Geo Epoche - 08.2019

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gefertigt, unter dem ein aufwendig de­
korierter Rock vorscheint. Ein Gestell
aus Rosshaar und Fischbein plustert den
Unterrock zum modisch betonten cul de
Paris, dem "Pariser Hintern".
In einer Kleiderordnung schreibt
Frankfurts Rat vor, welche Kleidung,
welche Stoffe , welcher Schmuck jedem
der fünf Stände zustehen und wie sich


Frauen in der Öffentlichkeit zu kleiden
haben, selbst bei Hochzeiten, Taufen,
Begräbnissen. Ein Amt überwacht die
Einhaltung der Vo rschriften und ver­
hängt bei Ve rstößen hohe Geldstrafen.
Selbst den Reichen sind hier Gren­
zen gesetzt. Die Kirche und ihre Kleriker
predigen, dass allzu großer Luxus den
Zorn Gottes nach sich zieht und dem


1704 I Frankfurt am Main


Laster den Boden bereitet. So sind Sti­
ckereien aus Gold und Silber oder Röcke
aus glattem Samt selbst den Frauen der
Patrizier verboten.

DIE PATRIZIER, eine Oberschicht von
knapp 50 Familien mit langen Tr aditio­
nen und meist durch Handel angehäuf­
tem Ve rmögen, verstehen sich als eine

Art Stadtadel, dessen Führungsanspruch
zwar nirgends niedergeschrieben ist,
aber als Gewohnheitsrecht gilt.
Diese Elite bleibt meist unter sich,
bei Festen und Banketten, Hochzeits­
fe iern und Fastnachtsbällen. Ihre Mit­
glieder tragen Wappen und bemühen
sich auch sonst um eine Lebensweise,
wie sie der Adel pflegt, obwohl sie nicht

46 I GEO EPOCHE Deutschland um 1700


über dessen Sonderrechte wie etwa Steu­
erfreiheit verfügen.
Die Patrizier teilen die wichtigsten
Ämter der Stadt unter sich auf, von nie­
mandem kontrolliert, nicht einmal vom
Kaiser. Seit Jahrhunderten sitzen ihre
Mitglieder im Frankfurter Rat, stellen
den für jeweils zwölf Monate gewählten
Bürgermeister sowie dessen Ve rtreter

der Katharinen­
kirche liegt der
Roßmarkt, einer
von Frankfurts
Richtplätzen: 1616
wurden dort die
Anführer einer
Handwerker­
Rebellion gegen
den Stadtrat
hingerichtet.
Seither regiert
die kleine Bürger­
elite wieder
unangefochten

und längst auch den Schultheiß, den
Ve rtreter des Kaisers in der Reichsstadt.
Drei Viertel der 28 Plätze auf den
ersten beiden Bänken des Stadtrats sind
mit Patriziern besetzt, die verbleibenden
sieben Sitze stehen graduierten Akade­
mikern zu. Die 14 Sitze der dritten Bank
sind den Handwerkern vorbehalten -
allerdings dürfen nur neun ihrer Zünfte
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