P.M. History - 08.2019

(Tina Meador) #1

Tödliche


W


as bildet sich der Sul­
tan eigentlich ein?
Ohne sie, seine bes­
ten Kämpfer, wäre
er ein Niemand. Ein
Herrscher ohne Heer. Und jetzt will Os­
man li., ein 17-jähriger Jüngling, seine
tapferen Janitscharen einfach loswer­
den. Ersetzen. Das können sie nicht zu­
lassen. Am 20. Mai 1622 marschieren
die Soldaten zu seinem Palast. Säbel
klirren, Rufe erschallen. Doch der Sul­
tan lässt sich nicht blicken. Nun kennen
die Männer nur noch ein Mittel: Gewalt.
Sie stürmen die Tore, verjagen die
Wachen, verwüsten die Gemächer -
und erschüttern so das Reich in seinen
Grundfesten. Die "Söhne des Sultans",
wie die Janitscharen auch genannt wer­
den, wenden sich gegen ihren Vater.
Wenig später findet sich Osman auf
einem klapprigen Pferd wieder. Die Sol­
daten haben ihm ein dreckiges Tuch als
Turban umgebunden und führen ihn in
einem zerfetzten Hemd durch eine joh­
lende Menge. Was für eine Demütigung!
Doch Osman wird nicht mehr lange
über seinen Sturz nachsinnen können.
Das Türkenreich steht 1622 an ei­
nem Wendepunkt. Die Janitscharen ha­
ben ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit
verloren. Vorbei sind die glorreichen
Tage, in denen allein ihr Name- er be­
deutet "Neue Truppe" - die Christen
schreckte. Vorbei die Zeit, als sie den
Aufstieg der Osmanen ermöglichten.

Im 14. Jahrhundert, als sich die
Dynastie zur Großmacht aufschwang
und dringend neue Soldaten brauchte,
fand Sultan Murad eine kluge Lösung:
Männer aus den eroberten christlichen
Provinzen. Anders als bei den türki­
schen Reiterkriegern galt ihre Treue
nicht einem der vielen Stammesfürs­
ten, sondern nur ihm. Außerdem waren
sie immer einsatzbereit und einheitlich
ausgebildet. Anders als die oft eilig aus­
gehobenen christlichen Söldnerheere.

GLÜCKLOSER HERRSCHER
Osman II. (1604-1622) war der
erste Sultan, den ein Putsch der
Janitscharen das Leben kostete

Sie sind die besten


Soldaten ihrer Zeit:


Dank der Janitscharen


erringen die Osmanen


gegen die Christen Sieg


um Sieg. Bis die Elite­


garde die Säbel gegen


ihren Herren richtet


Von Manuel Opitz

Seit Murads Reformen schicken die
Sultane alle ein bis fünf Jahre Offiziere
zur "Knabenlese" in die Dörfer auf dem
Balkan und im Kaukasus. Während der
Priester das Taufregister aushändigt,
müssen sich die Väter mit ihren Söhnen
versammeln. Wer Christ ist, kommt in
die engere Auswahl. Dann werden die
starken, hübschen Jungen abgeführt
und sehen ihre Eltern nie wieder. Sie
gehören jetzt dem Sultan.
Zwischen 1000 und 12 000 Jungen
werden so pro Jahr rekrutiert. Zwar
sind Familien mit nur einem Sohn aus­
genommen, ebenso verheiratete Män­
ner, und auch die Städter bleiben meist
verschont. Trotzdem wird die Knaben­
lese zum Symbol für das türkische Joch.
So klagt etwa Erzbischof Isidoros von
Thessaloniki 1395 über das Leid, wenn
das eigene Kind "weggerafft", "in frem­
de Sitten gezwängt" und "zur Tötung
seiner Landsleute erzogen" werde.

T


atsächlich beginnt für die Jungen
ein Martyrium: Zwangsbekehrt,
beschnitten und mit einem mus­
limischen Namen ausgestattet, müssen
sie sich einer weiteren Musterung stel­
len. Die intelligentesten wechseln di­
rekt in den Palastdienst, die restlichen
90 Prozent werden für bis zu sieben
Jahre an anatolische Bauernfamilien
"vermietet". Sie arbeiten auf dem Feld,
lernen Türkisch, praktizieren den isla­
mischen Glauben. Danach werden sie in

P.M. HISTORY -AUGUST 2019 43
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