90 reader's digest 08.2019
sind, weil die Liebe so groß war? Oder
die gemeinsame Autofahrt, bei der wir
an jeder Haltebucht anhalten muss
ten zum Knutschen? Sind das nicht
die kleinen gedanklichen Anker, die
uns – auch wenn gerade alles zäh
und doof und wenig liebevoll ist – da
ran erinnern, warum man trotz allem
zusammengehört?
Ich glaube, dass es genau solche
Momente in jeder Beziehung geben
sollte, auch in der zu unseren Kin
dern. Mit meinem Erstgeborenen
haben sich diese Momente von ganz
allein ergeben. Den einen Witz, überden immer nur wir beide lachen kön
nen. Die gemeinsame Freude mit
seinem Vater, wenn ein hoffnungs
los in die Regionalliga abgestiegener
Lieblingsfußballverein doch plötzlich
mal ein Spiel gewonnen hat.
Mein Lieblingskinderbuch, das
dann auch sein Lieblingskinderbuch
wurde: Erst habe ich es ihm vorge
lesen und schließlich hat er es – als
er gerade lesen gelernt hatte – mir
vorgelesen. Die vielen gemeinsamen
Unternehmungen und Erlebnisse, bei
denen sein kleiner Bruder zwar auch
dabei war, sich aber oft gar nicht erin
nern kann, weil er noch zu klein war.
Vielleicht haben wir den Jüngeren
auch aus Bequemlichkeit immer ein
fach nur so mitlaufen lassen. WährendEs gab in der Nähe meines Eltern
hauses zum Beispiel eine Forellen
zucht, bei der wir ab und zu frische
Forellen gekauft haben – und zwar
immer mein Vater und ich. Wir haben
uns das Gewimmel in den Teichen an
gesehen und hinterher an der Theke
gefachsimpelt, welche der dort auslie
genden Forellen den schönste Regen
bogenschimmer hat. Auch dann noch,
als es pubertätsbedingt sonst nicht
viel zu reden gab zwischen uns.
Viele meiner Freundinnen und
Freunde haben sich solche Momente
der Zweisamkeit mit ihren Eltern ins
Erwachsenenleben hinübergerettet.
Oder neu etabliert. Ein Freund wan
dert einmal im Jahr mit seinem Vater
um irgendeinen See. Eine Freundin
teilt mit ihren Eltern immer noch die
große Leidenschaft für einen Fußball
verein, den sonst niemand in ihrem
Freundeskreis cool findet.
Es sind Momente, in denen die
Nähe nicht erst herbeigequatscht
werden muss, sondern ganz auto
matisch aus der verschworenen, ge
meinsamen Freude entsteht. Und ist
es nicht auch das, was uns in unseren
Liebesbeziehungen durch schwierige
Zeiten trägt? Die Erinnerung an dieses
eine Picknick am Strand, als plötzlich
dieser Wolkenbruch niederging und
wir einfach im Sand liegen geblieben
WAS IST ES, DAS UNS IN BEZIEHUNGEN AUCH
DURCH SCHWIERIGE ZEITEN TRÄGT?aus: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (18./19. Mai 2019); © alena sChröder