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Tod im Starnberger See
Kluge Augenzeugen sind die besten Reporter. Diesmal im Originalton:
Der Arzt Franz Carl MüUer findet die Leiche von König Ludwig II.
W
as für ein Ende: Spätabends
am 13. Juni 1886, Pfi ngst
sonntag, treibt der bayerische
König Ludwig II. im Starnberger See.
To t. Genau wie der Psychiater Bernhard
von Gudden. Der Assistenzarzt Franz
Carl Müller (1860-1913) stellt am
Ufer des Sees den To d der beiden Män
ner fest. Wenige Tage zuvor hatte ein
psychologisches Gutachten den "Mär
chenkönig"für "seelengestört" erklärt.
Daraufhin entmündigte die Regierung
ihn- und ließ ihn festsetzen. Müller
berichtet, wie eine Delegation von Ärz
ten, Pflegern und Gendarmen Ludwig
am 11. Juni im Schloss Neuschwanstein
abholt und nach Schloss Berg bringt.
>) Gegen 12 Uhr nachts kamen wir in
Schwanstein an. (. .. ) Kaum aber waren
wir (. .. ) ausgestiegen, da stürzte uns
der Kammerdiener Meier (. .. ) entgegen
und beschwor uns, wir sollten sofort in
die Gemächer des Königs gehen. Wenn
wir nicht sofort hinaufgingen, dann
würde sich der König, der in grosser
Aufregung sei, zum Fenster hinausstür
zen: Er wisse, dass etwas gegen ihn im
Werke sei und habe ausgesprochene
Selbstmordgedanken. (. .. )
Der Kammerdiener ging mit dem
Schlüssel hinein zum König und fü r
uns, die wir aussen warteten, waren es
Augenblicke höchster Spannung und
grosser Erregung. Ich selbst hatte ja
den König überhaupt noch nie gesehen.
Plötzlich hörten wir feste Tritte und ein
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Mann von imposanter Grösse stand un
ter der Korridorthür und sprach in kur
zen, abgerissenen Sätzen mit einem in
tiefster Verbeugung dastehenden Die
ner. Die Ffleger von oben und unten,
ebenso wir gingen gegen die Thüre zu
und schnitten ihm den Rückweg ab. Mit
grosser Schnelligkeit hatten die Pfleger
den König an den Armen untergefasst,
da trat Gudden vor und sprach: "Majes
tät, es ist die traurigste Aufgabe meines
Lebens, die ich übernommen habe; Ma
jestät sind von 4 Irrenärzten begutach
tet worden und nach deren Ausspruch
hat Prinz Luitpold die Regentschaft
übernommen. Ich habe den Befehl,
Majestät nach Schloss Berg zu beglei
ten." (. .. ) Der König stiess nur ein kur
zes, schmerzliches "Ach" aus und sagte
dann immer wieder: "Ja, was wollen Sie
denn? Ja, was soll denn das." (. .. )
Im Schlafzimmer des Königs be
gann nun eine Reihe von Verhandlun
gen. ( ... ) wobei man ihm anmerkte, wie
er sich nur mühsam beherrschte (. .. ).
"Wie können Sie mich für geisteskrank
erklären. Sie haben mich ja vorher gar
nicht angesehen und untersucht?" "Ma
jestät, das war nicht nothwendig; das
Aktenmaterial ist sehr reichhaltig und
vollkommen beweisend." (. .. )
Gegen 4 Uhr, als der Wagen ange
kommen war, sagte Gudden: "Wenn
Majestät befehlen, fortzufahren, der
Wagen istjetzt bereit."
"Ja, ja, dann fahren wir." (. .. ) Es war
12 Uhr 15, als wir in Schloss Berg an-
kamen. ( ... ) Der König wurde in seine
Zimmer im 2. Stockwerke begleitet, er
hatte sein altes Wohn-und Schlafzim
mer. Zwischen Beiden befindet sich ein
kleines Zimmerchen. Dieses war als
Aufenthaltsort für die wachehaltenden
Pfleger eingerichtet worden. Die beiden
Thüren dieses Zimmerchens ( ... ) waren
mit neu eingeschnittenen Gucklöchern
versehen. So konnte man einen grossen
Nachzulesen in:
Franz Carl Müller: Die letzten
Tage Ludwigs II. Der letzte
Bericht eines Augenzeugen
Severus Verlag 2013, 76 S .•
19,90 Euro
Theil des Zimmers von aussen beobach
ten. ( ... ) Es waren noch verschiedene
Aenderungen getroffen, die alle den
Endzweck hatten, einen Flucht-und
Selbstmordversuch des Kranken zu er
schweren. ( ... ) Worüber sich der König,
als er in sein Zimmer trat, beklagte, wa
ren die Beobachtungsluken in den Thü
ren ("man könne sich ja nicht einmal
waschen"). ( ... )
Um 1 Uhr 30 ungefähr begann der
König in seinem Wohnzimmer zu dini
ren. Es war natürlich notwendig, auch
hier einige Vorsichtsmassregeln zu tref
fen; so konnte man beispielsweise die
scharfen Tischmesser nicht abgeben
und musste es verhindert werden, dass
der König in Alcohol excedire. Deshalb