Neue Zürcher Zeitung - 05.08.2019

(Dana P.) #1

Montag, 5. August 2019 SPORT31


MATCHBLATT


Der Künstler in Genf


Der Offensivspieler Miroslav Stevanovic prägt Serv ette


NICOLA BERGER, GENF


Die Stimme des Stadionsprechers über-
schlägt sich, als sie in der 62. Minute
den GenferFührungstreffer verkündet.
DerTorschütze zum 1:0 gegen den FC
Luzern heisst Miroslav Stevanovic, wie
auch sonst. Seit der Bosnier im Som-
mer 2017 vom damaligenTrainer Meho
Kodro nach Genf gelotst wurde, ist der
Rechtsaussen der wichtigste Einzelspie-
ler imKollektiv des Servette FC, jenes
Aufsteigers, der am Sonntag den sehr
schwachen FCLuzern wie selbstver-
ständlich bezwang. Es hat etwas Ironi-
sches, dass StevanovicdiePartieent-
schied: Der im Februar entlassene
LuzernerTrainerRené Weiler hatte sich
für dessenVerpflichtung starkgemacht.
Stevanovic steht für Elemente, die
in der Hochphase des Klubs während
Jahrzehnten prägend waren: Er befrie-
digt mit seinenAuftritten die Sehnsucht
nach Eleganz und Grazie beim noto-
risch anspruchsvollen Genfer Publi-
kum. In den tristen vierzehnJahren seit
demKonkurs von 2005 gab es eigent-
lich nur einen Spieler, der das Publikum
vergleichbar verzückt hat: der Stürmer
Julian Esteban, der seine Karrierever-
letzungsbedingt mit 26Jahren beenden
musste – und nun nach sechsJahren
beim Promotion-League-Aufsteiger
Etoile Carouge ein Comeback wagt.
Esteban stand einst für die Hoffnung
auf bessere Zeiten, Stevanovic steht
heute für eine Ära desAufbruchs. Der


Trainer Alain Geiger sagt: «Er gehört zu
den zwanzig besten Spielern der Liga.»
Es istkeine Übertreibung, denn Ste-
vanovic schien prädestiniert für eine
glanzvolle Karriere: Mit 23 schloss er sich
dem FC Sevilla an. Doch er fühlte sich in
Spanien isoliert, anders als in Genf, wo
der sensibleKünstler schnell integriert

wurde.Geiger sagt,an Stevanovic nag-
ten noch immer Selbstzweifel.Wenn Ser-
vette verliere, gebe er oft sich selbst die
Schuld, und nach Siegenrede er seine
Verdiensteklein. Er mag sich dieWert-
schätzung im Spiegel verwehren, aber
der Klub tut das nicht: DerVertrag von
Stevanovic wurde zu erhöhten Bezügen
bis 2022 verlängert.Vielleicht auch, weil
seine schüchterne Art zum demütigen
Auftreten des Klubs unter dem Präsi-
denten DidierFischer passt, der wie die
Antithese zu seinen grossspurigenVor-
gängern wirkt. DieFrage ist, wie weit das
Duo Servette tragen kann.Angesichts
des dritten Tabellenplatzes träumt der
Genfer Anhang schon von Europa.

Alles nicht so einfach


Nach dem 2:0 gege n Lugano ist YB schon wieder Leader – aber die Tabellen lage kaschiert Widrigkeiten


BENJAMINSTEFFEN, BERN


Alles sieht wie gewohnt aus – oder zu-
mindest: wie es in den letzten beiden
Jahren zur Super-League-Gewohnheit
geworden war.YB steht an der Spitze,
Basel auf Platz 2.Aber diesen Anschein
von Normalität hat sich YB zum Sai-
sonstart zäh erarbeiten müssen – ein 1:1
gegen Servette, ein 1:0 bei Xamax, am
Sonntag ein 2:0 gegen den FC Lugano.
Und manchmal sah es gar nicht wie
gewohnt aus: wenn sich YB weiter zu-
rückzog als in der letzten Saison, aus
Vorsicht vor dem Luganeser Überfall-
Fussball. Es führte dazu, dass Lugano
etwas mehr Ballbesitz hatte, aber
nur einen Schuss aufsTor verbuchte.
«Matchplan» nennt sich ein taktisches
Vorhaben heute, und genauso habe der
YB-«Matchplan» gelautet, sagte der
Mittelfeldspieler MichelAebischer spä-
ter : «Luganokommen lassen, defensiv
gut stehen,Räume eng machen.»


Ausfall umAusfall


Was bestimmt nicht im «Matchplan»
stand: dass der Moment kam, in dem
sich der YB-Train er Gerardo Seoane
vorkommen musste wie imfalschen
Film. Nachdem schon YB-Spieler um
YB-Spieler gepflegt und dem Captain
Fabian Lustenberger derKopf verbun-
den worden war, liess sich kurz vor der
Pause Marvin Spielmann wegenVer-
dachts auf Gehirnerschütterung aus-
wechseln. Im selbenAugenblickrannte
Lustenberger an die Seitenlinie, der
gelbeTurban warrot angelaufen,Ver-
band-Verstärkung musste her.
Aber so gesehen: alles wie gewohnt
in dieserWoche.Am Freitag infor-
mierte YB über dieAusfälle von Mira-
lem Sulejmaniund GuillaumeHoarau,
am selbenTag brach sich Mohamed Ali
Camara das Schienbein. Am Sonntag
folgte Spielmann, SandroLauper fällt
sowieso mehrere Monate aus, Christian
Fassnacht fehlt derzeit auch–allesamt
potenzielle Leistungsträger.
Diese Probleme passen zur neuen
Saison, in der sich bei YB vieles um Su-
chen undFinden dreht. Der Umbruch ist


vollzogen, die Folgen sind auf demFeld
zu sehen. DieViererabwehr bestand aus
drei neuen Spielern, dasFünfer-Mittel-
feld ebenso.YB verströmt noch nicht
das Selbstverständnis des Meisters,auch
der «Matchplan» mit dieser Prise Zu-
rückhaltung ist ein Indiz dafür.
Aber es ist erneut einTeam, das für
eine Zukunft steht.Acht Spielerder YB-
Startformation waren zwischen 21 und
24 Jahre alt, das zentrale Mittelfeld bil-
detenAebischer (22), Christopher Mar-
tins (22) undVincent Sierro (23). Nicht
alles passte,doch derWille,Verantwor-
tung zu übernehmen, war unüberseh-
bar, eine gewisse Klasse ebenso, etwa
vor dem 1:0 durchJean-Pierre Nsame,
das Sierro und Ulisses Garcia per Dop-

pelpass einleiteten.Das zweiteTor, auch
du rch Nsame, bereiteteAebischer vor.

«Noch nicht so alarmierend»


Das Resultat schenkte dem YB-Coach
Seoane eine gewisse Gelassenheit. Über
di eVerletztenliste sagte er: «Es ist noch
nicht soalarmierend, dass wir morgen
neue Spieler kaufen müssen.» Am ehes-
ten dürfte sichYB nach einem Ersatz für
denInnenverteidiger Camara umsehen.
Gerade mit den Absenzen der Leader
Hoarau und Sulejmani hatYB über
dieJahre einen Umgang lernen müs-
sen. Hoarau fiel bei YB seit 2014 bereits
418Tage aus, Sulejmani fehlte seit2015
schon 325Tage.Aber in der momenta-

nen Neubildung fehlen die beiden noch
mehr, mit ihrerRoutine und ihrem Stolz.
Noch ist unklar, ob Hoarau und
Sulejmani fit werden bis zu den Cham-
pions-League-Play-offs am 20./21. und


  1. /28. August, offiziell geben sich die
    Berner gutenMutes.Am Montag wer-
    den ihnen die möglichen Gegner zuge-
    lost, YB wird auf einen Gewinner der
    folgendenDuelle treffen:Ajax Amster-
    dam -Paok Thessaloniki, Celtic Glas-
    gow - Cluj, Dinamo Zagreb -Ferencva-
    rosBudapest, FCKopenhagen-Roter
    Stern Belgrad. Aber wer auch der Geg-
    ner ist:Alle wissen,dass sich ein «Match-
    plan» mit mehr Unbeschwertheit schrei-
    ben lässt, wenn Hoarau und Sulejmani
    darin vorkommen dürfen.


INSIDE/OFFSIDE


CC und die


Walliser Presse


Samuel Burgener·Der unsägliche Streit
zwischen Christian Constantin und dem
«Nouvelliste» ist mittlerweile älter als
ein Jahr. Der Präsident des FC Sion ver-
bietet denJournalisten der Lokalzeitung
weiter Interviews mit Spielern und den
Zugang zu den Medienplätzen im Sta-
dionTourbillon. Er fühlt sich von den
Kolumnen des ChefredaktorsVincent
Fragnièredesavouiert. DerFall ist ein-
malig in der Geschichte des Schweizer
Fussballs, so wie vieles einmalig ist im
flirrendenKosmos FC Sion.
Im Sommer suchten Constantin und
Fragnière eineLösung. Constantin ver-
langte eine Zeitungsseite proWoche
zur freienVerfügung, verfasst von der
Medienabteilung seines Klubs. Der
«Nouvelliste» lehnte ab, mit Verweis auf
die Pressefreiheit. Presseverbände pro-
testierten,Journalisten zürnten,Verant-
wortliche vonWestschweizerRedaktio-
nen solidarisierten sich in einem Schrei-
ben mit dem «Nouvelliste».
Constantinblieb entspannt. Er ver-
öffentlichte den Briefverkehr mit dem
«Nouvelliste» in den sozialen Netzwer-
ken. Gemäss Constantin handelten die
klar deklarierten Publireportagen von
Themen, über die der «Nouvelliste»
aus finanziellen Gründen nicht berich-
ten wolle oderkönne: dieJunioren des
Klubs, das Frauenteam, dieFans, die Mit-
arbeitenden. Die Meinungsfreiheit des
«Nouvelliste» sei gewährleistet.
So weit der Stand. Doch das Inter-
essanteste an der Geschichte war kaum
irgendwo einThema.Constantin hebelt
im Zug des Streits dieFunktion derWal-
liser Lokalpresse teilweise aus. Im Früh-
jahr engagierte er vom Medienkonzern
TamediaTim Guillemin,einenrenom-
miertenFussballjournalisten. Guillemin
und seinTeam begleiten den FC Sion
seither auf eineWeise, die selten ist bei
den Klubs: journalistisch. Sie produzie-
ren in hoher Kadenz Beiträge fürdie
Website desVereins.Die Spielberichte,
Interviews oder Reportagen erfül-
len journalistische Standards. Die Be-
notungen der Spieler nach den Matches
sind kritisch. DieVorberichterstattung
zum Spiel vom Samstag gegen den FC
Zürich war deutlich umfangreicher und
substanziellerals diejenige im «Nouvel-
liste» oder im«Walliser Boten».
Constantin willkeine PR, wie sie in
denVereinen üblich ist, sondern seriöse
Berichterstattung.Er will, dass seine
Leute davonrapportieren, worüber der
«Nouvelliste» schreiben müsste: vom
Befinden des Ersatzgoalies, vom Schritt-
fehler desVerteidigers,vom Wechsel-
wunsch des Spielmachers, vom Kind-
heitstrauma des Stürmers.
Das Konzept funktioniert, die Klick-
zahlen auf derWebsite haben sich im
Vergleich mit demVorjahr fast verdop-
pelt. Im Herbst lanciert Constantin ein
Klubmagazin, das monatlich erscheint.
Die Web-Präsenz will er ausbauen.
Seine Botschaft ist klar:Wer sich für den
FC Sion interessiert, kann bald auf den
«Nouvelliste» und den«Walliser Boten»
verzichten. Offen bleibt, was Constantin
über sichschreiben lässt, wenn er wie-
der einmal einen Schiedsrichter atta-
ckiert oder einenTV-Experten.

Die Young Boys erleidenden Sieg: DerCaptainFabianLustenberger muss verarztetwerden. ANTHONY ANEX/ KEYSTONE

Frischer Sauerstoff


Basel gewinnt in Thun 3:2 und bestätigt den Aufwärtstrend


BERNHARD BRUNNER, THUN

Vielleicht beschreibt eine Geste des
Trainers MarcelKoller während des
Spiels beim FCThun am eindrücklichs-
ten, was zurzeit im FCBasel geschieht,
worum er und dieVerantwortlichen sich
bemühen. Sie wollen denAufwind nut-
zen, den der Sieg in der Champions-
League-Qualifikation gegen den star-
ken PSV Eindhoven entfacht hat.Jetzt
nur nicht wieder unsanft landen. Nicht
jetzt, nach diesen Monaten der personel-
len Wirren, der strukturellen Krise, dem
Abgang des Sportchefs Marco Streller.
Koller selber war von widerstreben-
den Kräften im Klub erfasst, beinahe
schon entlassen, nun rudert er im gefes-
tigten Status mit beiden Armen an der
Seitenlinie. Und der FCB-Coach deu-
tete sein wildes Gestikulieren während
derPartie gegen den FCThun an der
anschliessenden Pressekonferenz gleich
selber: Es gehe darum, Rhythmus und
Intensität hoch zu halten, dies sei inThun
aber zu wenigkontinuierlich gelungen.
Der FCBasel wirkt nicht so unwider-
stehlich wie invergangenen, glanzvolle-
ren Zeiten. Doch dasWorst-Case-Sze-
nario, auf internationalemParkett wie
in der letztenSaison nichtvertreten zu
sein , hat er mit dem Sieg gegen Eind-
hoven abgewendet. Die Qualifikation
für die Europa-League-Gruppenphase
ist geschafft, in der nächstenQualifika-
tionsrunde für die Champions League
wartet am Mittwoch im St.-Jakob-Park
der LASK aus Linz. Setzt sich der FCB
gegen das österreichischeTeam durch,

steht der Klub nur noch eine–wenn-
gleich schwierige –Runde vor dem Ein-
zug in dieKönigsklasse. Der FCBasel
führt sich gerade wieder Sauerstoff zum
Atmen zu – und zumTräumen.
Koller betonte, wie wichtig es in der
vergangenen Zeit gewesen sei, auf seine
innere Stimme zu hören,sie gegenWi-
derstände zu verteidigen.Vor einer
Woche hatte er seine Startformation
in der verlorenen Heimpartie gegen
St. Gallen imVergleich zum Hinspiel in
Eindhoven auf siebenPositionen ver-
ändert und hinterher zugegeben, dass
es vielleicht der eine oder andereWech-
sel zu viel gewesen sei.
Am Samstag inThun war dieBalance
besser. Koller veränderte seinTeam auf
fünfPositionen imVergleich zumRück-
spiel gegen Eindhoven. Die eingewech-
seltenBalanta und Stocker sicherten mit
ihrer Präsenz im Mittelfeld (Balanta)
und vor demTor (Stocker) vielleicht
sogarden Sieg. Doch es waren auch
Schwächen auszumachen: Der FCB tat
sich schwer damit, in die Gänge zukom-
men. Okafor, Bua und Campo müssen
in der Offensive noch mehrWirbelent-
fachen; dieRoutiniers Zuffi undFrei
starteten träge und brauchten Zeit, um
Einfluss zu gewinnen.
Und so darfKoller zuRecht Kritik-
punkte anführen, um die Dynamik im
Team hoch zu halten.Längst wirkt nicht
alles gefestigt. Dennoch erlebt der FC
Basel dieserTage eine ArtAuferstehung.
Diese verläuft zwar harzig, mitRück-
schlägen, aber auch mit Glanzpunkten.
DochBasels Organismus lebt wieder.

Miroslav Stevanovic
KEYSTONE Spieler Servette

Remis bei Xamax


gegen St.Gallen


(sda)·Xamax ist im Heimspiel gegen
St. Gallen zum zweiten Punktgewinn
im dritten Spiel gekommen. Einmal
mehrkonnten sich die Neuenburger auf
Raphaël Nuzzolo verlassen. Der 36-Jäh-
rige erzielte kurz nach derPause seinen
dritten Saisontreffer.Weil Xamaxnach
dem 1:1 besser ins Spiel kam und sich
die eine oder andere weitereTorchance
erspielte, war der Punkt des Heimteams
verdient. St. Gallen verpasste den Sieg,
weil es dieKontrolle des Spiels nach der
Pause aus der Hand gab.Vor dem Sei-
tenwechsel waren die Ostschweizer das
bessere von zwei schwachenTeams ge-
wesen.VictorRuiz hatte nach gut einer
halben Stunde das 1:0 erzielt.
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