G
efesselt standen die Ge
fangenen des Paschas auf
dem Kamm des Miner
va-Hügels. Sie wussten,
was sie erwartete. Unter
ihnen lag das italienische Otranto, ihre
Stadt, in Trümmern. Die Männer hatten
sie zwei Wochen lang verbissen gegen
eine türkische Übermacht verteidigt.
Ein kurzer Befehl des Siegers - dann
wurden sie alle enthauptet.
Wahrscheinlich ist es nicht mehr als
eine Legende, dass der türkische Admi
ral Gedik Ahmed Pascha ihnen zuvor
angeboten hatte, sie zu verschonen,
sollten sie zum Islam übertreten. An
geblich hätten sie abgelehnt und seien
im Namen Christi gestorben. So gingen
sie als die "Märtyrer von Otranto" in die
katholische Heiligengeschichte ein.
Unbestritten ist, dass es die Massen
hinrichtung im August 1480 wirklich
gegeben hat. Mit ihr bestätigten die
Türken in den Augen der christlichen
Welt wieder einmal ihren Ruf. Der be
rühmte Prediger Johannes von Cape
strano etwa sah sie so: "Sie betrachten
die Christen als ihre Hunde, lästern
beständig den Namen Gottes, verspot
ten den christlichen Glauben, zerstören
die Kirchen, schänden die heiligen Al
täre und schrecken, Gott sei es geklagt,
nicht einmal davor zurück, Jungfrauen
auf dem Altar zu deflorieren, sie vergie
ßen das Blut der Christen in wilder Wut
und schicken sie in die Sklaverei."
Und jetzt standen die heidnischen
Invasoren sogar auf italienischem Bo
den. Im Land des Heiligen Vaters! Der
osmanische Sultan Mehmed II. hatte
sie nach Apulien geschickt,
jener Mann, den Papst
Nikolaus V. einmal als
"den Sohn Satans" be-
zeichnet hatte. Mehmed selbst nannte
sich "Fatih", der Eroberer, seit er 1453
Konstantinopel, die Hauptstadt des
Oströmischen Reichs, belagert und
eingenommen hatte. Oder auch "Kai
ser", da er sich als legitimer Erbe der
byzantinischen Herrscher fühlte.
Sollte für "Kaiser" Mehmed II. der
Griff nach Otranto der erste Schritt zu
einem Angriff auf Rom, die Hauptstadt
der Christenheit, sein? Sollte seine Plot-
te mit etwa 20000 Soldaten einen Brü
ckenkopf sichern, von dem die Türken
ganz Italien aufrollen konnten? Es sind
Äußerungen Mehmeds überliefert, die
das vermuten lassen. Schon überlegte
man im Vatikan, die Residenz des Paps
tes wie früher schon einmal ins südfran
zösische Avignon zu verlegen.
Für die Türken war es ein langer
Weg vom Nomadenvolk zum Schre
cken Europas gewesen. Er hatte rund
1000 Jahre zuvor in den Weiten der zen
tralasiatischen Steppe begonnen. Von
Gut gerüstet
Die Standardwaffe der Türken
war der .. Kilidsch" genannte
Krummsäbel. Das Wort bedeu
tet vermutlich so viel wie .. Tö
tungsinstrument". Die besten
Exemplare kamen aus Syrien.
Türkenkriege
dort waren die Türken, besser gesagt,
verschiedene turksprachige Ethnien,
im Laufe der Jahrhunderte in mehre
ren Schüben nach Westen gewandert.
Im Jahr 1071 besiegte das Reiterheer
eines dieser Stammesverbände, der
inzwischen islamischen Seldschuken,
bei Manzikert in Anatolien eine hoch
gerüstete oströmische Streitmacht und
nahm den Byzantinern Kleinasien weg.
Die Türken waren in der Geschichte der
Christenheit angekommen.
W
ährend der nächsten 300 Jah
re wechselten sich Erfolge
und Misserfolge auf beiden
Seiten ab. Zeitweise konnte Byzanz
den westlichen Teil Kleinasiens zurück
erobern. Doch tendenziell schrumpf
te und schrumpfte das Oströmische
Reich, bis es gegen 1360 mehr oder
weniger nur noch aus seiner Hauptstadt
am Bosporus und ein paar verstreuten
Besitzungen in Griechenland und am
Schwarzen Meer bestand.
Das türkische Kleinasien war in
zwischen in mehrere "Beyliks" (Herr
schaftsbereiche) zerfallen. Einer davon
war um 1300 südöstlich von Konstanti
nopel der eher bescheidene Beylik eines
gewissen Osman, dem das spätere Os
manische Reich seinen Namen verdan
ken sollte. Nach und nach aber dehnte
sich der Kleinstaat aus, und schon 1333
schrieb ein marokkanischer Reisender
bewundernd über Osmans Nachfolger.
Dieser sei "der Größte aller turkomani-
schen Herrscher, der Reichste an
Schätzen, Land und
Truppen" und nenne
"fast hundert Festun
gen sein eigen".
Ironischerweise sollte
ausgerechnet der Kaiser in Kon-
stantinopel die Türken Mitte des
- Jahrhunderts nach Europa holen.
Als Belohnung für ihre Waffenhilfe
in seinen endlosen Thronstreitigkei
ten durften sie die Halbinsel Galli
poli auf der europäischen Seite der
Dardanellen besetzen. "Vorüberge
hend", meinte Kaiser Johannes VI.
Doch als 1354 ein schweres Erdbe-
ben die Gegend erschütterte, deuteten
die Osmanen das als ein "Zeichen des
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