Leip-
ziger, und begegnen denPersonen der
literarischenWelt.
Himm bleibt imKontor. Er redet sich
ein, er h abe es so gewollt.
«NurdenHamlethaternichtgespielt.»
«Einmal, inBasel, war er der Prinz
von Homburg.»
«Ich glaube, er war derValerio in
‹Leonce und Lena›.»
Die Tür ist zu. Aber der, über den
man das sagt, anerkennend, aber eben
vom Ende her, der atmet doch noch!
Manchmal möchte Himm schreien vor
Schmerz –
Fritz Müller-Grabbe. Vielleicht
konnte einer mit einem solchen Namen
keine dauerhafteTheaterkarriere ma-
chen.Anderekommen aus derMaske,
kaum geschminkt, und sie treten auf
mit ihrem eigenen Gesicht, so berühmt
sind sie geworden. Bruno Ganz war so
einer geworden. Fritz kämpft mit Herz-
beschwerden. Sieben Stents, sagt man,
hat er sich schon setzen lassen. Eine
Aortaoperation käme nicht infrage, die
Gefässe zu schwach. Oft liegt er am
Nachmittag im Bett, eine Bierbüchse
neben sich, das schon.

Und danndieErweckung


In seinem verwilderten Garten hat er,
auch darin ein Eigenbrötler, alte Autos
gesammelt. Motorhaubenrosten still,
Felgen sacken auf die plattenReifen.
Cinquecentos,die anderswo teuer ge-
handelt werden, versinken friedlich
im Gras, das um sie herum aufschiesst.
Nichts hat mehr die Aggressivität eines
Berufs, in dem man unentwegt an die
Rampe drängen muss.
Ins Licht!
«Ich bin nicht anders als Sie, ich stehe
einfach im Scheinwerferlicht», sagte
HarveyKeitel, ein Grosser desFilms, zu
einem jungen Mann,der ihn interviewte.
Es stimmt nur nicht, lieber, verehr-
ter Harvey: Sie stehen nicht einfach im
Licht.
Sie stehen einfach im Licht.Das
Licht macht den Unterschied.Wer im
Kino sitzt oder imTheater, sitzt näm-
lich imDunkeln.Ihre liebenswürdige
Bescheidenheit, Keitel, rett et nicht
den Umstand, dass Sie, im Licht, Ihre
Person vervielfachen, vertausend-und
verabertausendfachen, in jedem Saal,
in dem derFilm gespielt wird, in jeder
Vorstellung.
Das Licht scheidet dieWelten,und
die einen sind im Licht, und die andern
sind es nicht, und daher ist auch der
allererste, der allerdringlichsteWunsch
jedes Schauspielers: Licht auf mich!
Was für ein verzweifelterRuf. Nein,
für den Freund ist das Manna des
Applauses versiegt. SeinAutofriedhof
sieht aus wie eineParaphrase auf Cas-
par David Friedrich, wie «Die geschei-
terte Hoffnung».Der Schauspieler steht
davor und streicht sich über denBart.
Und sokönnte Himm ihn wohl ste-
hen lassen: als Einsamkeitsfigur im
künstlerischen Abendrot.
Aber in diesemFall hat ein Gott sich
erbarmt.Thespis deroselbst.AmFreitag-
nachmittagkommt derAnruf.Am Mon-
tag fliegt Fritz nach Deutschland. Er hat
übersWochenende als Einspringer für
eine Hauptrolle im HamburgerTheater
sechzig SeitenText gelernt und zwölf
Lieder einstudiert.Am Dienstag steht er
für eineDurchlaufprobe auf der Bühne.
«Licht an», rufen dieKollegen, und
unserLazarus steht an derRampe, da-
vor das dämmrige Ungefähr des Zu-
schauerraums,graues Arbeitslicht. Am
Mittwoch ist Premiere.
Eine Erweckung.
Noch einmal istFritz der grosse
Müller-Grabbe geworden. Er spielt
das Stück dreiWochen lang,Abend für
Abend,und er spielt es zwanzig Mal glo-
rios zu Ende.
In jeder Szene derAufführung habe
eraufderBühnegestanden,erzähltseine
Frau.Himm sitzt mit ihrin derKüche im
Süden,Fritz ist noch in Hamburg.
Vorhang,Applaus, vollesLicht. Fritz
in der Mitte der sich verbeugenden
Kollegen, der Scheinwerfer findet ihn
sofort, eine Hand nach links, eine Hand
nachrechts.
Dann allein am Bühnenrand; unten
tobt das Publikum.
Nachdenklichkehrt Himman dem
Abend,als ihm das erzählt wird,in s eine
Pension zurück.

Er spielt das Stück
dreiWochen lang,
Abend für Abend,
und er spielt es
zwanzig Mal
glorios zu Ende.
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