Wahrscheinlich aber gibt es viele mehr.
Sie sind Kriegstrophäen, die man he
rumzeigen, verschenken, verkaufen
kann, für die Gunst eines Fürsten, für
Profit. Der Offizier Hussin geht für
45 Reichstaler an einen fränkischen
Adligen. Ein Junge namens Bery wech
selt bis zu seinem sechsten Lebensjahr
dreimal den Besitzer.
M
anch einer der Käufer will an
den Heidenkindern vielleicht
seine Christenpflicht erfül
len. In den Kirchenbüchern der Jahre
um 1700 häufen sich Einträge zu "Tür
kentaufen", wobei jeder als Türke gilt,
der muslimischen Glaubens ist, egal
ob er nun aus Konstantinopel oder Sa
rajevo kommt. Der Katechismus ist der
Einbürgerungstest für das christliche
Europa. Mit der Taufe erhalten die "ge
westen Türken", wie es damals heißt,
oft ihre Freiheit und für das neue Leben
auch gleich neue Namen. Meistjene der
Taufpaten. So wird aus Fatyma Susan
na Rosina und Mehmet erhält ein Lud
wig Maximilian hinzu.
Viel mehr Anpassung wird zumin
dest an den Fürstenhöfen nicht gefor
dert. Dort schmückt man sich gern mit
Exotika und demonstriert so Weitläu
figkeit. Hofmohren und Beutetürken
sollen mit Turban und Schärpe ihre
Fremdartigkeit präsentieren, den Herr
schern einen orientalischen Glanz ver
leihen. Dafür bietet der Hof ihnen aber
auch Chancen: Ludwig Maximilian
Mehmet erlangt nicht nur die Kammer
herrenwürde, sondern wird auf Betrei
ben seines Dienstherren schließlich
sogar in den erblichen Adelsstand er
hoben. Von Königstreu dürfen er und
seine Nachfahren sich nun nennen.
Die Gunst eines Fürsten gewinnt
auch Fatima, getaufte Maria Aurora,
über die Theodor Fontane im 19. Jahr
hundert schreiben wird, dass sie "durch
ihre blendende Schönheit wie durch das
romantische Interesse ihres Geschicks
aller Augen auf sich zog". Auch die des
Kurfürsten August von Sachsen - be
kannt als "der Starke".
Fatima kommt 1694 mit ihrer Patin
Gräfin Aurora von Königsmarck an den
sächsischen Hof und wird bald Augusts
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STOLZ Ludwig Maximilian Meh
met von Königstreu bringt es vom
Kriegsgefangenen zum Adligen
BLÜTE Tulpen lösen in Europa eine
wahre Manie aus. Auch sie kom
men aus dem Osmanischen Reich
Mätresse. Zwei Söhne gebiert sie ihm
wohl. Vermutlich der Bequemlichkeit
halber verheiratet August sie mit sei
nem Kammerdiener Johann George
Spiegel. 1713 schickt August ihn zum
Einkauf nach Konstantinopel. Möglich,
dass Fatima ihrem Ehemann dort auf
den Basaren als Dolmetscherin aushilft.
A
ugust setzt fort, was seine Vor
fahren begannen. Bereits im
- Jahrhundert füllten Europas
Fürsten ihre Schlösser mit Beute aus den
Türkenkriegen. Die sächsischen Wet
tiner trugen sie in ihrer "Türckischen
Cammer" zusammen, deren Samm
lung August nun auf friedlichem Wege
erweitert. Seine Durchlaucht verlangt
Teppiche, Kissen, Rosenwasser, Zel
te. Das größte ist 20 Meter lang, sechs
Meter hoch und ruht auf drei dicken
Pfosten. Alles Türkische begeistert ihn.
Damit ist August nicht allein. Im christ
lichen Europa grassiert die Turquerie.