Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1

Granit
Festung
Strand an der Küste des heutigen Ghana.
Gut 40 Meter weit erstreckt sich die
abweisende Front zum Meer, ragt mehr
als fü nf Meter in die Höhe. Oben bekrö­
nen die Zinnen eines mittelalterlich
anmutenden We hrgangs das Mauer­
werk. Auf den Bastionen sind Dutzende
gusseiserne Kanonen zu sehen.
Jeder Granitquader, jeder Eichen­
balken, jeder Nagel des Kastells ist aus
mehr als 10 000 Kilometer Entfernung
herangeschafft worden. Tischler, Zim­
merer, Maurer und Schmiede sind aus
Europa angereist, um die Zitadelle in
den Tropen zu errichten. AufGeheiß des
Herrschers von Brandenburg-Preußen.
Der Bau ist ein Meisterwerk der
Festungsbaukunst: Die Umfassungs­
mauern ergeben ein �adrat von per­
fekter Symmetrie. An den Ecken laufen
sie in spitze Bollwerke aus.
Das Gemäuer schirmt vier doppel­
stöckige Giebelhäuser im Inneren, die
unten als Magazine und im Oberge­
schoss als Wo hnungen dienen. Bis zu
400 Menschen könnte das Fort notfalls
beherbergen, auch wenn kein Feind
seine Wehranlagen je überwunden hat.
Doch hinter den mächtigen Mau­
ern geht die Besatzung des Kastells jetzt,
im Frühjahr 1708, langsam zugrunde.


1683 -1717 J Preußischer Kolonialismus


Die 20 Soldaten und Offiziere sind de­
moralisiert und erschöpft.
Längst erreichen Großfriedrichs­
burg keine Schiffe aus der Heimat mehr.
Mehr als sechs Jahre sind vergangen, seit
zuletzt ein brandenburgischer Fracht­
segler von hier aus aufgebrochen ist.
Gut zwei Jahrzehnte lang war die
Zitadelle Umschlagplatz und Stützpunkt
für den Handel mit Gold und Elfenbein.
Und Menschen.
Seit 1683 haben die Brandenburger
hier Tauschgeschäfte betrieben, Nuggets
und Staub des begehrten Edelmetalls
erworben, die Stoßzähne erlegter Elefan­
ten - und im Gegenzug den Einheimi­
schen weitaus weniger kostbare Güter
aus Europa überlassen, wie Schüsseln,
Messer, Alkohol und Glasperlen.
Hier haben sie ihre Schiffe umge­
baut, um unter deren Decks Hunderte
Gefangene einpferchen zu können. Und
von hier sind sie aufgebrochen zur
östlich gelegenen "Sklavenküste", dem
Marktplatz fü r die menschliche Wa re.
Wie Vieh haben Beauftragte der
"Branden b urgisch-African isch-Am eri­
canischen Compagnie" Tausende Gefan­
gene examiniert, ihre Zähne und Glied­
maßen geprüft, ihnen dann die rechte
Schulter mit Palmöl eingestrichen und
mit einem glühenden Eisen Buchstaben
ins Fleisch gebrannt: die Initialen der
Kompanie.
Sie haben die Unglücklichen in
Boote gestoßen und durch die tosende
Brandung zu den wartenden Schiffe n
geschleust. Für unzählige Frauen, Män-

64 I GEO EPOCHE Deutschland um 1700


TEXT: RalfBerhorst

ner und Halbwüchsige bedeutete dies
den endgültigen Abschied von ihrer
Heimat, von ihrer Familie. Und den Be­
ginn eines neuen Martyriums auf einem
der schwimmenden Gefängnisse.
Doch ist der von Großfriedrichs­
burg aus betriebene Handel nur eine
kleine Hölle in einem viel größeren
Inferno. Rund elf Millionen Afrikaner
schleusen Portugiesen, Niederländer,
Dänen, Engländer und Franzosen bin­
nen drei Jahrhunderten über ihre Um­
schlagplätze auf die Zuckerrohrplan­
tagen und Tabakfelder in der Neuen
We lt. Mehr als eine Million Geknech­
tete sterben während der Überfahrt.
Es ist eines der größten Ve rbrechen
der Geschichte. Und für das fe rne Bran­
denburg-Preußen sollte es zum �ell des
Reichtums werden. Doch nun steht die
Firma, die das Fort Großfriedrichsburg
betreibt, vor dem Ruin.
Die meisten Soldaten sind krank,
leiden an Durchfall oder Fieber, und
sie sehnen sich danach, in ihre Heimat
zurückkehren zu dürfen - so schreibt
es Heinrich Lamy, Generaldirektor der
Festung, in einem Brief an den Vo rstand
der BAAC. Sein Körper sei "nicht mehr
imstande, hierzulande länger auszudau­
ern", klagt Lamy in dem Schreiben, das
er vermutlich einem niederländischen
Händler mitgibt: "Desgleichen bittet die
ganze Garnison um Ablösung:' Bald
wird er nur noch über sieben dienst­
fähige Soldaten verfügen.
Aber am weiten Horizont zeigt sich
kein Schiff mit der Flagge Brandenburg-
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