Reader\'s Digest Germany - 08.2019

(Elliott) #1

A


ls ich meinem siebenjäh-
rigen Sohn erzählte, dass
er und ich ein paar Tage
nach Wien zu meiner
Schwester reisen würden,
während sein großer Bruder im Fuß-
ballcamp ist, fiel er mir so begeistert
um den Hals, dass ich hinterher ein

schlechtes Gewissen bekam. Manch-
mal ist überschwängliche Freude ja
auch ein Zeichen dafür, dass ich als
Mutter einen Mangel ignoriert oder
übersehen habe.
Zuerst dachte ich, er freut sich vor
allem auf den Flug, er liebt alles, was
mit Technik und Geschwindigkeit zu
tun hat. Aber als er noch mal nach-
fragte, ob wirklich „nur wir beide“
fahren würden, wurde mir klar, wor-
auf er sich so freut: auf mich.
Nun ist es nicht so, dass ich nicht
öfter Zeit mit meinen Söhnen ver-
bringe. Mich mal ganz für sich allein
zu haben sollte eigentlich nichts Be-
sonderes für sie sein – wobei beim
großen Sohn das Bedürfnis danach
altersbedingt ohnehin kleiner wird.
Darum schien es meinem Jüngs-
ten aber gar nicht zu gehen. Ich
ahne, dass es um mehr geht, als ex-
klusive Mutter-Sohn-Zeit. Sondern
um ein exklusives Mutter-Sohn-
Erlebnis: Wir beide würden eine
Reise machen und Dinge erleben,
an denen sonst niemand teilhaben
kann. Etwas, das nur uns beiden
gehört, über das hinterher nur
wir beide wirklich würden spre-
chen können.
Ich kenne das Bedürfnis aus meiner
eigenen Kindheit. Diese eine Sache zu
haben, die mich mit meiner Mutter
und meinem Vater verbindet und die
meine Schwester nicht automatisch
mit einbezieht. Die stille Überein-
kunft, etwas immer und grundsätzlich
zusammen zu tun.

08.2019 reader's dIGest 89
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