Neue Zürcher Zeitung - 05.08.2019

(Dana P.) #1

Montag, 5. August 2019 INTERNATIONAL


Eine Art Kalaschnikow der Lüfte


Einst hatten reguläre Streitkräfte das Monopolauf Drohnen, heute setzen auch Akteure wie die Huthi-Rebellen auf diese Waffe


INGAROGG, ISTANBUL


Es sollte eine Demonstration der Stärke
sein : Kommandanten der jemenitischen
Armeeliessen imJanuar rund 80 00
Soldaten zu einer Militärparade auf-
marschieren. Die Gefahr eines Angriffs
durch die gegnerischen Huthi-Rebel-
len schien gering, fand dieParade doch
auf einem Luftwaffenstützpunkt nahe
der HafenstadtAden statt, in sicherer
Entfernung von derFrontlinie.Auf der
Ehrentribüne sassen der Generalstabs-
chef,zahlreiche Mitglieder des Geheim-
dienstes und örtlichePolitprominenz.
Der Aufmarsch auf der Luftwaffen-
basis al-Anad hatte nach Angaben von
Augenzeugen gerade begonnen, als am
Himmel plötzlich eine unbemannte
Drohne auftauchte und direkt über der
überdachten VIP-Tribüne explodierte.
Der Anschlag forderte mindestens sie-
ben Tote, unter ihnen der stellvertre-
tende Generalstabschef und der Ge-
heimdienstchef,die später ihren schwe-
ren Verletzungen erlagen.


Im Arsenalvon Extremisten


Der Einsatz von Drohnengehört seit lan-
gem zum Kriegsalltag inJemen.Als Ers-
tes setzte das amerikanische Militär eine
Drohneein , als es 2002 ein Führungsmit-
glied der jemenitischen Kaida tötete. Seit
2010 haben sowohl die US-Armee wie
die CIA Hunderte von Drohnenangrif-
fen geflogen, die sich gegen die Kaida-
Führung richteten. Die Praxis ist um-
stritten, weil die Angriffe immer wieder
Tote unter der Zivilbevölkerung fordern.
Mittlerweile ist aber auch die von Saudi-
arabien und denVereinigten Arabischen
Emiraten angeführte Militärkoalition
gegen die Huthi dazu übergegangen. Im
April tötete ein Drohnenangriff der Emi-
rate nahe der Hafenstadt Hudeida den
Chef des politischen Arms derRebellen.
Lange Zeit hattenreguläre Streit-
kräfte das Monopol auf Drohnen.Das
hat sich in denletzt en Jahren jedochra-
dikal geändert. Inzwischen gehört die
Waffe auch zum Arsenal vonAufstän-
dischen und Extremisten aller Couleur.
Sowohl die palästinensische Hamas wie
der libanesische Hizbullah besitzen sie,
aber auch dieRebellen und Extremisten
in Syrien und im Irak oder die Drogen-
kartelle in Südamerika. In den meisten
Fällen verwenden die nichtstaatlichen
Akteure Drohnen, die für zivile Zwe-
cke hergestellt werden und die sie mit
Sprengsätzen zu Minibomben umbauen.
In Syrien griffen Kämpfer aus dem
Umfeld derKaida wiederholt einen
russischen Militärstützpunkt mit sol-
chenWaffen an. Ab Ende 2016 be-
nutzten sie die Extremisten des IS im
Irak und inSyrien. Den Höhepunkter-
reichte der Drohneneinsatz durch den
IS imFrühjahr 2017, als es den Kämp-
fern zeitweise gelang, den Angriff der
irakischenTruppen auf ihre dama-
lige Hochburg Mosul zu stoppen. Laut
einer Studie der amerikanischen Mili-
tärakademieWest Point verübte der IS
in dieser Zeit monatlich zwischen 60
und mehr als 100Drohnenbomben-An-
griffe auf seine Gegner.


Nach Erkenntnissen von Militär-
experten war der Angriff auf dieParade
in al-Anad,den die Huthi als gros-
sen Triumph feierten, die erste gezielte
Tötung mit einer Drohne durchAufstä n-
dische. Die Huthi sind auch die erste
Rebellengruppe, die zu Drohnenangrif-
fen weit ausserhalb des eigentlichen
Kampfgebiets auf gegnerischesTerrito-
rium in derLage ist.Dabei haben sie in
Hunderten von Kilometern Entfernung
sowohl Ziele in Saudiarabien wie in den
Emiraten bombardiert. Die Huthi nen-
nen die Drohnen ihre Luftwaffe. Das
klingt überzogen,da d en Luftraum über
Jemen klar das saudisch-emiratische
Militärbündnis beherrscht. Und selbst
die besten Drohnentypen derRebellen
lassen sich nicht mit der hochentwickel-
tenTechnologie aus amerikanischer und
chinesischer Produktion vergleichen,
über die Riad und Abu Dhabi verfügen.
Eher sind die Drohnen eine Art
Kalaschnikow der Lüfte – eine All-
zweckwaffe, mit derRebellen ihre mili-
tär isch überlegenen Gegner in Not brin-
gen. Experten sprechen dabei von der
Waffe der Zukunft in asymmetrischen
Kriegen. Dem IS sei es in Mosul zeit-
weise gelungen, die Luftüberlegenheit

der Amerikaner mit «Killerbienen» –
das sind Schwärme von selbstgebauten
kleinen,mit Sprengstoff gefüllten Droh-
nen – zu unterlaufen, heisst es im Be-
richt vonWest Point.

Drohnenmit grosser Reichweite


Die Huthi führen in ihren Beständen so-
wohlkommerzielle Drohnen, die teil-
weise für unter 50Franken erhältlich sind,
als auch Militärdrohnen. Bereits kurz
nach Beginn der saudisch-emiratischen
Militärintervention im März 2015 began-
nen sie, mit Billigdrohnen ihre Gegner
auszukundschaften. Seit Ende 2016 set-
zen sie aber auch Drohnen für Angriffe
auf die gegnerischenTruppen ein.
Nach eigenen Angaben stellen die
Huthi vierverschiedeneTypen von Mili-
tärdrohnen her, die wichtigstedavon ist
die «Kasef-1», eine sogenannte Kami-
kaze-Drohne, die lautWaffenexperten
auf der iranischen «Ababil-T» basiert.
Iran bestreitet, Drohnen und andere
Waffen an die Huthi zu liefern. Die un-
abhängige britische Organisation Con-
flict ArmamentResearch wies jedoch
nach , dassmehrere «Kasef-1», die im
Oktober 2016 von den Emiraten ab-
gefangen worden waren, aus iranischer
Produktion stammten. DieDrohnen
stimmten nicht nur im Design mit der
iranischen «Ababil-T» überein, heisst
es, sondern ihre Seriennummern hätten
auch identische Präfixe gehabt.
Lange Zeit waren ballistischeRake-
ten die wichtigsteWaffe der Huthi für
Angriffe inSaudiar abien sowie auf den
Schiffsverkehr am Golf.Vor rund zwei
Jahren kamen dann auch die Drohnen
zum Einsatz. Mitte Mai bombardier-
ten sie eine saudische Ölpipeline mit
sieben Drohnen und legten diese zeit-
weise lahm. Seitdem haben dieRebel-
len mindestens drei ähnliche Angriffe
auf den saudischen Militärflughafen
Najran verübt.Die Bombardierung der
Ölpipeline sei dieVergeltung für die
Aggression derKoalition, twitterte ein
Sprecher der Huthi.Wenige Tage später
drohte die Miliz mit einer Militäropera-
tion gegen 299 strategische Einrichtun-
gen in Saudiarabien und den Emiraten.

Während die Drohneneinsätze auf
dem jemenitischen Schlachtfeld für
Angst unter den Gegnern sorgen,haben
sie wegen ihrer kurzen Reichweite kaum
Einfluss auf den eigentlichen Kriegsver-
lauf.Die Angriffe auf saudische Erdöl-
einrichtungen markieren dagegen einen
Wendepunkt.Die Drohnen flogen meh-
rere hundert Kilometer, bevor sieauf
zwei Pumpstationen explodierten. Zur
gleichen Zeit verstärken sich am Golf
die Spannungen zwischenWashington
und Teheran.Wenige Tage zuvor hat-
ten Unbekannte vier Öltanker vor der
Küste der Emirate mit Haftminen atta-
ckiert. In beidenFällen machten die
Amerikaner Iran verantwortlich.
Haben die Huthi ihre Drohnen und
ballistischenRaketen bis vor dreiJah-
ren noch aus demAusland insLand
geschmuggelt, insbesondere aus Iran,
stellen sie diese inzwischen selbst her.
Nach Erkenntnissen von Uno-Exper-
ten importieren sie zunehmend hoch-
wertigeKomponenten wie Motoren
und Leitsysteme, um Drohnen mit grös-
sererReichweite zu produzieren. Dabei
wies die Uno ebenfalls auf die Ähnlich-
keiten zwischen der «Kasef-1» und der
iranischen «Ababil-T»hin.ImApril und
im Mai2018 attackierten die Huthi mit
diesem Drohnentyp den zivilen Flug-
hafenim saudischen Abha. Nach eige-
nen Angaben griffen sie zwischenApril
und August 2018 zud em eineRaffinerie
des saudischen Erdölkonzerns Aramco
in Jizansowie Flughäfen in Abu Dhabi
und Dubai an. «Das jemenitischeVolk»
werde Aramco neutralisieren», tönte es
von Mohammed Ali al-Huthi, der poli-
tischeKopf derRebellen.«Wirarbeiten
daran, denFeind auszutrocknen.»
Davon sind die Huthi zwarweit ent-
fernt. 2018 registrierten die Uno-Exper-
ten jedoch erstmals den Einsatz eines
neuen Drohnentyps, den dieRebellen
«Samad-2» und «Samad-3» nennen.Der
Gefechtskopf kann mit18 Kilogramm
Sprengstoff und Metallkugeln bestückt
werden, was diese Drohne gefähr-
licher macht als denTyp «Kasef». Fünf
«Samad»-Drohnen, die Uno-Experten
inspizierten, waren mit starken deut-
schen beziehungsweise chinesischen

Motoren ausgestattet.Je nachWindver-
hältnissenkönnten sie eineReichweite
von 1200 bis1500Kilometern erreichen.
Das würde zu den Angriffen auf die
Pumpstationen passen.Damit könnten
die Huthi aber auch die Flughäfen in
Abu Dhabi undDubai treffen. Obwohl
die Rebellen behaupten,die Drohnen in
Eigenregie herzustellen,gehen die meis-
ten Analysten davon aus, dass sie Hilfe
aus Teheran erhalten.Beweise gibtes
dafür nicht.Es passt jedoch zur Strate-
gie Teherans, seineVerbündeten in der
Region in dieLage zu versetzen,Waf-
fen lokal zu produzieren.Damit schafft
IransFührung eine Grauzone, die es
ihr erlaubt, sich von den Angriffen zu
distanzieren und einen offenenKonflikt
mit ihrenregionalenKonkurrenten oder
gar den Amerikanern zu vermeiden.

Risiko fürden Schiffsverkehr


Bereits im Sommer 2018 warn te die
Uno vor einem erhöhten Risiko für den
zivilen Schiffsverkehr in der Strasse von
Hormuz und am Golf vonAden. Zwar
habe die Zahl der Angriffe imVergleich
zumVorjahr nicht zugenommen, die
Huthi verwendeten jedoch vermehrt
ausgeklügelteWaffensysteme für Atta-
cken auf saudische Öltanker. Dabei setz-
ten sie neben Seezielflugkörpern auch
auf Booten montierte Kamikaze-Droh-
nen ein. Die Saudi und Emiratireagie-
ren darauf zumeist mit der Bombardie-
rung von Zielen inJemen, die vor allem
Opfer unter der Zivilbevölkerung for-
dern. Statt dass die Huthi in die Knie ge-
zwungen werden, haben sie ihr Arsenal
ausgebaut,und das, obwohl sämtliche
Grenzen von ihren Gegnernkontrol-
liert werden.Dabei sollten die jüngsten
Drohnenentwicklungen dem Bündnis
eineWarnung davor sein,dass es in dem
Konfliktkeine militärische Lösung gibt.
Denn dass auch die Huthi zukomple-
xen Militäroperationen in derLage sind,
demonstrierten sie Ende vergangene
Woche mit einemRaketen- und Droh-
nenangriff. Erneut traf es eine Militär-
parade,diesmal in der HafenstadtAden.
Der Angriff forderte mindestens vierzig
Tote undDutzende vonVerletzten.

EinAnwohner inspiziertdieTrümmer einer Drohne,welche Huthi-Kämpfernahe der Stadt Saada abgeschossen haben. NAIF RAHMA / REUTERS

SAUDIARABIEN

ERITREA JEMEN

DJIBBBBBBBOUTI

SUDAN

ÄTHIOPIEN

OMAN

SOMALIA

400Kilometer
QUELLE:UNO, FINAL REPORT OF THE PANEL OF EXPERTS ON YEMEN NZZ Ausland/Dst.

Ungefähre Angriffsziele

Djibouti

Asmara Hudeida

Aden

AttackenimGolf von Aden
Die meisten Zwischenfälle gab es 2018 vor der Küste von Hudeida
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