Neue Zürcher Zeitung - 05.08.2019

(Dana P.) #1
Montag, 5. August 2019 SCHWEIZ 9

Das Wandbild am neuen Bundesbriefarchiv bringt 1935 die


Gemüter konservativer Innerschweizer in Wallung SEITE 10


Kaspar Villiger würdigt Annemarie Huber-Hotz als


Bundeskanzlerin, die ihre Überzeugungen vorleb teSEITE 10


Bald kommt der Garteninspektor


Bei der Bekämpfung invasiver Neophyten will der Bund auch private Grundstückbesitzer in die Pflicht nehmen


Die Verwaltung bereitet eine


Offensive gegen invasive


gebietsfremde Pflanzen vor.


Im Visier hat sie vor allem


gefährliche Eindringlinge, aber


auch beliebte Zierpflanzen und


Sträucher wie der Kirschlorbeer.


HELMUTSTALDER


Ihre Namen klingen harmlos, bedroh-
lich oder kurios:Aufrechte Ambrosia,
Kanadische Goldrute, NuttallsWasser-
pest, Drüsiges Springkraut, Nadelkraut,
Essigbaum,Ries enbärenklau. Es sind
eingeschleppte oder eingeführte, fremde
Pflanzenarten, die sichrasch verbreiten
und die einheimische Flora verdrängen,
die Landwirtschaft schädigen oder gar
Menschen gefährdenkönnen.
Rund einDutzend dieser invasiven
Neophyten sind seit längerem verbo-
ten und werden aktiv bekämpft. Aber
die Liste der unerwünschten Eindring-
linge,die aus Sicht derFachleute ge-
fährlich sind,ist bedeutend länger. Laut
dem Bund sind von den rund 360 ge-
bietsf remden Pflanzenarten, die sich in
der Schweiz etabliert haben, rund 100
problematisch.


Arsenal neuer Bestimmungen


DeshalbhatderBundeinenationaleOf-
fensivegestartet.Das geltende Umwelt-
schutzgesetz sei lückenhaft, die Präven-
tions- und Bekämpfungsmassnahmen
seien unvollständig und nicht verbind-
lich genug, heisst es zur Begründung.
Ein Arsenal von neuen Bestimmungen
zu Verhütung,Überwachung und Be-
kämpfungvoninvasivengebietsfremden
Tier- und Pflanzenarten ist bis Anfang
September in derVernehmlassung.Sie
reichen vonKontrollen an derLandes-
grenze über Massnahmen gegen dieVer-
breitung bis zur Pflicht,solcheTiere und
Gewächsezumeldenundzubekämpfen.
Eine Bestimmung hat es besonders in
sich: Neu soll auch ausserhalb der land-
wirtschaftlichen Flächen und derWald-
gebiete ein strenger Schutz durchgesetzt
werden.Private Grundstückinhaber sol-
lendeshalb zur Bekämpfungverpflich-
tet werdenkönnen. Der Kampf gegen
die Eindringlinge wäreohne Zugriff
auf die Privatgrundstücke «wenig sinn-
voll und ineffizient, da sich die Arten
an Orten, wo sie nicht bekämpft wer-
den, wiederrasch ausbreiten und Ge-
biete befallenkönnen, in denen sie be-
reits bekämpft worden sind», heisst es
in den Erläuterungen zur Gesetzes-
revision. Die neue Grundlage sei nötig
«wegen der damit einhergehenden Be-
schränkung der Eigentumsgarantie und
wegen der gewichtigen neuen Pflichten
für die betroff enen Grundeigentümerin-
nen und Grundeigentümer».
Neu lautet die Bestimmung:«Inhabe-
rinnen und Inhaber von Grundstücken,
Anlagen und Gegenständen, die von in-
vasiven gebietsfremden Organismen be-
fal len sind oder befallen seinkönnten,
haben deren Überwachung, Isolierung,
Behandlung oderVernichtung in Zu-
sammenarbeit mit den zuständigen Be-
hördenvorzunehmenoder diese Mass-
nahmenzu dulden.» Als Inhaber gelten
dabei nicht nur die Eigentümer,sondern
auchPächter, Baurechtsnehmer, Bewirt-
schafterund Mieter,die für ihreParzel-
len, Gärten, Schrebergärten undBal-
kone ebenfalls dazu verpflichtet wer-
den, unerwünschte Pflanzen auszureis-
sen oder einzudämmen.


AmtlicheVerfügung


Für denVollzug sind die entsprechen-
den Fachstellen der Kantone zustän-
dig. Bisherkonnten sie lediglich mit


Beratung und Broschüren auf private
Grundbesitzer einwirken. Mit den
neuen Gesetzesartikeln erhalten sie
Durchgriffsmöglichkeiten. «Wenn sie
gewisse invasive Neophyten feststel-
len, kann es sein, dass die Behörden
mit einerVerfügung an die säumigen
Grundeigentümer gelangen, die diese
zu entsprechenden Massnahmen ver-
pflichtet», erläutert Gian-RetoWalther
von der AbteilungArten, Ökosysteme
und Landschaften im Bundesamt für
Umwelt (Bafu).
Oder es kann sein, dass die Behör-
den Fachleute schicken, um den Ge-
wächsen im Privatgarten fachgerecht
den Garaus zu machen, falls es im Um-
gangFachwissen oder Sicherheitsvor-
kehrungen braucht. Beim Riesenbären-
klau beispielsweise muss lautWalther
die Wurzel mit dem Spaten 20 Zenti-
meter tief im Boden abgestochen wer-

den, damit er nicht wieder ausschlägt.
Und der Pflanzensaft kann bei Sonnen-
einstrahlung auf der Haut zuVerbren-
nungen und Blasen führen.«Die Grund-
eigentümerkönnen zur zukünftigen Be-
kämpfung verpflichtet werden.Aber bei
allen Massnahmen sollen immerAugen-
mass ,Verhältnismässigkeit und Zumut-
barkeit für den Grundeigentümer ge-
wahrt bleiben», betontWalther.

Abstufung nach Gefährlichkeit


Welche Problempflanzen wieradikal
angepacktwerden, steht noch nicht ab-
schliessend fest. Der Bund sieht ein Stu-
fenmodell vor, in dem sie je nach Schäd-
lichkeit undVerbreitung eingeteilt wer-
den. «Dieses Stufenkonzept erlaubt es,
die artspezifischen und verhältnismäs-
sigen Bekämpfungsmassnahmen zu er-
greifen»,sagt Walther.

Als Basis dienen die heutige«Black
List» und die«Watch-List» des nationa-
len Daten- und Informationszentrums
Info Flora und Untersuchungen des
Bundes zu gebietsfremden Arten und
ihrer Bedrohung. Zur Stufe D1 gehören
voraussichtlich bereits heute verbotene
Arten wie die gefürchteteAmbrosia und
weitere, die eine grosse Gefährdung für
Mensch,Tier und Umwelt darstellen.
Einfuhr,Verbreitung und jeglicher Um-
gang mit ihnen sind verboten. Es gel-
ten eine Einfuhrkontrolle, eine Melde-
pflicht und für Behörden und Private
eine Pflicht zurTilgung.
Zur Stufe D2 sollen gefährliche Ar-
ten zählen, bei denen dieAusrottung
nicht möglich oder zu aufwendig ist wie
bei den Asiatischen Staudenknöteri-
chen und der Goldrute. Ziel ist hier, die
Verbreitungeinzudämmen. In Stufe C
werden Arten eingeteilt, die Schaden

anrichten und sich dynamisch ausbrei-
ten, wie das Drüsige Springkraut. Bei
diesen geht es darum, ein Übergreifen
auf besonders empfindliche Lebens-
räume zu verhindern.
Bei allen Gewächsen der Stufen D
und Ckommt auf die Privaten eine
Unterhaltspflicht zu: Sie müssen die
Versamung verhindern und diePflan-
zen so behandeln, dass sie nicht auf
Nachbarflächenausgreifen. DieKan-
tonekontrollieren, ob die Grundstück-
inhaberder Pflichtnachkommen.Falls
nicht,läss t der Kanton die Massnahmen
auf Kosten des Inhabers durchführen.
Im Visier des Bundes ist aber noch
eine ganzeReihe weiterer Arten. Zu
den invasiven Neophyten zählen näm-
lich auch zahlreiche beliebte Zierpflan-
zen, Gartensträucher und Schmuck-
bäume, etwa dieFalsche Akazie (Robi-
nie), der Götterbaum, der Sommer-
flieder, die Hanfpalme, der Weisse
Hartriegel,das Berufskraut, dasJapa-
nische Geissblatt, die Schneebeere und
der Kirschlorbeer, der in jedem zweiten
Garten steht.
WennVögel dessen Samenverschlep-
pen, besiedelt er gerneWaldränder, He-
cken und Lichtungen, bildet Dickichte
und verdrängt die einheimischeWald-
vegetation. Solche Problempflanzen
landen auf der StufeB. Sie verursa-
chen geringe bis mässige Schäden, die
laut dem Bund durch «vorschrifts- und
anweisungsmässigen Umgang» verhin-
dert werdenkönnen. Hier gelten Sorg-
faltspflicht und Selbstverantwortung.
Das heisst: Gartencenter sollen solche
Gewächse nur mitWarnhinweisen und
Instruktionen verkaufen und Garten-
besitzer sie so behandeln, dass sie sich
nicht vermehren.

Bis zudrei Jahre Gefängnis


Der Gesetzesentwurf, der nicht nur
für invasive Neophyten, sondern auch
für invasive gebietsfremde Tierarten
wie den gefrässigen Amerikanischen
Ochsenfrosch oder die Rotwangen-
Schmuckschildkröte gilt,sieht eine hohe
St rafandrohung vor:Werdie Vorschrif-
ten vorsätzlich verletzt, kann mit einer
Busse oder bis zu dreiJahren Gefängnis
bestraft werden.
Der Strafrahmen ist laut Bund des-
halb so hoch, weil ein falscher Umgang
mit den Invasoren schwerwiegende und
irreparable Schädigungen der Umwelt
und immense Kosten nach sich zie-
hen kann.Dabei geht es vor allem um
Risikoorganismen oder gentechnisch
veränderte Organismen. Aber auch
Täter, die absichtlich invasive fremde
Pflanzen undTierarten einschmuggeln
oder über das Internet oder auf ande-
remWeg inVerkehr bringen und sie be-
wusst in der Natur freisetzen,sollen hart
bestraft werdenkönnen.

Die Aufrechte Ambrosia,auchAufrechtesTraubenkraut ge-
nannt, ist eine aus Nordamerika eingeschleppte, leichtver-
wilderndeRuderalpflanze. Sie produziert grosse Mengen
Pollen, die starke Allergien auslösenkönnen. IhreAusbrei-
tung ist eine Gefahr für die Gesundheit derBevölkerung. Sie
gehört gemäss derFreisetzungsverordnung zu denverbote-
nen Pflanzen und wird in die Stufe D1 eingeteilt.Wer sie
nicht bekämpft oder sie gar aktiv in denVerkehr bringt,
macht sich strafbar. Ziel ist dieAusrottung.

Die Kanadische Goldrutewurde als Zier- und Bienenpflan-
ze aus Nordamerika eingeführt. Die Staudeverwildert leicht
und bildet über unterirdische Kriechsprossen dominanteBe-
stände,welche die einheimische Floraverdrängen. Sie zählt
ebenfalls zu denverbotenen Pflanzen.Weil sie jedoch insbe-
sondere anBahndämmen bereitsweit verbreitet ist und ihre
Bekämpfungwenig aussichtsreich ist, wird sie in die Stufe
D2 eingeteilt. Ziel ist die Eindämmung.Wer sie im Garten
zieht, macht si ch strafbar.

Das Drüsige Springkraut,auch Indisches Springkraut ge-
nannt, wurde als Zier- und Bienenpflanze aus dem Himalaja
eingeführt. Es bildet flächige, dichteBestände,welche die ein-
heimischeVegetation bedrängen.Auch diese Pflanze istver-
boten. Sie wird in die Stufe C eingeteilt. Gartenbesitzer soll-
ten sie ausreissen.Wegen der langlebigen Samen darf man
sie nicht im Gartenkompostieren, sondern soll sie in eine
Kompostier-, Vergärungs- oderVerbrennungsanlage geben.

Der Kirschlorbeerstammt aus Kleinasien, wurde als Zier-
pflanze eingeführt und gehört zu den beliebtesten Pflanzen
in Gärten undPärken. DerwärmeliebendeBaum breitet sich
rasant aus und gedeiht anschattigenwie sonnigen Orten. Er
wird in die Stufe B eingeteilt. DerVerkauf bleibt erlaubt. Gar-
tenbesitzer müssen jedoch dieVerbreitung unterbinden, in-
dem sie die Hecken vor derVersamung schneiden, dieBee-
ren fachgerecht entsorgen undJungpflanzenausreissen.

Jeder ein


Neophyten-Detektiv


st.·Die Bevölkerung soll im Kampf
gegen die invasiven Neophyten mit-
helfen.Damit auchLaien sie aufspü-
renkönnen,bietet das nationaleDaten-
und Informationszentrum der Schwei-
zer Flora verschiedene Hilfsmittel.Auf
http://www.infoflora.chsindillustrierte Info-
blätter aufgeschaltet, mit Hinweisen zur
Bestimmung und Bekämpfung.Wer sich
die Smartphone-Applikation «Invasiv-
app» herunterlädt, kann die Pflanzen
direkt im Gelände bestimmen, lokalisie-
renundmitAngabenzuOrt,Zahl,Grösse
und VitalitätineinenationaleDatenbank
eingeben. DieDaten sind öffentlich zu-
gänglich und sollen Behörden und Priva-
ten die Bekämpfung erleichtern.

KEYSTONE (1), IMAGO (3)
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