P.M. History - 08.2019

(Tina Meador) #1

Der Islam wurde zur Antithese des
fo rtschrittlichen Europas?
Genau. Für viele Menschen im 19. Jahr­
hundert war diese Religion schlicht
unvereinbar mit der modernen Welt.
Sie sahen in ihr nur einen konservati­
ven Hemmschuh im Nahen Osten.


Dieses Bild ist immer noch wirkmäch­
tig. Manche sprechen gar von einem
Kampf der Kulturen zwischen Orient
und Okzident. Was halten Sie davon?
Ehrlich gesagt, nichts. Das ist- vor­
sichtig formuliert-ein sehr starres
Konzept. Dahinter steckt die Vorstel­
lung, dass es sich bei Kulturen um
geschlossene Systeme handle, die in
ihrem Wesen grundsätzlich anders
sind. Natürlich gibt es kulturelle
Unterschiede, aber zwischen diesen
sogenannten Kulturkreisen hat stets
auch ein Austausch stattgefunden. Zu
behaupten, dass sie zwangsläufig in
Konflikt geraten müssen, nur weil sie
sich voneinander unterscheiden, ist
eine grobe Vereinfachung. Das wird
der historischen Realität nicht gerecht.

In Deutschland leben heute rund drei
Millionen Menschen mit türkischen
Wurzeln. Spielen die alten Feindbil­
der noch eine Rolle? Behindern sie
gar die Integration?
In der Politik lassen sich Fremd-und
Feindbilder natürlich hervorragend
nutzen. Und wir erleben gerade, dass
in den Diskussionen um Fragen der
Identität das Eigene sehr stark betont
wird, während man sich mit Vorlie­
be vom Fremden abgrenzt. Rechte
Kreise heben zum Beispiel gerne ihre
christlich-abendländische Identität
hervor. Konservative Muslime defi­
nieren sich dagegen oft in Gegensatz
zur christlich-europäischen Kultur.
Das ist sicherlich ein Element, das uns
trennt.

Aber ist es auch ein Erbe der jahrhun­
dertelangen Türkenkriege?
Ob da jetzt nach wie vor Bilder aus dem


  1. Jahrhundert am Werke sind, ist
    schwer zu sagen. Ich denke, es ist eher
    eine Vorstellung vom Islam als etwas
    grundsätzlich von Europa Verschie-


ALTE KÄMPFE Die rechtsextreme
ldentitäre Bewegung organisierte im
September 2017 einen Gedenkmarsch
auf dem Kahlenberg bei Wien

denes. Klar ist: Diese Abgrenzungs­
mechanismen sind nicht nur nach wie
vor vorhanden, sie sind in den letzten
Jahrzehnten auch sehr viel stärker
zutage getreten als früher. Das hilft
nicht gerade, Menschen aus der Türkei
oder Nordafrika gut zu integrieren,
weil diese einerseits nicht wirklich
akzeptiert werden, andererseits sich
aber auch selbst von ihrer Umgebung
abkapseln, wenn sie in Europa leben.

Wie bricht man aus diesen Abgren­
zungsmechanismen aus?
Das Wichtigste ist, dass man Menschen
nicht in irgendwelche Schubladen
steckt, die durch einen Kulturkreis
oder eine Religion definiert werden.
Man muss erst mal davon ausgehen,
dass jeder Mensch, mit dem man in
Kontakt kommt, durch seine Vernunft


  • also durch sein Menschsein- in der


Türkenkriege


Lage ist, mit anderen friedlich zusam­
menzuleben. Und dieses Zusammenle­
ben muss man pragmatisch gestalten.
Auf keinen Fall darf man von vornher­
ein davon ausgehen, dass jemand, der
aus Afrika oder Asien kommt, grund­
sätzlich anders ist als der Mensch, der
hier in Europa aufgewachsen ist.

Und die Last der Geschichte sollte
man seinem Gegenüber vielleicht
auch nicht unbedingt aufbürden.
Nein, das bringt nichts. Man kann den
Türken von heute nicht vorwerfen, dass
ihre Ahnen zweimal Wien belagert ha­
ben. Sie könnten ja ähnlich argumen­
tieren. Denn auch die Europäer haben
einst die Osmanen überfallen, Provin­
zen besetzt und Muslime massakriert.
So kommen wir nicht weiter. •

Joachim Te igenbüseher und
sein Team hätten dieses Heft
ohne den erwähnten Kultur­
austausch niemals vollenden
können. Stichwort: Kaffee.

P.M. HISTORY -AUGUST 2019 71
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