Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1
-- 1695-1723 --
Johann Christian Günther

as Unglück ist Johann Christian Günthers
treuester Gefährte. In seinem kurzen Leben
sitzt er im Gefängnis, wird vom Vater versto­
ßen, wohnt im Armenhaus, wirbt um die
Gunst von Fürsten, die ihn ignorieren, verlobt sich zwei­
mal, ohne je zu heiraten. Und stirbt mit nur 27 Jahren.
Doch in der knappen Zeit, die ihm vergönnt ist,
schreibt der Dichter wie ein Besessener. Er ist ein Meister
der Barockpoesie, füllt deren strenge Formen aber zugleich
mit etwas Neuem, Einzigartigem. Seine We rke gehören
zur bedeutendsten deutschen Lyrik
der fr ühen Neuzeit - obwohl die


Ve rfasser einer Ode auf Prinz Eugen. "Sein Schwert, das
Schlagund Siegvermählt I Und wenn es irrt, aus Großmut
fehlt", preist Günther den obersten Feldherrn des Kaisers.
Der Herrscher nimmt allerdings keine Notiz von ihm.
Und auch eine Bewerbung als Hofdichcer-Gehilfe des
sächsischen Kurfürsten bleibt ohne Erfolg. So kehrt er
nach Schlesien zurück, wohnt zeitweilig im Armenhaus.
Dennoch bricht nun die produktivste Zeit seines
Lebens an. Insgesamt 600 Gedichte mit rund 40 000
Ve rsen sowie ein Drama werden die Jahrhunderte über­
dauern. All sein Schaffen ist zwar
verwurzelt im Barock: So fo lgt er
allermeisten Gedichte anfangs kaum den strengen Vo rgaben, welche Zei-
Bekanntheit erlangen. MEISTER DER len sich zu reimen haben, wählt als
Ve rsmaß häufig den Alexandriner,
thematisiert immer wieder die Ver­
gänglichkeit des Lebens.

Günther kommt 1695 in Schle­
sien zur We lt, jener Region, die große
Barockpoeten wie Andreas Gryphius
hervorgebracht hat. Schon als Schü­
ler erobert er mit Liebesversen das

VERSE
Doch weit mehr als andere Poe-
ten der Zeit drängt er sich in seinem
Herz der Nachbarstochter Leonore.
Bald aber muss er die Ve rlobte zu­
rücklassen, denn er soll Arzt werden
wie sein Vater: 1715 zieht er ins säch­
sische Wirtenberg und beginnt ein
Medizinstudium.

Zeitlebens bemüht sich Johann

We rk selbst in den Vo rdergrund, als
missverstandenes Genie, als Indivi­
duum. Kleider eigene Erlebnisse in
Reime, persönliche Empfindungen
in Metaphern, bannt seine stürmi­
sche Seele in Tinte auf Papier.
Doch er träumt davon, Poet zu
sein. Geld verdient er nebenbei mit
Gelegenheitsgedichten, wie sie üb­
lich sind: Adelige und reiche Bürger
bestellen bei ihm Ve rse zu Hochzei­
ten, Geburten oder Begräbnissen.


Christian Günther erfolglos
um Wertschätzung. Dabei ist
er der begabteste Dichter
Vor allem in seinen Liebes-und
Klageversen entfaltet sich poetische
Kraft. "Schweig du doch nur, du
Hälfte meiner Brust! I Denn was du
weinst, ist Blut aus meinem Herzen",

seiner Generation
TEXT: Samuel Rieth
ILLUSTRATION: Rainer EhrtjU1· GEOEPOCHE

Gut leben kann er davon aber nicht.
Daher will Günther einen Fürsten als Mäzen. Um
sein Prestige zu mehren (und wohl auch aus Eitelkeit),
bewirbt er sich 1716 um den Ehrentitel eines "Kaiserlichen
lorbeergekrönten Poeten". Eine törichte Idee, denn der
Titel hat längst viel von seinem einstigen Ansehen ver­
loren und fo rdert Kandidaten vor allem eines ab: Geld.
Mindestens zwölf Silbertaler muss der junge Dichter an
die Wittenberger Universität entrichten, ehe er mit einem
Lorbeerkranz gekrönt wird; beim Festschmaus speisen
alle Geladenen auf seine Kosten. Nur indem er Schulden
macht, kann sich Günther Kranz und Titel leisten.
Seine Karriere befördert das zwar nicht, dafür sitzen
ihm bald die Gläubiger im Nacken- und lassen ihn 1717
ins Schuldgefängnis sperren. Der tief enttäuschte Vater
verstößt seinen Sohn. Nur weil Landsleute ihm aushelfen,
kommt Günther schließlich frei.
Er gibt sein Studium auf, reist nach Leipzig weiter.
Und erlangt 1718 erstmals überregionale Bekanntheit: als


schrieb er Leonore vor dem Abschied


  • die Beziehung der beiden zerbricht



  1. Und über sein Dichterelend reimt er: "Ein jeder,
    heißt's, vermag sein Glücke selbst zu machen I We r We lt
    und Ursprung kennt, der wird des Sprichworts lachen:·
    Der Poet versucht, sich doch noch in eine bürgerliche
    Existenz zu retten, verlobt sich mit einer Pfarrerstochter.
    Der Brautvater aber fo rdert vor der Hochzeit eine Ver­
    söhnung Günthers mit dem eigenen Vater. Der Sohn reist
    zum Elternhaus- wird jedoch abgewiesen. Er führt seine
    rastlose Existenz fo rt, kommt bei Freunden und Gönnern
    unter, aber immer nur aufZeir. Am 15. März 1723 stirbt
    Johann Christian Günther in Jena, wohl an Tuberkulose,
    drei Wo chen vor dem 28. Geburtstag.
    Sein frühes Ende löst eine Serie von Publikationen
    aus. Ein Gelehrter veröffentlicht Sammlungen von Gün­
    thers We rken, die sich sehr gut verkaufen- und ihn über
    Jahrzehnte zu einem von Deutschlands meistgelesenen
    Lyrikern machen. Erst im To d ist ihm so jener Ruhm ver­
    gönnt, den er sich zu Lebzeiten vergebens erhofft hat. 0


98 I GEO EPOCHE Deutschland um 1700

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