-- 1707 --
Christina Wilhelmina von Grävenitz
ie Berater des Herzogs von Würtremberg sind
fassungslos. Was Eberhard Ludwig ihnen da
1707 eröffnet, wird einen Skandal auslösen.
Er hat heimlich geheiratet - seine Mätresse
Christina Wilhelmina von Grävenitz. Und nun soll das
ganze Land davon erfahren. Das Problem: Eberhard Lud
wig ist bereits seit zehn Jahren vermählt - mit Johanna
Elisabetha von Baden-Durlach, die er aus rein dynastischer
Machtpolitik zur Frau genommen hatte.
Zwar kommen diskrete Zweitehen unter Fürsten
trotzkirchlichen und weltlichen Ve r-
bots zuweilen vor, denn Scheidungen
Doch Eberhard Ludwig denkt nicht daran, die Be
ziehung aufzugeben. Er arrangiert eine Scheinehe, um
die Ve rstoßene zurückzuholen: Im Februar 1711 heiratet
sie einen betagten, verschuldeten Adeligen, den der Her
zog zum Landhofmeister erhebt. Nun kehrt Christina
Wilhelmina als Dame von höchstem Rang nach Würt
temberg zurück- und wird so einflussreich wie nie zuvor.
Vor Entscheidungen sucht der Herzog oft ihren Rat.
Sie betreibt Außenpolitik, sondiert etwa mit einem Par
teigänger des Franzosenkönigs Ludwig XIV. die Chancen
fü r ein Bündnis der beiden Fürsten,
das allerdings nicht zustande kommt.
sind schwer möglich und gelten als In den etlichen kleinen Te rri
Sünde. Und manche Fürstin erklärt
sogar ihr Einverständnis, sofern ihr
Status unangetastet und die Bigamie
geheim bleibt. Doch der Herzog lässt
seine erneute Heirat nun tatsächlich
DIE i\1 ACHT DER torien, die der Fürst ihr im Laufe der
Jahre überlässt (darunter die Graf
schaft We tzheim östlich von Srutt
gart), reformiert sie die Ve rwaltung.
Beamte müssen ihr regelmäßig Be-
GELIEBTEN
öffentlich verkünden -und das em-
pört die rechmüßige Gemahlin und
richt erstatten, außerdem lässt sie
We inberge, Viehhaltung und Ziege
die Eliten seines Reichs.
Im Jahr zuvor ist die 22-jährige
Christina Wilhelmina nach Sturegart
gekommen, eine Mecklenburgerin
aus niederem Adel, schön und intel
ligent. Geholt hat sie ihr Bruder, der
am HofEberhard Ludwigs Karriere
machen will: Er hofft, dass der Herr
scher Gefallen an der jungen Frau
findet und sie zur Mätresse erwählt,
Mätressen der Fürsten haben oft
gewaltigen Einfluss bei Hofe - wie
jene Adelige, die Württembergs
Herrscher sogar zur Heirat drängt
leien genau kontrollieren, um die
Erträge zu steigern. Im Herzogtum
prorestieren viele Zeitgenossen ge
gen die "Weiberherrschaft". Machen
die Mätresse in anonymen Pamphle
ten für alle Übel verantwortlich -
TE X T: Svenja Bauer-Blaschkowski besonders die hohe Sreuerlast.
ILLUSTRATION: Rainer Ehrtfor GEOEPOCHE Mir der Zeit (und ihrer Hilfe)
wird auch ihr Bruder immer mäch
tiger, steigt als Premierminister ins
was ihm den Zugang zum Herzog höchste Regierungsamt auf.
erleichtern würde. Denn Mätressen sind mehr als bloße
Geliebte. Sie treten offen an der Seite des Herrschers auf
und genießen politischen Einfluss.
Tatsächlich wird die Grävenitz schon bald des Her
zogs Favoritin. Das aber reicht ihr nicht: Eberhard Ludwig
soll sie heiraten - und der lässt sich darauf ein. Doch da
die Hochzeit heimlich stattfindet, gilt Christina Wilhel
mina in der Öffentlichkeit nach wie vor als Mätresse. Erst
als sie droht, den Fürsten zu verlassen, wagt der das
Unerhörte und macht seine Doppelehe bekannt.
Er hat die Reaktionen unterschätzt. Vor allem Wü rt
tembergs fromme Protestanten begehren auf: Vertreter
der Geistlichkeit verurteilen den Rechtsbruch, der Hof
prediger verweigert dem Landesherrn das Abendmahl.
Die Familie seiner ersten Frau bittet den Kaiser um Hilfe,
der zwei Ve rmittler einsetzt. Und schließlich erklärt ein
Gericht die Ehe im Juni 1708 auch noch für ungültig.
Der Herzog beugt sich dem Druck - und stimmt
dem Urteil zu. Die Mätresse geht ins Schweizer Exil.
Als Dank verrät er seine Schwester: 1731 erkrankt
Eberhard Ludwigs Sohn tödlich, und so braucht der Fürst
einen neuen ehelichen Thronfolger - sonst droht das
protestantische Wü rttemberg an einen katholischen Ve t
ter zu fa llen. Der Bruder sowie Gegner Christina Wilhel
minas drängen nun den Herzog, sich mit seiner Frau zu
versöhnen und einen weiteren Sohn zu zeugen. Und die
Mätresse, nach mehr als 24 Jahren, fo rtzuschicken.
Erneut gibt der Herrscher schweren Herzens nach,
wohl in der Hoffnung auf ein Wunder: Denn die Herzo
gin ist mit 50 eigentlich zu alt, um Kinder zu bekommen.
Er verbannt seine Geliebte vom Hof, lässt sie gar gefangen
nehmen und erst freikommen, als sie den Großteil ihres
Ve rmögens aufgibt und zusagt, Württemberg fo rtan zu
meiden; sie lebt bis zu ihrem To d 1744 in Berlin.
Aber Eberhard Ludwig hat die Liebe seines Lebens
vergebens geopfert: Er stirbt 1733, ohne einen neuen
Erben gezeugt zu haben. Und so fä llt Wtirttemberg am
Ende tatsächlich an seinen airgläubigen Ve tter. 0
72 I GEO EPOCHE Deutschland um 1700