Neue Zürcher Zeitung - 03.08.2019

(Barry) #1

10 MEINUNG & DEBATTE Samstag, 3. August 2019


Chem China steht auchwegen derSyngenta-Übernahmefür 43 MilliardenDollarvor einem gewaltigen Schuldenberg. LUKE MACGREGOR / BLOOMBERG


Das Ende


der wilden


Einkaufstour


Wie imRauschhaben chinesische Unternehmen jahrelang im


Ausland investiert.Die zum Teil wahllosen Übernahmenund


Beteiligungen in Europaund den USA weichen allmählich


einer durchdachterenStrategie– es wurde auchZeit.


Von Matthi as Kamp


DerAutomobilherstellerDaimler wird noch chine-
sischer. Die BeijingAutomotive Group (BAIC), ein
staatseigenes Unternehmen, wird sich mit 5 Pro-
zent an demKonzern aus Stuttgart beteiligen.Das
gaben beide Unternehmen vergangeneWoche be-
kannt. Schon Anfang 20 18 war der private chinesi-
sche Hersteller Geely mit fast 10 Prozent beiDaim-
ler eingestiegen. ChinesischeFirmen halten jetzt
also knapp 15 Prozent an dem deutschenPremium-
Anbieter.
Doch anders als beim Einstieg von Geely ist das
jüngste Engagement in Stuttgart willkommen: Der
Staatskonzern ausPeking undDaimler bauen seit
vielenJahren gemeinsamAutos, unter anderem die
Mercedes-C-Klasse und die E-Klasse sowie das
Kompakt-SUV GLA.«Wir begrüssen es sehr,dass
unser langjährigerPartnerBAIC nun auch ein lang-
fristig orientierter Investor beiDaimler ist», sagte
Daimler-Chef Ola Källenius.
Die Geely-Beteiligung hingegen hatte die Stutt-
garterKonzernspitze überrascht und irritiert. Mit-
hilfe einer trickreichenKonstruktion hatte Geely-
Chef Li Shufu die von derFinanzmarktaufsicht
vorgeschriebene untere Meldeschwelle für Betei-
ligungen von 3 Prozent umgangen, so dass sein En-
gagement zunächst unbemerkt blieb.Es darf be-
zweifelt werden, dass ein solcher Coup heute noch
stattfinden würde. Chinesische Unternehmen,
staatliche wie private, halten sich mit Investitionen
imAusland inzwischen deutlich zurück – aus meh-
reren Gründen.


WachsendeVo rbehalte


WestlicheRegierungen, aber auch viele Bürger
stehen Übernahmen und Beteiligungen aus China
heute kritischer gegenüber als vor fünfJahren.Vo m
drohendenAusverkauf europäischer und amerika-
nischer Hightech-Firmen ist oft dieRede;Politi-
ker in Bern, Berlin, Brüssel,Paris undWashington
machen ausserdem Sicherheitsbedenken geltend.
Warum sollen sich chinesischeFirmen imWesten
wie an einem Buffet bedienen dürfen, so fragen
viele, wenn westlichen Unternehmen in China trotz
schrittweisen Marktöffnungen in den vergangenen
Monaten der Zugang zu vielen Branchen immer
noch versperrt ist?
Deutschland hat bereits schärfere Richtlinien
für Akquisitionen aus demAusland verabschie-
det und plant als Antwort auf Chinas Expansions-
drang denAufbau sogenannter nationaler Cham-
pions – mithilfe staatlicherFörderung.Auch in den
USA schauen die Behörden bei Übernahmeversu-
chen durch chinesische Unternehmen vielgenauer
hin als noch vor einigenJahren. Die Schweiz hält
traditionell liberaleRegeln hoch, doch im Natio-
nalrat liebäugeln einigePolitiker seit längerer Zeit
mit einer sogenannten Lex China, die chinesische
Investitionen hierzulande erschweren würde. Die
Übernahme desBasler AgrochemieriesenSyn-
genta durch den Staatskonzern Chem China 20 16
befeuerte die Diskussion noch.
DerRegierung inPeking wurde wegen der mas-
siven Kapitalabflüsse im Zuge der wilden Einkaufs-
tour imAusland unwohl. Ende 20 16 verschärfte sie


die Kapitalverkehrskontrollen.Das begrenzte die
Einkaufstour.
DieFolge: Nachdem die chinesischenAuslands-
investitionen imJahr 20 16 mit fast 200 Milliarden
Dollar einen Höhepunkt erreicht hatten und die
Zahl derTr ansaktionen imVergleich zumVorjahr
um 20 Prozent gestiegen war, ging das Engage-
ment 20 17 und 20 18 deutlich zurück.In Europa
schrumpften die chinesischenInvestitionen in der
ersten Hälfte des laufendenJahres noch einmal
um 26 Prozent. Die chinesischen Direktinvestitio-
nen in den USAbrachen unter der Präsidentschaft
DonaldTr umps um satte 90 Prozent ein.
Dabei hatte dieRegierung inPeking die chine-
sischen Unternehmen Ende der1990erJa hre auf-
gerufen, insAusland zu expandieren – und hatte
di esenAufruf nach einigenJahren erneuert. Die
Firmen sollten nach jahrelangemWachstum in der
Heimat ihreinternationaleWettbewerbsfähigkeit
unter Beweisstellenund so gestärkt werden.Aus-
serdem suchte China nach Möglichkeiten, die mas-
siven Devisenreserven einzusetzen. In derFolge
wurde der Erwerb von westlichem Know-how
immer wichtiger. «Zou chu qu» hiess die Strategie
auf Chinesisch.Frei übersetzt: «Ausschwärmen».
Der Start der Belt andRoad Initiative, des wich-
tigsten Projekts von Staats- undParteichef Xi Jin-
ping, sorgte ab 2013 für einen zusätzlichen Impuls.
Die Unternehmen liessen sich nicht lange bitten


  • weil sie ihrem Präsidenten gefallen wollten, aber


auch,weilPeking mit zinsgünstigen Krediten, direk-
ten Hilfen und Steuergeschenken kräftig nachhalf.
2015 begann eine beispiellose Einkaufstour. Hotel-
ketten,Banken,Versicherer, Halbleiterkonzerne,
Maschinenhersteller – anscheinend nichts war vor
denFirmenjägern aus China sicher. Die meisten
Tr ophäen ergatterteAdamTan, der Chef desTou-
ristikkonzerns HNA. Mindestens neun Unterneh-
men, darunter die Hotelkette Hilton, den Schwei-
zer Airline-Caterer Gategroup und die Service-
gesellschaftSwissport, schnappte sich der chinesi-
sche Unternehmer.Auch eine Beteiligung an der
DeutschenBank durfte nicht fehlen.
Wang Jianlin, Gründer und Chef derWanda-
Gruppe, standTan in kaum etwas nach. Der Unter-
nehmer aus dem Norden Chinas kaufteFilmstudios,
Hotels, Fussballklubs undVergnügungsparks in der
ganzenWelt.Rund 20 Milliarden Dollar gab der
Milliardär bis 2017 für Zukäufe aus.

Fortune-500-Liste imBlick


ImJahr 20 16 investierten chinesische Unterneh-
men in Europa fünfmal so viel wie europäischeFir-
men in China. Die Akquisitionen schienen weniger
einer klaren und langfristigen Strategie zu folgen.
Vielmehrreihten dieFirmen ihre wahllosen Zu-
käufewiePerlen auf einerKetteauf.Von «irratio-
nalen Übernahmen» spricht denn auch der Öko-

Die chinesischen


Unternehmen reihten ihre


wahllosen Einkäufe wie


Perlen auf einer Kette auf.


Ein Experte spricht von


«irrationalen Übernahmen».


nom Liu Xiaoyu von der UniversitätSt. Gallenin
einer Untersuchung überFusionen und Übernah-
men durch chinesische Unternehmen.
Man wollte es demWesten offensichtlichen zei-
gen, wie weit China es nach fast vierJahrzehn-
tenReform- und Öffnungspolitik gebracht hatte.
Es ging bei der globalen Einkaufstour denn auch
darum, möglichst viele chinesischeFirmen in mög-
lichstkurzer Zeit in dieFortune-500-Liste zu brin-
gen. Immerhin: Mit 119 haben es inzwischen fast
genauso viele Unternehmen aus China wie aus den
USA in das bekannteRanking geschafft. Der über-
wiegendeTeil der chinesischenFirmen sind Staats-
konzerne.
Betriebswirtschaftlich waren nicht wenige der
chinesischen Dealseine Enttäuschung.Chem China
steht auch wegen derSyngenta-Übernahme für 43
Milliarden Dollar vor einem gewaltigenSchulden-
berg. Das kriselnde Unternehmen sollnunmit der
ebenfalls staatlichen Sinochem verschmolzen wer-
den. Beim deutschen Industrieroboterhersteller
Kuka, der 20 17 vom chinesischen Klimaanlagen-
undKühlschrankhersteller Midea übernommen
wurde, haben sich die Hoffnungen auf einen Boom
im Chinageschäft nicht erfüllt. Im vergangenenJahr
schrumpfte der Umsatz um 6,8 Prozent, derRein-
gewinn um 81,2 Prozent.
Als die Einkaufstour Ende 20 16 aus demRu-
der lief, zogPeking die Notbremse und verschärfte
die Kapitalverkehrskontrollen. Unternehmen wie
HNA und der staatlicheVersicherer Anbang, der
beim deutschenWettbewerber Allianz angeklopft
hatte, waren in gefährliche Schieflage geraten. Zahl-
reiche chinesische Unternehmen hatten bei ihren
Übernahmen, teils aus Unkenntnis, teils aus Grös-
senwahn, viel zu viel bezahlt. Nach und nach wurde
auch klar, dass manche Unternehmer die Zukäufe
dazu genutzt hatten, Privatvermögen und Schwarz-
geld insAusland zu schaffen.Vor allem private
Unternehmen nutztenregulatorische Schlupflöcher.
Die Geschäftsberichte von mehr als 20 00 an der
Börse ShenzhenkotiertenFirmen zeigen,dass sich
die Gewinne imvergangenenJa hr um durchschnitt-
lich 23 Prozent vermindert haben, und das bei ge-
stiegenen Umsätzen. Bei HNA,Wanda, Anbang
und dem MischkonzernFosun ermittelt dieFinanz-
marktaufsicht wegen verdächtigerFinanztrans-
aktionen. HNA steht mittlerweile unter verschärf-
ter Beobachtung der chinesischen Behörden, bei
Anbang übernahm im vergangenenJahr dieRegie-
rung die Kontrolle. Inzwischen ist das Unterneh-
men in demstaatlichenVersichererDajia aufge-
gangen. Um die Schulden abzubauen, haben viele
Unternehmen schon 20 17 damit begonnen, zuge-
kaufteFirmen, so es denn geht, wieder abzustossen.

PekingsWunschliste


So schnell man als Unternehmer die Anerkennung
von Xi Jinping gewinnen kann, wenn man der von
ihm vorgegebenen Marschrichtung folgt, so schnell
kann man es wieder verspielen, wenn in derPar-
teispitze auf einmal derWind dreht. Es ist das alte
Problem in China: Nicht der Markt im Zusammen-
spiel mit unabhängigen Institutionen undKontroll-
mechanismen bestimmt, sondern dieKommunisti-
schePartei.
Doch Chinas Unternehmer undPolitiker haben
aus denFehlern derVergangenheit gelernt; derzeit
werden die Erfahrungen aufgearbeitet. Die Behör-
den schieben Übernahmen imAusland denn auch
nicht grundsätzlich einen Riegel vor, sie schauen
vielmehr genauer hin. Strategische Übernahmen
etwa von Unternehmen aus Hochtechnologie-
branchen sind weiterhin erwünscht. So hatPeking
eine ArtWunschliste mitKompetenzen herausge-
geben, die Chinas Unternehmen erlangen sollen,
ausdrücklich auch mithilfe vonFusionen und Über-
nahmenimWesten.
Natürlich müssen und werden Unternehmen der
bald grösstenVolkswirtschaft derWelt auchweiter-
hin imAusland expandieren.Fehlgriffe und Enttäu-
schungen sind dabei unausweichlich. Schliesslich
hat Chinaerstvor vierJahrzehnten damit begon-
nen, seineWirtschaft zu öffnen.Aus denFehlgriffen
der vergangenenJahre werden Chinas Unterneh-
mer undPolitiker lernen. Das «Ausschwärmen» ist
noch nicht beendet, doch mit einerreinen «Perlen-
schnurstrategie» des Aneinanderreihens von we-
nig zusammenhängenden Zukäufen werden chine-
sischeKonzerne aufDauer kaum bestehenkönnen.
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