Neue Zürcher Zeitung - 05.08.2019

(Dana P.) #1

Montag, 5. August 2019 ∙Nr. 178∙240.Jg. AZ 8021Zürich∙Fr. 6.50 ∙€6.


SIE &ER

Nach der Finanzkrise: Unternehmertum hat die USA wieder an die Spitze gebracht Seite 18, 19


Zwei Amokläufe


erschüttern die USA


29 Tote bei Massenschiessereien am Wochenende


In der texanischen Grenzstadt
El Paso wollte ein Schütze
mit seiner Gewalttat in einem
Einkaufszentrum offenbar
ein Zeichen gegen die
steigende Migration setzen.
Das Verbrechen wird als
inländischerTerrorakt behandelt.

MARIE-ASTRID LANGER,WASHINGTON

Im US-GliedstaatTexas wurden am
Samstagvormittag (Ortszeit) bei einem
Amoklauf in ElPaso 20Personen in
einemWalmart-Supermarkt getötet und
Dutzende verletzt.Das Geschäft befin-
det sich in einem Einkaufszentrum in
unmittelbarer Nähe zur mexikanischen
Grenze.Laut Mitarbeitern war der
Supermarkt am Samstag besonders gut
besucht, weil in wenigenWochen das
neue Schuljahr in Mexiko beginnt; zum
Tatzeitpunkt hielten sich zwischen 10 00
und 3000 Personen imLaden auf.
Der Schütze benutzte bei seinerTat
ein halbautomatisches Sturmgewehr des
Typus AK-47; die angerückten Sicher-
heitskräftekonnten ihn nach wenigen
Minuten zwingen,seineWaffe niederzu-
legen und sich verhaften zu lassen. Der
Mann, ein 21-jährigerWeisser , befin-
det sich inPolizeigewahrsam.Auf einer
Pressekonferenz teilte die Bundespoli-
zei FBI mit, der mutmassliche Täter sei
davon ausgegangen, erschossen zu wer-
den, und verhalte sichkooperativ.

Manifest gefunden


Bis jetzt deutet alles darauf hin, dass der
Schütze aus Hassgegen Migranten han-
delte .Wenige Minuten vorderTat wurde
im Internet ein ausländerfeindliches
Manifest veröffentlicht. Greg Allen, der
Polizeichef von ElPaso, sagte am Sonn-
tag, dass sich dieVermutung erhärtet
habe, dass dieses Manifest tatsächlich
von dem Schützen verfasst worden sei.
Laut der «NewYorkTimes» ist darin die
Rede voneiner «hispanischen Invasion».
Der Autor schreibt, dass Menschen mit
hispanischem Hintergrund die lokale
und bundesweiteKontrolle in seinem
geliebtenTexas übernähmen. Politiker
beiderParteien trügen Schuld daran,
dassAmerika «voninnen heraus verrot-
tet». Offenbar beruft sich derVerfasser
des Manifests auch auf den Amoklauf
in Christchurch vom15.März, bei dem
ein Schütze aus Hass gegen Migranten
51 Personen erschossen hatte.
Zudem war der mutmassliche Täter
extra mehr als tausend Kilometer in die
Grenzstadt angereist.Wie kaum eine an-
dere Stadt inAmerika verkörpert ElPaso
die engenBande zwischen Amerika und
Mexiko. Die Bevölkerung ist zu 80 Pro-
zent hispanischstämmig. Die in Mexiko
liegendeNachbarstadtCiudadJuarezliegt
nur zehnAutominuten entfernt.Auch in
der derzeitigen Migrationskrisespielt El
Paso eine prominenteRolle.Der Grenz-
übergang ist bei Flüchtlingen besonders
beliebt,mit fast 700000 Einwohnern ist
es die grösste Grenzstadt in derRegion,
Sans-Papierskönnensichdortleichtunter
dielokaleBevölkerungmischen.Texasge-

hört zu den Gliedstaaten mit der gröss-
ten und am schnellsten wachsenden his-
panischstämmigen Bevölkerung.
Die Ermittlerin ElPaso haben drei
Untersuchungsbefehle im Grossraum
Dallas erlassen, woher der Schütze
stammt. Sie behandeln dasVerbrechen
alsinländischenTerrorakt,mehrereBun-
desbehördensindindieUntersuchungen
eingebunden. Zudem erwägt die Staats-
anwaltschaft, den Schützen wegen eines
Hassverbrechens («hate crime») anzu-
klagen, also wegen eines aus Hass auf
eine bestimmte Bevölkerungsgruppe
ausgeübtenVerbrechens, sowie wegen
weitererVerstö sse gegen das Bundes-
gesetz. Ihm droht dieTodesstrafe.

Empörung in Mexiko


Sechs der 20Todesopfer waren Mexi-
kaner. In einer überTwitter verbrei-
tetenVideobotschaft zeigte sich der
mexikanische Aussenminister Mar-
celo Ebrard entsetzt über dasVerbre-
chen. «Mexiko verurteilt diese barba-
rischeTat, bei der unschuldige Mexi-
kaner ihr Leben verloren haben, aufs
Schärfste.» Er wolle sich dafür einset-
zen, dass in Amerika lebende Mexi-
kaner «unter internationalem Gesetz»
besser geschützt würden.
DasWeisse Haus teilte mit, der Prä-
sident sei über denVorfall informiert
worden und stehe inKontakt mitJustiz-
ministerWilliamBarr und dem texani-
schen GouverneurGregAbbott.Donald
Trump nannte die «hasserfüllteTat»
einen «Akt derFeigheit». Es gebekeine
Rechtfertigung dafür, unschuldige Men-
schen zu töten, schrieberauf Twitter.
In der Nacht auf Sonntag kam es zu
einer weiteren Gewalttat im Gliedstaat
Ohio. Ein Mann schoss ineinemVer-
gnügungsviertel inDayton um sich und
tötete neunPersonen, bevor ihn einPoli-
zist niederstreckte. Somit kamen allein
am Wochenende 29Personen in den
USA bei Amokläufen ums Leben, Dut-
zende wurden verletzt.Weil dieTaten
zeitlich so dicht aufeinander erfolgten,
überprüft die BundespolizeiFBI derzeit,
ob sie «wirklich nichts miteinander zu
tun haben», wie der zuständige FBI-Er-
mittler Emmerson Buie sagte.
EndeJuli hatte sich ein19-jähriger
Schütze auf das Gelände einesVolks-
festesinGilroy ,Kalifornien, geschlichen
und dreiPersonen,unter ihnen zwei Kin-
der, erschossen, bevor auch er von der
Polizei niedergestreckt wurde. Der Vor-
fall in Ohio war somit die dritte Massen-
schiesserei in den USA innert einer
Woche und die 32. in diesemJahr; das
Justizministerium definiert eine solche
als Tat mit mindestens dreiTodesopfern.
Waffengewalt gehört in den USA
zum traurigen Alltag,Vorfälle mit ein
oder zweiToten sind so häufig, dass sie
es in Europa meistnicht einmal in die
Schlagzeilen schaffen.So war esetwa am
Dienstag zu einem weiteren Amoklauf
in einemWalmart in Mississippi gekom-
men; ein kürzlich entlassener Angestell-
ter hatte dabei zweiPersonen erschos-
sen. Laut der Plattform GunViolence
Archive sind in den USA in diesemJahr
bisher 8734Personen durch Schusswaf-
fen ums Leben gekommen.

TOM HUBER

Die neuen Regeln


des Eroberns


Wie lernt man sich heutekennen?Wann ist der Moment für den erstenKuss? On-
line-Portale undDating-Apps machen es leichter, einen Flirt oder eine Beziehung
zu finden. Doch die Gefühle sind immer noch dieglei chen. Kate, 26, und Michel, 27,
haben sich überTinderkennengelernt, wurden aber erst nach eineinhalbJahren ein
Paar.ImNZZ Folio erzählen Glückliche und Enttäuschte von ihren Erfahrungen.

Bürgerliche gegen Plastikmüll


Kurz vor den Parlamentswahlen setzen auch Politiker der Mitte auf das Umweltthema


DOMINIK FELDGES


Die vielen im Internet kursierenden Bil-
der von Plastikabfällen in den Ozeanen
oder vermüllten Stränden haben ihre
Wirkung nicht verfehlt. In vielenLän-
dern regt sichWiderstand gegen dieVer-
schmutzung der Umwelt durch Abfälle,
die zu einem grossenTeil ausKunst-
stoffverpackungen wie Flaschen, Boxen
und Folien bestehen. Seit Jahren fordern
Umweltschützer Massnahmen gegen die
Plastikflut sowie eine fachgerechte Ent-
sorgung, vor allem inForm eines ver-
stärktenRecyclings der verwendeten
Materialien.DasThema ruft aber nicht
mehr nur sie auf den Plan, sondern ist
in einer breitenÖffentlichkeit angekom-
men.Dies zeigt sich auch darin,dass sich
verstärktPolitiker und Behörden zum
Handeln gezwungen sehen. So wird in
Grossbritannien geprüft, ob künftig eine
Steuer aufVerpackungen gelten soll,die
zu m ehr als 30 Prozent aus nicht wieder-
verwertetem Plastik bestehen.


Zurückzu Pfandflaschen?


In der Schweiz verlangen Mitglieder
des Nationalrats schon zum wiederhol-
ten Mal, dass dieRechtsgrundlagen für
die Einführung eines Pfands auf sämt-
liche Getränkeflaschen und Getränke-
dosen geschaffen werden. Der Urheber
einer parlamentarischen Initiative, der
Schwyzer CVP-Nationalrat und Betrei-
ber einerKleinbrauerei Alois Gmür,
beruft sich in der schriftlichen Begrün-
dung seinesVorstosses explizit auf «Bil-
der von Unmengen von PET-Flaschen,
Dosen und Plastik», welche die Meere
verschmutzten. Sorge bereiten dem


Politiker auch die vielen in der Schweiz
acht los liegengelassenen Flaschen und
Dosen.Durch die Einführung eines
Pflichtpfands soll denVerpackungen ein
Wert gegeben und dadurch dieVerwen-
dung von Mehrweggebinden gefördert
werden.Mehrwegflaschen aus Glas sind
in der Schweiz nach dem Siegeszug der
PET-Flaschen schon vorJahrzehnten
grösstenteils inVergessenheit geraten.
Zweieinhalb Monate vor den natio-
nalenWahlen, bei denen die Klima-
diskussion und andereFragen des Um-
weltschutzes eine grosse Rolle spie-
len dürften, scheint GmürsForderung
auch in bürgerlichen Kreisen breit ab-
ge stützt zu sein. Zu den 31Parlamenta-
riern, die denVorstoss mitunterzeich-
net haben, zählen dieVorsitzende der
FDP Schweiz,Petra Gössi, der Schwei-
zer CVP-Präsident Gerhard Pfister und
Bauernverbandspräsident Markus Rit-
ter. Dennoch wird sich erst noch wei-
sen müssen, ob der politischeWille
ausreicht, um das Pfandsystem im Ge-
tränkebereich wieder einzuführen.
Auch ohne Depot werden hierzu-
lande viele Flaschen rezykliert, die
Schweiz erreicht eineRücklaufquote,
um die sie weltweit beneidet wird. Bei
PET-Flaschen beträgt sie83 Prozent
und im Fall von Aluminiumdosen so-
gar über 90 Prozent.
In Deutschland bewirkte die Ein-
führung eines Pflichtpfands auf di-
verse Einweg-Getränkeverpackun-
gen 2003 jedoch das Gegenteil des Er-
wünschten.Der Anteil der Mehrweg-
verpackungen stieg nicht,wie sich dies
die Politik ausgerechnet hatte, sondern
sank weiter – von damals rund 70 auf
heute 40 Prozent.

Vernünftiger ist es vor diesem
Hintergrund wohl, Anstrengungen zu
unternehmen, die das Einsammelnder
Flaschen und Dosenerleichtern,da-
mit diese anschliessend demRecy-
cling zugeführt werdenkönnen. Zwar
gibt es in der Schweizallein für PET-
Flaschen rund 53000 Sammelstellen,
doch diese befinden sich grösstenteils
bei Verkaufsstellen des Handels oder
bei Firmen,die sich freiwillig entschlos-
sen haben, sie für ihre Mitarbeiter auf-
zustellen.

Die Wirtschaft reagiert


Im öffentlichenRaum haben die Sam-
melbehälter aber Seltenheitswert.Aus-
ser in grossenBahnhöfen oder an Flug-
häfen verfügen Mülleimer kaumüber
getrennte Behälter für PET, Alumi-
nium, Papier sowierestliche Abfälle.
Dies werde sich in den nächstenJahren
jedoch ändern,verspricht die Branchen-
organisation PET-Recycling Schweiz.
Endlich sei hierzulande der politische
Wille vorhanden,Sammelstellen gross-
flächigauch an Bushaltestellenoder an
Bahnstationen einzurichten.
Auch Verbraucher fordern nachhal-
tigereVerpackungen, was dieKonsum-
güterindustrie zwingt, neueWege ein-
zuschlagen. In vielen Betrieben werden
zurzeit Überlegungen dazu angestellt,
wie sich der Anteil an wiederverwerte-
tem Material vor allem beiKunststoff-
verpackungen erhöhen lässt. Zugleich
scheint es eine Art Rückbesinnung
weg von Plastik und hin zu Glas zu ge-
ben. Die Nachfrage nach Glasbehältern
nimmt stark zu.
Wirtschaft, Seite 17

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