Neue Zürcher Zeitung - 05.08.2019

(Dana P.) #1

WIRTSCHAFT Montag, 5. August 2019 Montag, 5. August 2019 WIRTSCHAFT


Corporate


America boxt


sich zurück


an die Spitze


Vor ze hn Jahren begannen sich Amerikas Konzerne


aufzurappeln aus der Rezession, die von der


Finanzkrise ausgelöst worden war. Es folgte eine


Dekade de r Umwälzungen, deren Auswirkung en


weit über die USA hinaus zu spüren sind.


Von Christiane Hanna Henkel , New York


Vor zehnJahren lag AmerikasWirt-
schaft am Boden. DieBanken muss-
ten vom Staat mit Milliardensummen
gestütztwerden. Millionenvon Ame-
rikanern verloren ihreArbeit und ihre
Häuser. DerAbsturz an der Börse liess
die Vermögen einbrechen.Viele kleine
und mittelgrosseFirmen kämpften ums
Überleben–und die grossenKonzerne
rationalisierten und au tomatisierten ihre
Produktion und ihre Abläufe, um ein
noch tieferes Abrutschen in dieroten
Zahlen zu verhindern.
Als Mitte 2009 dieWirtschaft wie-
der zu wachsen begann, war kaum ab-
zusehen, dass AmerikasBanken sich
erneut zur Weltspitze aufschwingen
würden.Dass a merikanischeFirmen
wie Amazon, Alphabet,Facebook und
Uber die Plattformwirtschaft begründen
und dominieren würden.Dass Apple
mit seinem Smartphone den Standard
für den neuenTaschencomputer defi-
nieren würde, der zur Disruption und
zur Digitalisierung fast allerkonsum-
nah en Branchen beiträgt.Dass Ame-
rikas Schiefergestein eineRevolution
im Erdöl- und Erdgasbereich auslösen
und Amerika zumindest zeitweise zu
einem Nettoexporteur von Erdöl ma-
chen würde.Dass mitTesla erstmals seit
dem Börsengang derFord Motor Com-
pany imJahr 1958 einAutobauer an die


Börsekommen und mit Elektromobilen
die Branche aufscheuchen würde. Nach
der Weltfinanzkrise begann in Amerika
eine Dekadedes Unternehmertums.
Das zeigt einRückblick auf denlängs-
ten Wirtschaftsaufschwung in der Ge-
schichte der USA – und die wichtigsten
Entwicklungen in dieser Zeit


  1. Wie Phoenix aus der Asche: Ameri-
    kas Banken steigen nach derFinanz-
    krise an dieWeltspitze auf
    Es brauchte das beherzte Eingreifen
    der amerikanischenPolitik, damit die in
    der Finanzkrise insWanken geratenden
    US-Banken nicht abstürzten. Zunächst
    wurden ihnen Mittel zurVerfügung ge-
    stellt,damit sie die unter faulen Immobi-
    lienpapieren ächzendenKonkurrenten
    übernehmenkonnten. So wurde nach
    dem Zusammenbruch von Lehman Bro-
    thers derKonkurs weiterer namhafter
    Finanzhäuser verhindert. DieBank of
    America nahm den auf minderwertige
    Hypotheken spezialisierten Anbieter
    Countrywide und die Investmentbank
    MerrillLynch unter ihreFittiche, JP
    Morgan Chase kaufte die strauchelnde
    Investmentbank Bear Stearns und das
    FinanzinstitutWashington Mutual.Wells
    Fargo verleibte sichWachovia ein.
    ZumTeil unter staatlichem Druck
    wurden dieBanken zum Abbau ihrer


Altlasten und zu einerRekapitalisie-
rung gezwungen. Die juristischeAuf-
arbeitung derFinanzkrise war umfas-
send und für dieBanken teuer. Doch sie
hatte denVorteil, dass sich dieBanken
wieder der Zukunft zuwendenkonn-
ten. Erstaunlich schnellschw angen sich
die amerikanischenBanken zu neuen
Höhen auf. Im Gegensatz zu ihrenKon-
kurr enten in Europa profitierten sie da-
bei von einem grossen homogenen Hei-
matmarkt und einem dankKonsoli-

dierung gestiegenenKonzentrations-
grad.Die 2010 verabschiedeteReform
der Finanzbranche(«DoddFrank Wall
StreetReform and Consumer Protec-
tion Act») mag in ihrem Umfang aus-
ufernd gewesen sein, bot den US-Ban-
ken aber eineberechenbare Arbeits-
grundlage und einen gewissen Schutz
vor weiteren Eingriffen derPolitik. Nur
eine Dekade nach dem Beinahekollaps
stehen AmerikasBanken heute an der
Weltspitze – die europäischenKonkur-
renten haben sie abgehängt.


  1. Das Entstehen der Plattformwirt-
    schaft: Amazon,Facebook und Uber
    machenGeschäfte nach neuen Regeln
    In nur zehnJahren hat sich das be-
    triebswirtschaftliche Geschäftsmodell
    grundlegend verändert. Grosskonzerne
    wie das Industriekonglomerat Gene-
    ral Electric oder der Gesundheitskon-
    zernJohnson &Johnson basieren auf
    der Idee, dass Wertschöpfung innerhalb
    eines Unternehmenskostengünstiger
    betrieben werden kann, als wenn alle
    Arbeitsabläufe über den Marktkoor-
    diniert werden müssen. Und weil diese
    Firmen meist physische Güter herstel-
    len, hängt ihr wirtschaftlicher Erfolg
    davon ab, grosse Mengen abzusetzen
    und dieKosten auf möglichst viele Pro-
    dukte zu verteilen.Weil abereinTeil der
    Kosten unabhängig von der erstellten
    Menge anfällt, sondern pro hergestell-
    ter Einheit, hat die Profitabilität dieser
    Konzerne Grenzen.Und wegen der auf-
    wendigen Herstellung und Distribution
    physischer Güter ist das Umsatzwachs-
    tum begrenzt.
    In einer Plattformwirtschaft arbeiten
    die Unternehmen unter ganz anderen
    ökonomischen Bedingungen. Zunächst
    verstehen sie sich alsMarktplätze,auf
    denen Angebot und Nachfrage zusam-
    mengebracht werden. Die Bedeutung
    einer digitalen Handelsplattform steigt
    mit der Zahl derTeilnehmer überpro-
    portional: Denn mit jedem zusätzlichen
    Nutzer steigt derWert d es sozialen


Netzwerks für alle Nutzer. Die dadurch
generiertenDaten ermöglichen einen
Wettbewerbsvorteil, weil mit ihnen die
Dienstleistungen ständig verbessert und
neue konzipiert werdenkönnen.
DiesogenanntenNetzwerkeff ekteer-
möglichen den Plattformunternehmen
nicht nur ein viel schnelleresWachstum,
sondern auch eine höhere Profitabilität.
Anders als in industriellen Branchen
können sich digitale Plattformen über-
raschend schnell von derKonkurrenz
abheben und eine marktbeherrschende
Stellung erlangen. Diese Mechanismen
erklären bis zu einem gewissen Grad,
warum Alphabet,Facebook und Ama-
zoneinesoenormeMachtinpunctoUm-
satz,Gewinn,Börsenwert,Marktstellung
undDiversifikationinzahlreichenBran-
chen erreicht haben – eine Dominanz,
wie sieKonzerne im industriellen Zeit-
alter selten hatten.
DiePlattformwirtschaft wird von
amerikanischen und chinesischenKon-
zernen dominiert.Viele Experten erwar-
ten, dass auch im heraufziehenden Zeit-
alter der künstlichen Intelligenz eine
Handvoll amerikanischer und chinesi-
scherKonkurrenten führend sein wird.
Die Europäer werden meist nur in einer
Nebenrolle gesehen.


  1. DasKonglomerat ist tot – es lebe
    das Konglomerat: Amazon ist das
    neue General Electric
    Manchmalgeht alles ganz schnell, und
    die Geschichte schreibt plötzlich das
    letzte Kapitel einer Epoche.Noch vor
    zweiJahren bezeichnete General Elec-
    tric (GE) sich unter dem Stichwort
    «Industrie 4.0» als digitalenVorreiter
    und versprach, dieKunden in der Luft-
    fahrt,im Energiesektor undim Ge-
    sundheitswesen in die digitale Zukunft
    zu führen. Doch im Herbst 2017 musste
    KonzernchefJeff Immelt nach 17 Jah-
    ren an der Spitze desKonglomerats sei-
    nen Platzräumen. GE wird zerschla-
    gen: Von den Sparten Stromenergie, er-
    neuerbare Energien, Luftfahrt, Erdöl-


Amerika ist wirtschaftlichein Leuchtturm: US-Konzerne treiben die wirtschaftliche Innovation undTransformationweltweit voran.Doch es erwächst ihnen zunehmendKonkurrenz aus China. MIKE SEGAR/ RE UTERS

233

125
92

320
284
250

NZZ Visuals/cke.

Absteiger Konstant Aufsteiger

QUELLEN: YAHOO FINANCE, EIGENE RECHERCHEN


Wiesich dieGewichtean derWall Streetverschoben haben


Börsenwerte in Mrd. $


Microsoft 324

Apple 227
Johnson&Johnson 213
JP Morgan Chase 204

1050

940

373
368

Berkshire Hathaway 183
Google^1180

Amazon 72
Visa 48
Facebook^212

Alibaba
246
(seit 2014)

451

386

528

561

786

957

(^1) Heute Alphabet;
(^2) noch nicht kotiert.
GE 92
AT &T 197
IBM 205
Procter&Gamble 211
Wal-Mart 244
Exxon Mobile 387
Jahr 2009 2019 Jahr 2009 2019 Jahr 2009 2019
Anders als in
industriellen Branchen
können sich digitale
Plattformen schnell
von der Konkurrenz
abheben und
marktbeherrschende
Stellung erlangen.
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