Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1
TEXT:
Katharina von Ruschkowski
KUPFERSTICHE:
Salomon Kleiner

Pauken-und Tr ompetenklänge hallen
aus der Wiener Hofburg. Vor ihren To ­
ren dröhnen Salutschüsse. Und auch
von den Basteien rings um die Stadt donnern 60 Kanonen
an diesem Abend des 12. Februar 1736 in den Winter-
himmel, wieder und wieder. Jeder soll es vernehmen:
Soeben hat sich Maria Theresia, Prinzessin des Hauses
Habsburg und To chter des Kaisers, mit Franz Stephan
von Lothringen vermählt. "Volo!", versprachen sie einan­
der in der Augustinerkirche auf Lateinisch: Ich will!
Schon zieht sich die Hochzeitsgesellschaft,
umfangen von jubelfroher Musik, durch die
labyrinthartigen Gänge der Hofburg in die
herrschaftlichen Gemächer zurück. Meh­
rere Hundert Meter müssen sie bis dort-

17:16 I Wien


ihren Köpfen sitzen schlohweiße Perücken, geschmückt
mit Schleifen.
Anschließend kommen die hochadeligen Mitglieder
der Hofgesellschaft, die kaiserlichen Kammerherren und
Kavaliere, aufgereiht nach Rang und Stand. Ein jeder trägt
Galakleidung. Die Männer haben enge Kniehosen ange­
zogen und seidene Strümpfe, ihre Mäntel aus fe stem
Goldbrokat sind reich bestickt. Vor ihrer Brust plustern
sich Spitzenjabots, kunstvolle Halskragen. Und hinter
ihnen gehen die Ritter vom Goldenen Vlies, erkennbar
an ihren goldblitzenden Ketten.
Langsam schiebt sich die Prozession in Richtung
Retirade, einem streng geschützten Gemach des Herr­
schers, wohin die kaiserliche Familie sich nun zurückzieht,
während sich die übrige Gesellschaft zerstreut. Zu spä­
terer Stunde werden das Brautpaar, der Kaiser und
enge Ve rwandte in einem üppig geschmückten
Saal vor den Augen aller speisen. Am nächs-
ten Morgen werden die jüngst Ve rmählten
in Begleitung der Festgesellschaft zum
Gottesdienst gehen; am Abend veranstal­
tet der Hof eine große Gala, bei der eine
eigens fü r das junge Paar komponierte
Oper aufgeführt wird. Ta gs darauf, zum
Abschluss, findet ein Maskenball statt.

hin zurücklegen. Die kaiserliche Residenz
im Südwesten Wiens, direkt an der Stadt­
mauer gelegen, ist in den vergangenen
Jahrhunderten so oft um-und ausgebaut
worden, dass sie mittlerweile einen beacht­
lichen Te il der Metropole bedeckt (den heu­
tigen Bezirk "Innere Stadt").
Welch eine prächtige, wohlgeordnete Pro­
zession von wohl einigen Hundert Menschen schrei­
tet da nun durch die Korridore! Vo rbei an Spalieren
von Bogenschützen und Leibgardisten. Vo rnweg
gehen die frisch Ve rmählten, die alle überstrahlen.
Von Kopfbis Fuß sind sie in We iß gewandet.


Nichts ist dem Zufall überlassen. Jeder
Programmpunkt, jedes Kleidungsdetail, gar die
Position, an der ein jeder Gast stehen und gehen
MARIA THERESIA, darf, ist genauestens fe stgelegt.
die Kaisertochter,
ist Europas be­
gehrteste Partie:
Ihr Vater hat sie

Es ist ein Fest, das aus der Zeit fällt: Während

Franz Stephans Mantelkleid ist von edel schim- zur Thronfolgerin

man an anderen Höfen wahnwitzig, ausschweifend,
maßlos fe iert, gleicht die Hochzeit am kaiserlichen
Hofbeinahe einer liturgischen Handlung, fe stgelegt,
streng -und von aller We lt entrückt: Denn die aller­
meisten Wien er erleben vom Treiben in der Hofburg
kaum etwas mit. Schon am Tag der Ve rmählung,

mernden Silberfäden durchwirkt, vor der Brust ruht bestimmt, sollte
die große, goldstrotzende Kette, die er als Mitglied
des Ritterordens vom Goldenen Vlies tragen darf.
Auf seinem Kopf: ein Hut mit langer Feder.

er keinen Sohn

Maria Theresia umhüllt ein Kleid mit langer
Schleppe, die ihre einstige Amme und getreue Hofdame,
die Gräfin Fuchs, hält. Der Brautschmuck funkelt im
Schein der ungezählten Kerzen und Laternen, die die
Ve rbindungsgänge der Hofburg erhellen.
Dem Brautpaar fo lgen wohl der Kaiser und Mitglie­
der seiner Familie. Die beiden Kaiserinnen, die verwit­
wete und die amtierende, stecken in steifen Miedern, in
die sie Zofen vorsichtig eingeschnürt haben. Ihre Röcke
aus zwei Lagen fe inster Tu che sind durch Gestelle aus
Metall oder Wa lfischbein gestützt und so breit, dass die
Damen durch viele Türen nur seidich gehen können. Auf

hinterlassen mittags um zwölf, haben Wa chen aufkaiserliche An­
ordnung die Residenz sorgfältig verriegelt. Vor jedem
Eingang zur Hofburg geben seither zusätzliche Sol-
daten und Angehörige der Stadtgarde darauf acht, dass
sich niemand Unbefugtes den Zutritt erschleicht.
Während drinnen also der hohe Adel des Hofes nach
fe stem Plan fe iert, geht für die meisten anderen das Leben
draußen einfach weiter. Am Abend der sonntäglichen
Heirat ruhen sie sich von der Arbeit aus, an den fo lgenden
Festtagen werden Händler in Läden unweit der Hofburg
wie immer Schokolade und andere Luxuswaren fe ilbie-
ten, Brotverkäufer mit ihren Körben durch die Gassen
ziehen - und Handwerksgesellen ihr auf den Baustellen
verdientes Geld in einem der Wirrshäuser verprassen. Von

152 I GEO EPOCHE Deutschland um 1700

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