Neue Zürcher Zeitung - 05.08.2019

(Dana P.) #1
32 SPORT Montag, 5. August 2019

Lewis Hamilton gewinnt den Formel-1-GP


von Ungarn – dank einem Schlussfurioso SEITE 29


Die Young Boys gewinnen gegenLugano


und sind Leader der Super League SEITE 31


IM SCHAUFENSTER


Die Fifa tut dem Fussball mit der Aufstockung der Frauen-WM keinen Gefallen


AndreasBabst·Der Fifa-Präsident Gianni Infan-
tino hatte es schon vor einem Monatunmittel-
bar nach derFussball-WM derFrauen angekün-
digt, vergangeneWoche verschickte derWeltver-
band nun eine Mitteilung: DerFifa-Council habe
beschlossen, dieFrauen-WM künftig mit 32Teams
durchzuführen,bish er waren es 24. Es war ein ein-
stimmiger Entscheid, natürlich. Infantino liess sich
in der Mitteilung wie folgt zitieren: «Der erstaun-
liche Erfolg der diesjährigenFrauen-WM inFrank-
reich hat offenbart,dasses Zeit ist, das Momentum
am Laufen zu halten.»
Die diesjährigeFrauen-WM hat in vielenLän-
dern Zuschauerrekorde bei derTV-Übertragung
gebrochen.Vielleicht war es die ersteFrauen-WM,
die in einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen
wurde – selbst wer sich nicht fürFussball interes-
siert,konnte sich ihr nichtkomplett entziehen.Das
lag anFiguren wie der Amerikanerin MeganRapi-
noe,Weltmeisterin, Stürmerin und Aktivistin: Sie
setzt sich gegen DonaldTrump ein und für Gleich-
berechtigung. Figuren wieRapinoe sind ein wohl-

tuendes Gegengewicht zu all den apolitischen, ge-
schl iffenen Männer-Fussballern,sie sorgen dafür,
dass derFrauenfussball an Profil gewinnt.
Das hat auch dieFifa gemerkt. DerWeltverband
versucht,sein Image mithilfe desFrauenfussballs
zu verbessern.Frauenfussball soll gefördert wer-
den. Es soll bald eine Klub-WM geben.Auch stellt
Infantino mindestens eineVerdoppelung des WM-
Preisgeldes inAussicht, das hat er amWochenende
noch einmal bekräftigt. Neu sollen also mindestens
60 Millionen Dollar Preisgeld ausgeschüttet werden


  • bei den Männern sind es 400 Millionen Dollar.
    Es ist grundsätzlich erfreulich, dass sich dieFifa
    für denFrauenfussball einsetzt,vor allem, dass sie
    das Preisgeld erhöhen will. Aber wenn dieFifa för-
    dert, dannkennt sie offenbar nureine Strategie:
    mehr von allem. MehrTurniere, mehr Geld, mehr
    Teams.Wie schon bei den Männern soll jetzt also
    die WM derFrauen aufgestockt werden. Die Argu-
    mentation derFifa: Wenn mehrTeams amTur-
    nier teilnehmenkönnen, werden mehrLänder den
    Frauenfussball fördern, weil für sie eine WM-Teil-


nahmerealistisch ist. DieVergrösserung ist eine
gute Nachricht für die SchweizerFussballerinnen,
die zuletzt drohten, den Anschluss zu verlieren. Sie
dürften an der nächstenAustragung 2023 wieder
mit dabei sein.
Aber ist dieVergrösserung eine gute Nachricht
für denFrauenfussball? Eher nicht.
Die WM inFrankreich lebte nicht nur vonFigu-
ren wieRapinoe, sie lebte auch von attraktiven Spie-
len .Vorbei schien die Zeit, als derFrauen- ständig
mit dem Männerfussball verglichen wurde, weil
immer wiederseltsameFehler passierten. Frauen-
fussball hat nicht nur neben demRasen, sondern
auch auf demFeld seinen eigenen Charme, er ist
technisch, überraschend, es fallen wunderbareTore


  • an der WM gab es all das zu sehen.Vorbei schienen
    Diskussionen umTorhüterinnen, die einfacheBälle
    durchrutschen liessen, vorbei schien die Zeit der
    kuriosenPässe ins Nichts. Die weltbestenTeams im
    Frauenfussball sind zusammengerückt, das Niveau
    an der WM ist immerbesser geworden. Mit der Er-
    höhung auf 32Teams droht es verwässert zu werden.


Erst 2015 wurde die WM um 8Teams auf 24 ver-
grössert. In derVorrunde gewann damals Deutsch-
land gegen Côte d’Ivoire 10:0 .Auch in diesem Som-
mer besiegten die USAdie Thailänderinnen 13:0.
Das zeigt, dass es unter den Teams selbst bei 24Teil-
nehmern noch eklatante Unterschiede gibt. Es wird
bis 2023 nicht 32konkurrenzfähigeTeamsgeben.
Das schmälert die Attraktivität desTurniers.
Ausserdem stellt dieFifa die potenziellenAus-
richter vor Probleme. NeunLänder haben sich um
dieAustragung 2023 beworben, so viele wie noch
nie: Argentinien,Australien, Brasilien, Bolivien,
Kolumbien,Japan, Neuseeland, Südafrika und
Südkorea (allenfalls zusammen mit Nordkorea).
Alle Bewerber müssen sich nun bis Dezember
entscheiden, ob sie die WM auch mit 32Teams
durchführen wollen. Im Mai 2020 soll der Gast-
geber bestimmt werden.Viele der Bewerber sind
Frauenfussball-Entwicklungsländer. Sollten sie
ihre Bewerbungen zurückziehen, hätte dieFifa
auch der Entwicklung desFrauenfussballskeinen
Gefallen getan.

Wer sind wir?


Die schwer erklärbare Nieder lage in Sitten spiegelt di e Verunsiche rung im FC Zürich – und korrigiert fürs Erste dessen Selbstbild


SAMUEL BURGENER, SITTEN


Die Saison 2019/20 in der Schwei-
zer Super League ist gut zweiWochen
und exakt dreiRunden alt, und der FC
Zürich muss sich schon wieder fragen,
wer er eigentlich ist und wohin er will.
Vor der Saison hatte der Präsident
Ancillo Canepa wiederholt gesagt, der
FC Zürich sei ein Spitzenvereinund
wolle die europäischen Plätze anvisie-
ren. Nach dem 1:3 am Samstagabend
im Tourbillon in Sitten darbt der FCZ
am Tabellenende. In drei Spielen hat er
einen einzigen Punkt gewonnen, ein ein-
ziges Goal erzielt. Spitzenklub? Europa-
cup?Tabellenletzter?Wo in dieser Skala
liegt dieWahrheit?
Der FC Zürich verlor in Sitten einen
Match, von dem derTrainer Ludovic
Magnin im Anschluss sagte: «Ich habe
jetzt drei Stunden Zeit, darüber nach-
zudenken, wie wir dieses Spiel verlieren
konnten.» Magnin meinte die Busfahrt,
die quälend lang gewesen sein muss. In
der 70. Spielminute hätte der FCZ den
Match entscheidenkönnen, doch Ben-
jaminKololli verschoss einenPenalty.
Als der SittenerAyoub Abdellaoui just
danach desFeldes verwiesen wurde, bot
sich dem FCZ die nächste Chance. Doch
er scheiterte wieder, wurde erdrückt
vomAufbäumen des FC Sion und den
zweiToren Pajtim Kasamis.
Der FCZ-SportchefThomas Bickel
sagte nach dem Match: «Ichhabe in der
ersten Halbzeit viele gute Sachen ge-
sehen.Ballbesitz, Pressing, Steilpässe.
Aber uns fehlt dieBasis. Uns fehlen Dis-
ziplin,Konzentration, Souveränität.»


Wo waren die Führungsspieler?


Wie sehr dem FCZ in der Schluss-
phase Umsicht undRuhe abgingen, war
eklatant.Da fehlte ein Spieler, der das
Team mit auratischer Präsenz, natür-
licherAutorität und starkerKommu-
nikation hätte mahnen und antreiben
können. Der den urplötzlichen Sitte-
ner Aufschwung mit einemFoul, einem
Ballwegschlagen oder einem taktischen
Geplänkel hätte ersticken können. Und
der dasTeam schliesslichzueinemSieg
gegen die dezimiertenWalliser hätte
führenkönnen.
«Ab und zu fehlte esan Leadership»,
hatte derFCZ-Präsident Canepavor der
Saison gesagt. Deshalb habe man bei der
Kaderzusammenstellung eine Achse
mit erfahrenenFührungsspielern bilden


wollen.Aufdie Frage,obder FC Zürich
ausschliesslichTopspieler und Leader
verpflichtet habe,sagte Canepa in einem
Interview mit der NZZ: «Absolut.Das
war dieVorgabe.» Doch dieWahrheit ist
eine andere, mindestens vorläufig.
Der FC Zürich wirkt noch immer wie
ein Kollektiv mit sehr flacher Hierar-
chie, wie ein fragiles Bündnis von durch-
aus begabtenFussballern. Als Captain
steht der GoalieYanick Brecher in der

Verantwortung. Er verharrt weiter im
Durchschnitt und war seinemTeam
gegen Sittenkeine Hilfe. Und: Die Gel-
tung der neuen Spieler, dieser«Topspie-
ler und Leader», ist gering.
DenisPopovic soll der neueKoor-
dinator im Mittelfeld sein. Bickel sagte
vor der Saison, man habe bewusst einen
«ballsicheren und strategischen» Spieler
verpflichtet.«Wir wolltenkeinen Abräu-
mer à la Gennaro Gattuso.»Gattuso war

mit derACMil an italienischer Meister
und Champions-League-Sieger und mit
dem italienischen NationalteamWelt-
meister. Popovic hingegen sucht seine
Form und die Anbindung ansTeam. Er
sagte nach dem Spiel in Sitten, er sei bei
«70 oder 80 Prozent».
Der Stürmer Blaz Kramerspielte zu-
letzt bei denReserven vonWolfsburg.
Er verstolperte in Sitten mehrmals den
Ball und blieb stets an den gegneri-

schen Abwehrspielern hängen. Anzahl
Torchancen: null. DerAussenverteidiger
Willie Britto kam im Sommer aus Abi-
djan in die Schweiz; der FC Zürich ist
seine erste Station in Europa. Gegen Sit-
ten blieb er in der Offensive wirkungs-
los, und vor dem 3:1 durch Kasami miss-
riet ihm eine Grätsche. Der Offensiv-
spieler Mimoun Mahi schoss zwar das
erste Saisontor des FCZ, hatte sonst
aber kaum gute Aktionen. Und der
Verteidiger Nathan, der mit einerVer-
letzung von GC zum FC Zürich stiess,
ist erneut angeschlagen.

Bereits unterDruck


All diese Spieler brauchen Zeit für die
Adaption an dasLand, die Stadt, den
Klub, die Teamkollegen, den Schweizer
Fussball. DerTrainer Magnin braucht
Zeit, um ihre Stärken zuerkennen. Und
der FC Zürich als Ganzes braucht Zeit,
sich zu finden. Es ist verwunderlich,
dass sich die Klubführung diese Zeit
rhetorisch nicht ausbedungen, dass sie
vor der Saison so offensivkommuni-
ziert hat. Nach drei Spielen ist bereits
eine erhebliche Diskrepanz zwischen
dem verlauteten Selbstbild des FC
Zürich und derWirklichkeit entstan-
den. Es ist die Geschichte der missrate-
nen vergangenen Saison, dass sich der
FCZ unaufhörlich besser machte, als er
eigentlich war.
Der Sportchef Bickel sagte in Sitten:
«Wenn man ein gutes Gefühl hat, darf
man das sagen. Aberich bin tendenziell
immer zurückhaltend.Wie unser Präsi-
dentkommuniziert, muss er entschei-
den .» Und derTrainer Magnin sagte:
«Wenn wir weiterFussball spielen, wer-
den wir punkten.»
Nun folgen für den FC Zürich die
Heimspiele gegen Xamax und St. Gal-
len. Dann muss er auswärts gegen den
MeisterYBantreten. Der FCZ ist, wie
im Fussball gesagt wird, unter Druck.

DerFCZ wollte keinenAbräumer wie GennaroGattuso–und hat nunDenis Popovic. SALVATORE DINOLFI/ KEYSTONE

SuperLeague, 3.Runde
Samstag Sonntag
Sitten - Zürich 3:1 YB - Lugano 2:0
Thun - Basel 2:3 Servette - Luzern 1:0
Xamax - St. Gallen 1:1


  1. YB 3/7 6. Sitten 3/4

  2. Basel 3/6 7. St. Gallen 3/4

  3. Servette 3/5 8. Thun 2/2

  4. Lugano 3/4 9. Xamax 2/2

  5. Luzern 3/4 10. Zürich 2/1

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