128 reader's digest 08.2019
Weiter Richtung Süden, wo sich
zu den Klöstern Moscheen gesellen,
scheint nicht nur die Zeit stehen ge-
blieben zu sein; auch der Tourismus ist
hier noch nicht angekommen. In Stari
Bar, einer jahrhundertealten Geister-
stadt, einst Handels ort zwischen Ve-
nezianern und Türken, kletterten wir
durch verlassene Ruinen und fanden
eine Katze, die in einer antiken Urne
ihren Wurf säugte.
In der am südlichsten gelegenen
Stadt Ulcinj hatten wir die ummau-
erte Altstadt nahezu für uns allein.
Ebenso das Museum für Archäologie,
Ethnologie und Bildende Künste, wo
Funde von Keramiken, Münzen und
Schnitzereien aus römischer und os-
manischer Zeit ausgestellt sind. Das
gilt auch für das Restaurant Pirate,
das Fisch und Meeresfrüchte serviert
- mit Meerblick.
Reisende nach Montenegro wäh-
len oft den Seeweg durch die fjord-
ähnliche Bucht von Kotor mit der
gleichnamigen Stadt, die lange unter
venezianischer Herrschaft stand. Der
geflügelte Löwe des Heiligen Markus
auf dem meerseitigen Tor zeugt davon.
In Kotor fanden wir uns inmitten
von Tausenden Passagieren eines
Kreuzfahrtschiffs wieder. Diese
machten Schnappschüsse von streu-
nenden, aber offensichtlich wohl-
genährten Katzen, die über das Pflas-
ter stolzierten oder auf steinernen
Treppen stufen dösten. Über ebensol-
che Treppen gelangt man zur Festung
St. Johannes. Der Aufstieg ist ermü-
dend, aber der Panoramablick ent-
schädigt für die Mühe.
Überwindet man auf schwindel-
erregenden Bergstraßen das monte-
negrinische Küstengebirge, gelangt
man in ein landschaftlich völlig ande-
res Hinterland. Rustikal und in weiten
Teilen unerschlossen, ist es für Touris-
ten durchaus attraktiv. Als Beweis er-
hält man im Restaurant Kole in Cetinje
für nur zwei Euro ein 15 Zentimeter
dickes Ćevapčići-Sandwich.
Cetinje, die ehemalige Hauptstadt
des Königreichs Montenegro, wurde
im 15. Jahrhundert gegründet und ist
bis heute das kulturelle Herz des Lan-
des. Eine weitläufige Fußgängerzone,
in der Kunststudenten unter freiem
Himmel malen, umgibt verschie-
dene Nationalmuseen für Kunst und
Geschichte. Mit einem Kombi ticket
für zehn Euro erhält man Zutritt zu
sechs Museen, einschließlich der
Biljarda, der Residenz des beliebten
montenegrinischen Herrschers Petar
II. Petrović Njegoš. Der Dichter und
Philosoph regierte im 19. Jahrhundert.
Hier stand der erste Billiardtisch des
Landes, aus dem sich der Name der
Residenz ableitet.
Der letzte Herrscher Nikola I. Pet-
rović Njegoš bewohnte einen beschei-
denen Palast gegenüber der Biljarda.
1916 musste er vor den österreichi-
schen Truppen fliehen. Das nach ihm
benannte Museum beherbergt Kunst-
schätze wie antike chinesische Urnen,
persische Teppiche, venezianische Fotos: (oben) © shutterstock; (unten) ©eric Franks/alamystock Photo