Frankfurter Allgemeine Zeitung - 05.08.2019

(Dana P.) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft MONTAG, 5. AUGUST 2019·NR. 179·SEITE 15


DieMittel für den EU-Austritt


werden verdoppelt. Und mehr Geld


soll ins Gesundheitssystem.Seite 17


Dergrößte Seifenhersteller in


Europa macht nach 171 Jahren


Schluss. Warum eigentlich?Seite 18


EinInternetportal will zeigen, wie


man erster Klasse verreist, ohne


viel dafür zu bezahlen.Seite 20


Londonschaltet Brexit-Turbo ein Herr Kappus macht dicht Luxusurlaub zu kleinen Preisen


enn.BERLIN, 4. August. Verspätungen
und Zugausfälle kosten die Deutsche
Bahn immer mehr Geld: Die Entschädi-
gungszahlungen an unzufriedene Fahrgäs-
te haben sich in den vergangenen fünf Jah-
ren mehr als verdoppelt. Im vorigen Jahr
erstattete die Bahn 54,5 Millionen Euro,
2014 waren es 27 Millionen Euro gewe-
sen. Diese Zahlen, die aus der Antwort
der Bundesregierung auf eine Kleine An-
frage der FDP-Fraktion hervorgehen, be-
ziehen sich vor allem auf den Fernver-
kehr, enthalten aber auch Ersatzzahlun-
gen im Regional- und S-Bahn-Verkehr.
Nach der aktuellen, in ganz Europa gelten-
den Regelung hat ein Fahrgast nach 60 Mi-
nuten Verspätung Anspruch auf die Er-
stattung von 25 Prozent des Fahrpreises,
nach 120 Minuten auf 50 Prozent.
Dass die Bahn einen neuen Entschädi-
gungsrekord verzeichnen muss, lässt sich
zum Teil auf die schlechte Pünktlichkeit
im Fernverkehr zurückführen. 2018 ka-
men nur 74,9 Prozent der ICE- und IC-
Züge pünktlich an, das heißt mit weniger
als sechs Minuten Verspätung. 2017 wa-
ren 78,5 Prozent der Fernzüge pünktlich
und 2016 78,9 Prozent – 2015 allerdings
auch nur 74,4 Prozent. Aus der Statistik,
aus der Verkehrsstaatssekretär Enak Fer-
lemann (CDU) in seinem Antwortschrei-
ben zitiert, lässt sich allerdings nicht able-
sen, wie viele Züge davon mehr als eine
oder zwei Stunden Rückstand ansammel-
ten. Die Pünktlichkeit unterliegt vielen
Einflüssen. Das Spektrum reicht, wie das
Unternehmen auflistet, von mutwilligen
Eingriffen in den Bahnverkehr, Personen
im Gleis, Suiziden, Sturm und Unwetter
über Störungen an Infrastruktur und
Fahrzeugen bis hin zu Baustellen im
Netz. „Erfahrungsgemäß gehen die Stö-
rungen etwa zu je einem Drittel auf Ver-
kehrsunternehmen mit ihren Zügen, die
Infrastruktur und äußere Einwirkungen
zurück“, heißt es bei der Bahn.
Die Zahl der Zugausfälle, die der Kon-
zern in einer gesonderten Statistik führt,
hat sich 2018 leicht von 1,1 auf 1,3 Pro-
zent erhöht, wie Ferlemann weiter mit-
teilt. Im Fernverkehr fielen nach Bahn-An-
gaben rund 3500 Züge ganz aus. Auch hie-
raus leiten sich Entschädigungspflichten
ab – auch wenn die Bahn den Spieß lieber
umdreht: „Die weit überwiegende Mehr-
heit der Fahrgäste konnte sich darauf ver-
lassen, dass ihr Zug fährt“, schreibt sie auf
der Internetseite. „Die sogenannte Erfül-
lungsquote aller täglich verkehrenden
24 000 Fern- und Nahverkehrszüge der
Deutschen Bahn liegt in den letzten Jah-
ren stabil über 99 Prozent im Jahres-


schnitt.“ Man habe ein „natürliches Inter-
esse“ an einer hohen Quote, da sonst Be-
stellerentgelte im Nahverkehr gekürzt wür-
den oder im Fernverkehr Entschädigun-
gen die Höhe der Fahrgelderlöse minder-
ten. 2018 lagen die Einnahmen aus Ticket-
verkäufen bei 7,8 Milliarden Euro. Sie
sind seit 2014, als 6,8 Milliarden Euro er-
löst wurden, regelmäßig gestiegen.
In der Europäischen Union dringt das
Parlament derweil auf eine höhere Kom-
pensation für die Fahrgäste. Aus einem
internen Papier des EU-Ministerrats
geht hingegen hervor, dass er die aktuel-
len Regeln für ausreichend erachtet –
und bei Verspätungen und Ausfällen we-

gen „höherer Gewalt“ oder verursacht
„durch Dritte“ eher mehr Nachsicht ge-
gen die Unternehmen walten lassen will.
Den Anteil Dritter beziffert die Bahn für
2018 auf 14,1 Prozent nach 21,4 Prozent
(2017) und 19,1 Prozent (2016). Dagegen
stieg der Anteil der Störungen durch „hö-
here Gewalt“ auf 13,5 Prozent nach 11,
Prozent (2017) und 9,4 Prozent (2016).
Zur höheren Gewalt zählt die Bahn dabei
nicht nur extremes Wetter, Personenun-
fälle und Streik, sondern auch „plötzlich
auftretende Fahrzeugmängel“. Der FDP-
Abgeordnete Roman Müller-Böhm warn-
te davor, die Verbraucherrechte bei „hö-
herer Gewalt“ auszuhöhlen. Nachweis-

lich sei der Anteil der Zugausfälle durch
höhere Gewalt gestiegen. Es scheine da-
her vor allem für die Deutsche Bahn vor-
teilhaft, diese als Entschädigungsgrund
einzuschränken, um die Bilanz zu scho-
nen, sagte er der F.A.Z.
Ferlemann dringt in seinem Schreiben
nicht auf schärfere Entschädigungspflich-
ten, pocht aber auf Erleichterungen. „Aus
Sicht der Bundesregierung ist es notwen-
dig, die praktische Durchsetzung der Fahr-
gastrechte zu verbessern. Fahrgäste soll-
ten es künftig einfacher haben, eine Ent-
schädigung zu beantragen.“ Die Regie-
rung habe die Bahn aufgefordert, „zumin-
dest für Online-Tickets auch ein Online-
Verfahren einzuführen“. Derzeit muss
ein Papier-Formular ausgefüllt werden.
Die Bahn vertröstet Regierung und
Kunden. Sie können wohl frühestens
Ende nächsten Jahres mit Vereinfachun-
gen rechnen. Es seien noch eine Reihe
komplizierter technischer Prozesse und
Datenschutzthemen zu klären, heißt es.
Ein Bahn-Sprecher sagte auf Anfrage:
„Zurzeit bauen wir eine völlig neue IT-
Landschaft für die Vertriebssysteme der
Bahn. Für die Kunden ergeben sich da-
durch viele Verbesserungen, vom einfa-
cheren Ticketkauf bis hin zu noch exakte-
ren Fahrzeit- und Umstiegsprognosen.“
Die vollständige Umsetzung der neuen
IT werde wegen der Komplexität der zu
synchronisierenden Vertriebssysteme
noch längere Zeit in Anspruch nehmen.
„Bei der Digitalisierung von Fahrgast-
rechtsfällen wollen wir hingegen schnel-
ler zu einem Ergebnis für unsere Kunden
kommen.“

D


ie Regierung von Boris Johnson
steht unter enormem Druck, den
Brexit zu „liefern“, und ihr bleibt nicht
viel Zeit. Sie fährt zweigleisig: Um ver-
unsicherte, schwankende Wähler wie-
derzugewinnen, öffnet Johnson weni-
ge Tage nach seinem Amtsantritt das
soziale Füllhorn und verspricht Milli-
arden für Krankenhäuser sowie Steuer-
entlastungen: Es gebe genügend Spiel-
raum im Haushalt, auch wenn es ein
höheres Defizit bedeutet. Zugleich ver-
sucht die Regierung den Eindruck zu
erwecken, eisenhart am Brexit-Ter-
min 31. Oktober festzuhalten. Sie steu-
ert geradewegs auf dieses Datum zu,
das für ganz Europa zu einer gefährli-
chen Klippe werden könnte. Falls es
nicht klappt, wird den Bremsern im
Parlament der Schwarze Peter zuge-
schoben werden, und baldige Neuwah-
len sollen der Regierung ein frisches
Brexit-Mandat geben. Boris Johnson
wird von Hardlinern beraten, die sich
wild entschlossen geben. Die EU
muss erkennen, dass ein allzu gewag-
tes Pokerspiel auch für Festland-Euro-
pa hohe Risiken birgt. Wenn beide Sei-
ten verbissen auf ihren Positionen be-
harren, droht am Ende eine Kollision
mit großen wirtschaftlichen Schäden.
Auch der Euroraum kann eine Rezes-
sion jetzt nicht gebrauchen.

D


er Autozulieferer Continental
war über viele Jahre der Liebling
der Kapitalanleger. Gestützt durch
eine starke Präsenz in Zukunftstechno-
logien wie Elektronik, Sensorik und
Software, wuchsen Umsatz und Ge-
winn in rasantem Tempo, was den Ak-
tienkurs in ungeahnte Höhen trieb.
Nachdem das Management vergange-
nes Jahr mehrfach seine Geschäfts-
prognosen gekappt hatte, hat sich die
Wahrnehmung aber gedreht. Ein frü-
herer Star im Dax, der in Bedrängnis
geraten ist und dessen Perspektiven
unklar sind, so sehen viele Anleger
seither das Unternehmen. Etliche ha-
ben Conti den Rücken gekehrt. Die
jüngste Entwicklung lässt erwarten,
dass sich das so schnell nicht ändert.
Vor wenigen Tagen hat der Konzern
aus Hannover, neben Bosch und Den-
so einer der größten Autozulieferer
der Welt, abermals mitgeteilt, dass sei-
ne Ziele zu hoch waren. Zwar reagier-
te die Börse auf den revidierten Aus-
blick für das Jahr 2019 zunächst mit ei-
nem Kurssprung, da Anleger mit dem
Schritt gerechnet und vielleicht
Schlimmeres erwartet hatten. Aber
Analysten, die Conti beobachten, ha-
ben ihre Erwartungen für den Kurs ge-
senkt. Sie sehen das Unternehmen,
das am Mittwoch seine Zahlen für das
erste Halbjahr vorlegt, zwar weiter
technologisch gut aufgestellt, aber vor
vielen Schwierigkeiten. An einigen da-
von ist Conti nicht selbst schuld. Für
andere trägt der Vorstand, der seit fast
zehn Jahren von Elmar Degenhart ge-
führt wird, eine gehörige Mitverant-
wortung.
Es stimmt, dass kaum vorherzuse-
hen war, wie stark und schnell die Au-
toproduktion derzeit zurückgeht. In
Europa und Amerika, vor allem aber
in China, wo der Handelskonflikt mit
Donald Trump die Nachfrage zusätz-
lich belastet, laufen weniger Autos
und leichte Nutzfahrzeuge vom Band,
was im Gesamtjahr für ein globales
Minus von 5 Prozent sorgen dürfte.
Das trifft die ganze Branche und hat
dafür gesorgt, dass auch andere Unter-
nehmen wie Daimler, ZF Friedrichsha-
fen oder die Schaeffler-Gruppe, deren
Eigentümerfamilie 46 Prozent von
Conti kontrolliert, ihre Geschäftsziele
gesenkt haben. Strenge Emissionsre-
geln der EU sorgen für Druck und
zwingen die Unternehmen, viel Geld
in saubere Technologien wie Elektro-
autos zu stecken. Gleichzeitig lasten
hohe Preise für einige Rohstoffe wei-
ter auf den Renditen.
Hausgemacht sind hingegen die
Schwierigkeiten durch mögliche Ge-
währleistungsfälle, die Conti im zwei-
ten Halbjahr zu neuen Rückstellungen
zwingen könnten. Zudem zeigt sich in
der Flaute ein globales Ungleichge-
wicht. Fast die Hälfte des Umsatzes
von zuletzt 44,4 Milliarden Euro ent-
fällt auf Europa, wo Kunden wie VW
oder Renault-Nissan viel aufwendige-
re und damit teurere Technik einbau-
en als in anderen Regionen wie Süd-

amerika oder Asien. Wegen der gerin-
gen Neuzulassungen in vielen europäi-
schen Märkten gehen diese Abrufe zu-
rück, was den Konzern, der gerade in
den hochwertigen Systemen stark ver-
treten ist, im Moment hart trifft. Auch
die generelle Abhängigkeit von der
Autobranche, die eigentlich durch Ex-
pansion auf anderen Feldern wie dem
Industriegeschäft sinken soll, ist wei-
ter hoch, auch weil die Fahrzeugbran-
che zuletzt über Jahre stark gewach-
sen ist. Überdies wirken Kostensen-
kungen, die Conti nach den Einschlä-
gen im Jahr 2018 angekündigt hatte,
heute zu schwach, weshalb mit weite-
ren Einschnitten gerechnet wird.

Entlastung verspricht sich der Vor-
stand vom angestoßenen Konzernum-
bau, ein Projekt, in dem auch der Auf-
sichtsratsvorsitzende Wolfgang Reitz-
le als treibende Kraft gilt. Die bisheri-
ge Umsetzung ist aber durchwachsen.
So wurden Geschäftsteile erfolgreich
rechtlich verselbständigt, eine Voraus-
setzung für die zukünftige Struktur als
Holding mit drei Säulen. Auch die
neue zentrale Forschung und Entwick-
lung im Automobilgeschäft kann
wohl wie geplant zum Jahreswechsel
starten. Ob der Börsengang der An-
triebssparte Powertrain, ein wichtiger
Baustein für den Umbau, wie erwartet
im kommenden Jahr vollzogen wer-
den kann, steht aber wegen der Markt-
schwäche in den Sternen. Hier hat
Conti zu lange an Details gefeilt, wäh-
rend etwa der Rivale Delphi schon vor
Jahren Fakten geschaffen hat. Im Rü-
ckenwind einer damals noch starken
Autokonjunktur spaltete er seine An-
triebstechnik ab und brachte sie
schnell an die Börse.
Alles in allem entsteht so der Ein-
druck eines Konzerns, der noch lange
mit vielen Baustellen zu tun hat. Zwar
bleibt die Sparte Rubber Group mit
dem Reifengeschäft, in dem Conti seit
jeher stark ist, weiter eine zuverlässi-
ge Umsatz- und Ertragsquelle. Vor al-
lem die Turbulenzen in der Automo-
tive Group sorgen aber dafür, dass die
Zeiten, in denen Conti mit operativen
Renditen in zweistelliger Prozenthöhe
aufwartete, für einige Jahre vorbei
sein dürften.
Eine Existenzkrise besteht zwar
nicht, im Gegenteil. Conti wächst wei-
ter, wenn auch mit gebremstem Tem-
po und niedrigerer Profitabilität. Vom
Management um Degenhart, dessen
Vertrag vergangenes Jahr bis 2024 ver-
längert wurde, werden aber verstärkte
Anstrengungen erwartet, um den Kon-
zern mit seinen 246 000 Mitarbeitern
schnell zu alter Stärke zurückzufüh-
ren.

S


ie sind wieder da, die Warnungen
vor dem Waldsterben. Die Älteren
kennen sie noch aus den achtziger Jah-
ren, als der saure Regen, eine Folge
von schwefelhaltigen Industrieabga-
sen und Autos ohne Katalysator, dem
deutschen Wald zusetzte. Nur wenige
Jahre gaben manche Fachleute dem
Wald damals noch, trieben damit Men-
schen zu Tausenden auf die Straße und
zu den Grünen. Es kam bekanntlich
anders. Der deutsche Wald war in den
vergangenen Jahren vieles: Erholungs-
gebiet, Nachschub für die Bauindus-
trie, CO 2 -Speicher. Ein Thema war er
selten. Nun hat sich der Wind ein wei-
teres Mal gedreht. Die Untergangsstim-
mung ist wieder da, diesmal genährt
von allen Parteien, schließlich will ge-
rade jeder als Klimaschützer punkten.
Dass sich etwas verändern muss, dar-
an besteht kein Zweifel. Deutschland
muss im Klimaschutz besser werden,
und es muss zugleich den Wald darauf
vorbereiten, dass es tendenziell eher
wärmer und trockener wird. Das ist
machbar, indem mehr Laubbäume an-
gepflanzt werden, bedeutet aber auch
den Verzicht auf liebgewonnene Ge-
wohnheiten wie den knisternden Ka-
min am Abend. Damals wie heute gilt:
Alarmismus rettet den Wald nicht, be-
sonnene Politik dagegen schon.

Vertreter von CSU und Grünen ha-
ben eine rasche Mehrwertsteuersen-
kung für Bahntickets gefordert. „Ich
bin für eine Steuersenkung so schnell
wie möglich. Warum nicht auch
schon zum Jahresende?“, sagte die
verkehrspolitische Sprecherin der Uni-
onsfraktion im Bundestag, Daniela
Ludwig (CSU), der Frankfurter Allge-
meinen Sonntagszeitung. In der Kli-
maschutzdebatte wird derzeit darüber
diskutiert, Bahnfahren per Steuersen-
kung attraktiver zu machen. Zuletzt
sprach sich CSU-Chef Markus Söder
dafür aus. Unionsfraktionsvize Andre-
as Jung (CDU) zeigte sich offen.

Die Grünen im Bundestag formu-
lierten bereits einen Gesetzentwurf.
„Nun müsse sich zeigen, ob die Uni-
on den Ankündigungen Taten folgen
lasse, sagte der Vorsitzende des Ver-
kehrsausschusses, Cem Özdemir.
„Jetzt wäre die Gelegenheit, das ge-
meinsam zu machen.“ Für Nahver-
kehrstickets gilt bereits der ermäßigte
Mehrwertsteuersatz von sieben statt
19 Prozent. Die verkehrspolitische
Sprecherin der SPD-Fraktion, Kirsten
Lühmann, sagte, die Koalition könne
„sofort einen gemeinsame Weg für ge-
eignete Maßnahmen in Angriff neh-
men“, um die Bahn zu entlasten.

DieBörse zweifelt. Nicht
alle Probleme lassen sich
mit einem schlechten
Umfeld erklären.

loe.BERLIN,4. August. Donald Trump
weiß, wie er die Europäer an ihrer emp-
findlichen Stelle trifft. Nachdem der ame-
rikanische Präsident am Freitagabend
deutscher Zeit seine mit Spannung erwar-
tete Botschaft zum Handelsstreit mit der
EU verkündet hatte – mehr amerikani-
sches Rindfleisch für Europa –, da kam er
noch mal kurz zurück und schob hinter-
her: Man arbeite übrigens auch an einer
Vereinbarung zu Autozöllen „von 25 Pro-
zent auf alle Mercedes-Benz und BMW,
die in unser Land kommen“. Die EU wer-
de dem zustimmen. Er wisse das zu schät-
zen. Sekunden später Entwarnung: „Ich
mache nur Spaß.“ Und mit Blick auf seine
Verhandlungspartner: „Sie sehen schon et-
was besorgt aus.“
In das allgemeine Gelächter im Weißen
Haus wollten die EU-Vertreter nicht so
recht einstimmen, schließlich ist mit dem
am Freitag verabschiedeten „Rindfleisch-
Deal“ der Handelskonflikt zwischen den
Vereinigten Staaten und der EU keines-
wegs gelöst. In dem Abkommen sagen die
Europäer zu, dass künftig ein Teil ihres
Einfuhrkontingents für Rindfleisch fest
für die Amerikaner reserviert werden soll.
Von den jährlich 45 000 Tonnen sollen
35 000 Tonnen für die Amerikaner be-
stimmt sein. Für andere Länder wie Argen-
tinien bleiben damit nur noch 10 000 Ton-
nen. Die EU hatte eine solche Vereinba-
rung schon im Juni angekündigt, am Frei-
tag wurde sie nun im Weißen Haus in An-
wesenheit von amerikanischen Viehhal-
tern unterzeichnet. Mit Blick auf die Ver-
braucher betonten beide Seiten, dass es
um hormonfreies Rinderfleisch geht.
„Es ist noch nicht der ,Große Deal‘“,
schrieb Bundeswirtschaftsminister Peter


Altmaier (CDU) auf dem Kurznachrich-
tendienst Twitter. Aber es sei ein „wichti-
ger pragmatischer Schritt“ weg von ei-
nem möglichen Handelskrieg. Die Wirt-
schaft reagierte jedoch zurückhaltend, zu
groß ist die Sorge, dass auf den einen
Schritt nach vorne womöglich zwei
Schritte zurück folgen könnten. „Aus
dem vermeintlichen Scherz des amerika-
nischen Präsidenten bei seinem Auftritt,
als Nächstes die Autos aus der EU mit ei-
nem Zoll von 25 Prozent zu belegen, darf
auf keinen Fall schmerzhafter Ernst wer-
den“, sagte Ulrich Ackermann, Außen-
handelschef des Maschinenbauverbands

VDMA. Katharina Dröge, handelspoliti-
sche Sprecherin der Grünen, warnte:
„Mehr Rindfleisch-Exporte werden nicht
Trumps letzte Forderung gewesen sein.“
Das Rindfleisch-Abkommen hat für
beide Seiten Vorteile. Trump musste den
amerikanischen Landwirten, die zu sei-
nen treuesten Anhängern zählen, etwas
Gutes tun. Sie leiden unter dem Handels-
konflikt zwischen den Vereinigten Staa-
ten und China, können wegen der Straf-
zölle deutlich weniger Soja nach China
exportieren. Der EU wiederum tut das
Rindfleischabkommen nicht weh, da die
Gesamtimportmenge nicht steigt, die ein-

heimischen Bauern also nicht benachtei-
ligt werden. Deshalb läuft auch die Kritik
des Bauernverbands ins Leere, dessen
Präsident Joachim Rukwied am Wochen-
ende sagte: „Ob Mercosur oder das Ab-
kommen mit den Vereinigten Staaten –
die EU macht zunehmend Zugeständnis-
se zu Lasten der europäischen Landwir-
te. Das sehen wir mit großer Sorge.“
Grund zur Sorge bietet allenfalls der
Blick nach vorn: Spätestens im November
könnte Trump höhere Zölle auf Autos
und Autoteile aus der EU verhängen, was
vor allem die deutschen Hersteller emp-
findlich treffen würde. Dass die Importe
aus seiner Sicht die nationale Sicherheit
gefährden, hat Trump schon Mitte Mai ge-
sagt, dann aber einen Aufschub von ei-
nem halben Jahr gewährt. In dieser Zeit
soll über ein umfassendes Zollabkommen
zwischen den Vereinigten Staaten und
der EU verhandelt werden. Beide Seiten
hatten wiederholt angeboten, dass man
in vielen Warengruppen, darunter auch
Autos, die Zölle auf null senken könnte.
Allerdings gibt es Streit darüber, wie um-
fassend das Abkommen sein soll. Die EU
möchte nur über Industriezölle reden,
Trump besteht darauf, dass auch die Land-
wirtschaft einbezogen wird. Doch mehr
Agrarimporte aus Amerika lehnen die
hiesigen Bauern strikt ab. Die Gespräche
stocken, auch weil sich in Brüssel erst
noch eine neue EU-Kommission formie-
ren muss. Für Richard Grenell, den ameri-
kanischen Botschafter in Berlin, ist die Sa-
che klar: „In einem parteiübergreifenden
Brief vom 14. März haben 114 Mitglieder
des Kongresses deutlich gemacht, dass
dieser keinem Zollsenkungsabkommen
zustimmen wird, das die Landwirtschaft
nicht miteinbezieht.“

Unkalkulierbar:Wer mit der Bahn fährt, kennt längst die vielen Mängel. Foto Frank Röth

Brexit-Poker


Von Philip Plickert

Contiin Bedrängnis


Von Christian Müßgens

Die Bahn muss immer mehr entschädigen


Schnelle Steuersenkung für Bahntickets?


Waldsterben2.


Von Julia Löhr

Trump schürt Nervosität in der EU zu Autozöllen


Alles nur ein Scherz? Nach dem Rindfleisch-Deal witzelt der amerikanische Präsident über ein heikles Thema


Die Erstattungen für


Verspätungen und Zug-


ausfälle haben sich seit


2014 auf 55 Millionen


Euro verdoppelt. Die


Regierung fordert nun


ein Online-Verfahren.


Der Rindfleisch-Dealmit Europa soll ein „wichtiger pragmatischer Schritt“ sein. Foto AP
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