Reader\'s Digest Germany - 08.2019

(Elliott) #1
08.2019 reader's digest 143

verzogen. Oder ich verpasste ihnen,
wenn alles versagte, mit der Schleu­
der ein paar Kugeln.
War wieder Frieden eingekehrt,
sah ich Purzelchen wie gewohnt am
Futternapf, völlig meinem Schutz
und Trutz vertrauend, dieweil Wun­
derknubbel im Baumwipfel den Tag
verträumte. Ich, freilich, hatte tapfer
Wache zu stehen und mich von den
Moskitos auffressen zu lassen.

Bären-Augenblicke
Der Winter kam und ging und hatte
einen widerspenstigen Frühling im
Gefolge. An einem Maiabend – ich
saß mit Patti gerade vorm Fernseher


  • ächzte die Holztreppe zur Veranda
    unter schweren Schritten.
    „Das ist sie“, sagte Patti und brauchte
    nicht einmal hinzuschauen.
    Natürlich war’s unser Purzelchen,
    frisch aus der Winterruhe heimge­
    kehrt. Wunderknubbel mar schierte
    gleich hinter ihr auf der Sitzbank, die
    rund um die Veranda verläuft. Patti
    häufte als Willkommensgruß Futter
    auf. Purzelchen stellte sich zu ihr, um
    sich das dichte Nackenhaar kraulen
    zu lassen. Doch plötzlich drehte sie
    sich um und stapfte davon, ohne et­
    was anzurühren. Wunderknubbel wie
    ein Miniaturschatten hinterdrein.
    „Was soll denn das bedeuten?“, wun­
    derte sich Patti. „Die benimmt sich ja,
    als kenne sie uns kaum!“
    Erst zehn Tage später kehrten
    Mutter und Sohn zurück. Wiederum
    war es nur Hallo! und Tschüs! Dann


dauerte es noch einmal fünf Tage, bis
Purzelchen wiederkam, nunmehr al­
lein. Diesmal gab sie sich ungehemmt
und überschwenglich ihrer Wieder­
sehensfreude hin. Sie stapfte auf mich
zu und rieb in altvertrauter Weise die
Schnauze an meinem Arm.
Allmählich begriffen wir. In den
letzten Tagen hatte Purzel ihren Bu­
ben entlassen, wie es dem Ritual bei
Bären entspricht. Wunderknubbel war
nun erwachsen und auf sich allein
gestellt. Purzelchen, endlich ihrer
Mutterpflichten enthoben, verhielt
sich sichtbar erleichtert.
Als ich einem Freund erzählte, dass
die Bärin oft drei bis vier Stunden zu
Besuch kam, wollte er wissen, wie wir
denn die Zeit mit ihr verbrachten. Da
passiert nicht viel Aufregendes, ver­
suchte ich ihm klarzumachen. Oft
saß Patti neben Purzel auf dem Boden,
und Purzel lehnte sich freundschaft­
lich an ihre Schulter an. Wie alle Bä­
ren rieb sie sich gern den Rücken an
etwas Hartem, und da hatte sie eine
Vorliebe für unsere Sitzbank.
Purzelchen gehörte längst zur Fa­
milie. Freilich bedeutete das ihrem
Verständnis nach, dass auch ihr ge­
hört, was uns gehört. Diese Erfahrung
machten wir an einem Tag, als Patti
ihre große Wäsche zum Trocknen im
Garten aufgehängt hatte.
Dass daraufhin im Garten Merk­
würdiges geschah, sahen wir erst am
Verhalten unserer Katzen. Cäsar und
Einstein saßen auf dem Esszimmer­
tisch und blickten zum Fenster hinaus.
Free download pdf