Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1
dem imposanten Schauspiel in der Hofburg dringt allen­
falls das Donnern und Dröhnen der Salutschüsse an sie
heran. Wie fe rnes Grollen.

Wl EN IM JAHR 1736: eine Stadt, zwei Welten. Nirgendwo
im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation sind sich
der Kaiser und seine Untertanen so nah wie hier. Und
doch leben sie in unüberbrückbarer Distanz.
Das Herrschaftsgebiet der Habsburger ist gewaltig,
schließt Österreich, Böhmen, Mähren sowie Te ile der
Niederlande ein. Außerhalb des römisch-deutschen Rei­
ches gebietet das Geschlecht unter anderem über Ungarn
und Kroatien.
Doch der Einfluss des Adelshauses, das es vor allem
durch geschickte Macht-und Heiratspolitik zu Größe
gebracht hat, reicht noch weiter. Schon seit der Mitte des



  1. Jahrhunderts hat es die römisch-deutsche Kaiserwürde
    inne. Kaiser Kar! VI., Maria Theresias Vater, steht damit
    dem Rang nach über sämtlichen anderen Fürsten des
    Heiligen Römischen Reiches, dessen höchster Richter
    und oberster Lehnsherr er ist. (Allerdings besitzt er tat­
    sächlich kaum die Autorität, mächtigen Herzögen und
    Grafen seinen Willen aufzuzwingen.)
    Wie andere mittelalterliche Regenten sind auch die
    Habsburger in jenen Jahrhunderten viel herumgereist, um
    überall in ihren Erblanden regelmäßig Präsenz zu zeigen.
    Erst Anfang des 16. Jahrhunderts haben sie damit begon­
    nen, ihre Wiener Residenz - bis dahin eine von mehre­
    ren -zu einem festen Herrschaftssitz auszubauen.
    Die Stadt, an der Ostgrenze des römisch-deutschen
    Reiches, aber im Zentrum des Habsburger-Gebietes
    gelegen, ist ein guter Ort zum Leben: Die Gebirgszüge
    des Wienerwalds beschützen sie vor allzu rauem We tter,
    ..


Kaufleute bringen seit Jahrhunderten Wa ren und Wohl­
stand hierher. Denn in Wien kreuzen sich zwei bedeu­
tende Handelswege: An der Stadt vorbei fließt, in
mehrere Arme verzweigt, die Donau, die wichtigste Ost­
We st-Verbindung Europas; und von Süden her passiert
eine Straße Wien, die vom Handelszentrum Ve nedig nach
Böhmen führt.
Der Handel hat der Stadt Reichtum beschert. Schon
im Mittelalter entstanden sandsteingepflasterte Straßen,
Plätze und neben den üblichen Holzbauten immer mehr
spitzgiebelige Steinhäuser, bald auch mit Fenstern aus
Glas und mit Kellern, derart hoch und geräumig, dass
manche scherzen, es gebe eine Ober-und eine Unterstadt.
Seine wahre Größe und Glorie wird Wien aber erst
später erlangen. Denn vom 16. Jahrhundert an leben die
Bewohner in steter Angst vor den Osmanen.
Schon nach deren erster Belagerung 1529 haben die
Habsburger daher eine gewaltige Befestigungsanlage mit
einer 25 Meter hohen Mauer errichten lassen, aus der
bewachte Basteien hervorspringen. Dieser mächtige, ge­
zackte Gürtel, der von einem Wa ssergraben und freiem
Feld umgeben ist, schützt die kaum drei �adratkilometer
große Stadt und trennt sie von den umliegenden Vo rorten
ab (heute verläuft dort die Ringstraße).
1736 aber, im Jahr der Hochzeit, schnürt der
Schutzwall Wien ein.
Denn seit Reichstruppen und verbündete polnische
Panzerreiter die Osmanen 1683 in einer Schlacht erneut
vertrieben haben, wirkt die Stadt wie aus einem langen
Albtraum erwacht. In kürzester Zeit ist Wien zur größten
Metropole des römisch-deutschen Reiches herangewach­
sen. Viele der einstigen Bürgerhäuser sind um eine wei­
tere Etage erhöht worden - oder mussten weichen für

VON DER WIEN ER HOFBURG aus gebieten die Habsburger über ihre Besitzungen,
die von Schlesien bis Norditalien reichen. Für die einfachen Untertanen bleibt der
Teil der Stadt einnimmt, unzugänglich
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