Zwar widmete er die Hagia Sophia zur
Moschee um und baute in der erober
ten Stadt Koranschulen und weitere
Bethäuser. Doch er ließ seinen neuen
Untertanen ihren christlichen Glauben
und zeigte sich ihrem Oberhaupt, dem
orthodoxen Patriarchen, gegenüber
respektvoll und wissbegierig. Dukas:
"Er ließ den Patriarchen rufen, um mit
ihm zu speisen, und sie sprachen lange
miteinander." Dann "begleitete er ihn
hinunter bis zum Ausgang, wo ein ge
schmücktes Pferd bereitstand, und bat
ihn, es zu besteigen, und befahl, dass
alle Großen seines Hofes den Patriar
chen begleiten sollten".
Mehmed war ein Eroberer. Er hatte
nicht zufällig die griechischen Quellen
über das Leben Alexanders des Großen
studiert. Wie die unterworfenen Völker
Alexanders sollten auch seine Unterta
nen ruhig multikulturell und multireli
giös sein. Hauptsache, sie waren seine
Untertanen-und möglichst viele.
D
ie Päpste waren entsetzt über
den neuen Herren von Byzanz.
Der Halbmond statt des Kreu
zes auf der Hagia Sophia, der vormals
größten Kirche der Welt? Was für eine
Demütigung! Wie schon sein Vorgänger
Nikolaus V. beschwor 1456 auch Papst
Calixt III. in einem erneuten Kreuz
zugsaufruf den Kampf auf Sein oder
Nichtsein gegen den Antichristen am
Bosporus. "Ich verspreche und gelobe,
dass ich, wenn nötig selbst mit Aufopfe
rung meines eigenen Blutes, alles auf
bieten werde, Konstantinopel wieder
zu erobern und die teuflische Sekte des
verworfenen und treulosen Moham
med im Orient auszutilgen."
Der Humanist Enea Silvio
Piccolomini - der spätere
Papst Pius II. - stöhn
te über die "größte
Schmach der Chris
tenheit" und sah
das Erbe der An
tike in Gefahr:
"Dies ist der zwei
te Tod für Homer
und auch für Pla
ton. Nun herrscht
Mohammed unter uns."
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KUNSTSINNIG Kurz vor seinem
Tod ließ sich Sultan Mehmed II.
vom Italiener Gentile Bellini malen
Überall in den Kirchen Europas
läutete zur Mahnung die extra einge
führte Türkenglocke. Doch es geschah
nichts. Die Seemächte Genua und Vene
dig wollten ihren florierenden Handel
mit dem Orient nicht gefährden. Die
gekrönten Häupter des Abendlandes
nickten zwar sorgenvoll, aber ihre Pro
bleme zu Hause schienen ihnen näher
und wichtiger. Außerdem stand ja noch
das christliche Bollwerk Ungarn einem
Großangriff der Türken im Wege.
Derweil sollte das verfallene Kon
stantinopel nach dem Willen des "Kai
sers" Mehmed als glanzvolle, kosmopo
litische Metropole wiederauferstehen.
Er befahl laut dem Chronisten Krito
bulos den Wohlhabenden, "prächtige
RIESENDING Dieses türkische
Geschütz konnte 340 Kilogramm
schwere Steinkugeln verschießen
(hinteres Teilstück, 1464 gegossen)
Häuser in der Stadt zu erbauen und
Bäder einzurichten, Gasthäuser, Märk
te, Werkstätten in sehr großer Zahl und
bester Ausstattung sowie Gotteshäu
ser und Andachtsstellen zu errichten
und dabei keinen Aufwand zu scheu
en entsprechend dem Wohlstand und
Vermögen eines jeden". Und er ließ, so
Kritobulos weiter, perErlass "möglichst
viele Menschen, nicht nur Christen,
sondern auch sehr viele Angehörige
seines eigenen Volkes und auch Juden
ihren Wohnsitz in die Stadt verlegen".
H
andwerker aus ganz Europa
wurden von Mehmed ins Osma
nische Reich geholt. Angeblich
beherrschte der Sultan sechs Sprachen,
diskutierte gern und ausführlich über
Astronomie und Philosophie - be
sonders die griechischen Stoiker und
Aristoteles hatten es ihm angetan. Au
ßerdem schrieb er Gedichte. Er interes
sierte sich sein Leben lang für Kanonen,
je größer, desto besser. Das gewaltigste
dieser ballistischen Ungetüme soll bis
zu 500 Kilogramm schwere Steinkugeln
fast zwei Kilometer weit gefeuert haben.
Für die Architektur war die antike
Hagia Sophia sein unübertreffliches
Vorbild. Der Hofchronist Tursun Beg
nannte sie "ein Wunder des Paradieses",
nichts Ähnliches sei je auf der Welt ge
baut worden. 1479lud Mehmed den ve
nezianischen Maler Gentile Bellini an
seinen Hof ein. Ihm verdanken wir das
berühmteste Porträt des reifen Herr
schers mit Turban und Habicht-Profil.
Schritt für Schritt entmachtete Meh
med die alten Adelsfamilien und ver
ließ sich lieber auf ihm treu ergebene
Staatsdiener, die zuvor eine gründli-
che Ausbildung auf soge
nannten Pagenschulen
durchlaufen hatten.
Vor allem aber wurde
er seinem Beinamen
Fatih gerecht. Da
bei machte er kaum
einen Unterschied
zwischen Gläubigen
und Ungläubigen. In
den 30 Jahren seiner
Regierung eroberte er
muslimische Beyliks in