Neugierig war man auf die "Barba
ren" aus dem Osten schon lange, allem
Grausen zum Trotz. Nun, da die christli
che Allianz den Mythos der Unbezwing
baren vor den Toren Wiens zerschossen
hat, weicht die Furcht der Faszination.
Die einstige Bedrohung wird zur Mode.
Für viele Europäer mag sie zu Beginn
noch eine Art Bannzauber sein. Wie
manche Kannibalenstämme ihre gefal
lenen Gegner verzehren, so verleiben
Christen sich das Türkische ein. Ludwig
Wilhelm von Baden-Baden, der "Tür
kenlouis", der selbst gegen die Osma
nen ins Felde gezogen ist, etwa posiert
mit Kaftan, Pluderhose und Krumm
schwert. August von Sachsen, der sich
1697 die polnische Krone gekauft hat,
inszeniert seine Macht mit den Requisi
ten der Herrscher vom Bosporus.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts aber
siegt die Sinneslust, angeregt auch
durch den zunehmenden diplomati
schen Kontakt zwischen Ost und West.
SAMMLUNG Das Prunkstück der
.. Türckischen Cammer" im Dresd
ner Residenzschloss ist dieses Zelt
1763 zieht die erste ständige Gesandt
schaft der Hohen Pforte mit großem
Gefolge in Berlin ein und betört die Zu
schauer mit orientalischer Pracht. Und
Lady Wortley Montagu, Gattin des bri
tischen Botschafters in Konstantinopel,
berichtet aus den Gemächern der osma
nischen High Society vom "Genuss ei
ner untätigen Sinnlichkeit".
Ab 1704 kann Europas Oberschicht
die Märchen aus "Tausendundeiner
Nacht" in französischer Übersetzung
lesen und sich von der Geschichtener
zählerin Scheherazade in eine Welt aus
Gold, Seide und Weihrauchduft entfüh
ren lassen. In der Vorstellung des Wes
tens verwandelt sich "der Türke" all
mählich vom grausamen Krieger zum
glanzvollen Sultan, tyrannischen Wesir
oder lüsternen Haremsbesitzer. Dass
die meisten Erzählungen der Samm-
Türkenkriege
lung nicht osmanischen Ursprungs
sind, ist nebensächlich. Der Orient der
Turquerie ist eine Fata Morgana, in die
sie im Westen staunend blinzeln.
B
esonders die türkische Badekul
tur und der Harem lassen die
Fantasie der Europäer glühen.
Kaum einer von ihnen hat je Gelegen
heit, sich in osmanischen Frauengemä
chern umzusehen, und darum träumen
sie in den Salons von Paris und Berlin
von wilden Ausschweifungen, während
sie an türkischem Honig lutschen. Auch
die Berichte von Lady Wortley Monta
gu ändern daran wenig. Zwar erlebt sie
keine Orgien, weiß aber, was sie ihren
Lesern schuldig ist. Über ein Frauenbad
in Sofia schreibt sie von viel nackter
Haut und Perlen in langem Haar.
In Europa erscheinen erotische Ha
remszenen auf Gemälden und Gobelins.
Wohnräume werden mit dicken Pols
tern, Posamenten und Halbmonddekor
P.M. HISTORY -AUGUST 2019 59