Türkenkriege
J
ean de la Valette ist ein Mann
mit zwei Gesichtern. So wie
die Ordensritter, die er be
fehligt, je nach Lage ihre
Tracht wechseln -schwarz
im Frieden, rot im Krieg -, tauscht der
Großmeister der Johanniter nach Belie
ben die Rollen. Einmal pro Woche geht
er in das Hospital, um sich dort um die
Siechenden zu kümmern, bringt ihnen
Wasser, säubert ihre Wunden und ser
viert ihnen stärkende Speisen auf sil
bernen Tellern (weil das hygienischer
ist). Dann wiederum schickt er seine
Kaperfahrer aus, um Menschen zu ver
schleppen, wie er es in seiner Jugend
einst selbst getan hat.
Diese Mischung aus Seeräuber und
Krankenpfleger passt zu einem in man
cherlei Hinsicht schizophrenen Orden,
dessen Mitglieder morden und heilen,
beten und brandschatzen. Die für die
Sache Christi streiten und Unschuldige
in Ketten legen. Die eines der führenden
Krankenhäuser ihrer Zeit betreiben -
und einen der größten Sklavenmärkte.
Die seit 1530 auf einem kargen Eiland
residieren, das beides ist: Piratennest
und Bollwerk der Christenheit. Malta.
Wahrhaftig: Jean de la Valette ist
ein Mann mit zwei Gesichtern, doch am
Morgen dieses 18. Mai 1565 ist nur die
erbarmungslose Seite des etwa 70-Jäh
rigen gefragt. Das Schicksal des Abend
landes hängt von ihm ab. Am Horizont
schiebt sich die osmanische Flotte mit
weißen Segeln wie ein Eisberg auf die
Insel zu. Nie zuvor haben die Sultane im
unter türkische Herrschaft gebracht.
Hier kann keine fremde Macht mehr
ihre Pläne durchkreuzen. Nun wollen
sie auch die andere Hälfte beherrschen.
Und Malta ist der Schlüssel dazu.
Als Signalfeuer und Kanonenschüs
se die bevorstehende Invasion ankündi
gen, fliehen die Bewohner der Insel in
Panik hinter die Mauern ihrer Städte.
gründeten italienische Kaufleute ein
Hospital in Jerusalem, zu dem auch
eine Johannes dem Täufer geweihte
Kirche gehörte. Dort kümmerten sich
Johanniter-Mönche um christliche Pil
ger, die auf ihrer Reise erkrankt waren.
Nachdem die Stadt an die Kreuzrit
ter gefallen war, entwickelte sich aus
dieser Keimzelle eine selbstständige
ZWEIKAMPF Der Korsar Turgut Reis- auch Dragut genannt- entriss den Johanni
tern einst die Hafenstadt Tripolis. Im Jahr 1565 gehörte er zu jener Flotte, die auch
Malta erobern wollte. Der Großmeister Jean de Ia Valette stellte sich ihm entgegen
Für Jean de la Valette und seine 8000
Kämpfer - darunter rund 500 Ritter -
aber ist jener Moment gekommen, auf
den sie sich seit Monaten vorbereitet ha
ben. Als junger Mann musste der Groß-
Gemeinschaft. Eine Bulle des Papstes
brachte dem Orden vom "Hospital des
heiligen Johannes zu Jerusalem" 1113
sogar Anerkennungvon höchster Stelle.
Zweimal haben die frommen
Ritter ihre Heimat verloren.
Diesmai wollen sie nicht weichen
Und es blieb nicht beim Kranken
dienst: Nach und nach übernahmen die
Brüder militärische Aufgaben im Kampf
gegen die Muslime. Doch den Sieges
zug der ägyptischen Mamelucken, die
1291 die letzte christliche Bastion in
der Levante erstürmten, konnten auch
sie nicht aufhalten. Rund zwei Jahrhun
derte nach ihrer Gründung waren die
fernen Konstantinopel eine größere Ar Johanniter ein heimatloser Haufen.
mada in See stechen lassen. 379 Schif
fe, die alles an Bord haben, was man für
eine Belagerung braucht. Verpflegung,
Kanonen mitsamt 100000 Kugeln und
nicht zuletzt rund 40 000 Soldaten.
Die östliche Hälfte des "Weißen
Meeres", wie die Osmanen das Mittel
meer nennen, haben sie schon vollends
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meister miterleben, wie die Türken den
Orden schon einmal aus einem sicher
gewähnten Hauptquartier vertrieben.
Diesmal soll es nicht so weit kommen.
Ein drittes Mal sollen die Johanniter
ihre Heimat nicht verlieren.
Begonnen hat ihre Geschichte einst
im Heiligen Land. Einige Jahrzehnte
vor dem Ersten Kreuzzug (1096-99)
E
inem anderen Ritterorden sollte
es jedoch noch schlechter ergehen
als ihnen-und das war ihr großes
Glück. Als der Papst die der Ketzerei
bezichtigten Templer 1312 für aufge
löst erklärte, fiel deren Besitz an die
Johanniter. Diese nutzten den unerwar-