Neue Zürcher Zeitung - 03.08.2019

(Barry) #1

Samstag, 3. August 2019 SCHWEIZ 11


Der Absturz der Ju-52 vor einem Jahr hat auch die Welt


der Aviatikfans nachhaltig verändert SEITE 12


Christian Gartmann ist der Mediensprecher erster Wahl,


wenn in Graubünden Schlimmes passiert SEITE 13


Kommentar


Mehr als eine


Personalkrise


DANIEL GERNY

WasfüreinSchlamasselimEndlosdrama
rund um dieWiederwahl von Bundes-
anwalt MichaelLauber! Drei Monate
nachdem dieAufsichtsbehörde über die
Bundesanwaltschaft (AB-BA) eine Dis-
ziplinaruntersuchung durch einen exter-
nen Experten angekündigt hat, wird sie
durchdasBundesverwaltungsgerichtzu-
rück gepfiffen. Es ist kaum zu glauben,
dass sich dieAB-BA, welche dieRecht-
mässigkeit vonLaubersVerhalten unter
die Lupe nehmen muss, nun selbst im
Vorschriften-Gestrüpp verheddert: Sie
ist gemässeigener Einschätzung gegen-
über dem Gericht nicht in derLage, die
Untersuchung selbst durchzuführen,

darf sie aber dennoch nicht delegie-
ren. Schwer vorstellbar, wie die Unter-
suchung so gelingen soll.
Doch die Zeit drängt.LaubersAmts-
zeit läuft EndeJahr aus, im Herbst muss
er wiedergewählt werden.Die Gerichts-
kommission desParlaments hat das
Wahlgeschäft in Erwartung eines Zwi-
schenberichtes der Untersuchung be-
reits einmal verschoben, und dennoch
ist der Zeitplan knapp. Nach dem Ent-
scheid des Bundesverwaltungsgerichts
steht erstrecht fest, dass überLaubers
Wiederwahl ohne vertiefte Erkennt-
nisse aus der Disziplinaruntersuchung
beschlossen werden muss. Gewiss – die
Verfehlungen im Zusammenhang mit
LaubersTreffen mit demFifa-Präsiden-
ten sind offenkundig, nicht zuletzt seit
das BundesstrafgerichtLaubersVor-
gehen als widerrechtlich bezeichnet hat.
Doch ob solcheFehler für eine Nicht-
wiederwahl ausreichen steht immer
noch in den Sternen.
Gleichzeitig wird deutlich, dass die
Akte Bundesanwaltschaft noch lange
nicht geschlossen werden kann. Die
Konzeption der Strafverfolgung auf
Bundesebene steht als Ganzes zur
Debatte. Nicht nur erweistsich dieAuf-
sicht über die Bundesanwaltschaft end-
gültig als zahnlos. Zweifelhaft ist auch,
ob dieWahl des Bundesanwaltes wirk-
lich Sache desParlamentes bleiben soll.
Inzwischen sind es nämlich nicht mehr
nur juristische oderfachliche Argu-
mente, die gegen dieWiederwahlLau-
bers vorgebracht werden, sondern eine
Mischung ausrechtlichen und politi-
schen Bedenken, ja garFragen desAuf-
tretens. PersonaldebattendieserArt sind
aber nicht im Interesse einer glaubwür-
digen Strafverfolgung.
Überprüft werden müssen aber auch
Aufgabenfeld,Kompetenzen und da-
mit die Grösse der Bundesanwaltschaft.
Folgt man früherenAussagen vonLau-
ber rund um dieTreffen mit Infantino,
so sind grosse, internationaleFälle mit
den geltendenVerfahrensregeln kaum
effizient und zielführend zu bewältigen.
Zwar hat die Bundesanwaltschaft viele
der Pannen selbst zu verantworten. Ge-
rade dies bestätigt aberdie These,wo-
nach die Bundesanwaltschaft die in sie
gesteckten Erwartungenhöchstens teil-
weise erfüllen kann. Solche Diskrepan-
zen machen derPolitik seitJahren zu
schaffen und trugen bereits zur Abwahl
von Laubers Amtsvorgänger bei.
Der Gerichtsentscheid ist für die
AB-BA eine Schlappe. Und er macht
endgültigklar,dassdieKriserundumdie
Bundesanwaltschaft andauert – unab-
hängig davon, obLauber bestätigt wird.

Die Konzeption der
Strafverfolgung auf
Bundesebene steht als
Ganzes zur Debatte.

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT


Etappensieg für den Bundesanwalt


Die Aufsichtsbehörde wird im Fall Lauber zurückgepfiffen


KATHRIN ALDER


In einem wegweisenden Urteil hält das
Bundesverwaltungsgericht fest, dass
der von derAufsichtsbehörde über die
Bundesanwaltschaft (AB-BA) einge-
setzte emeritierte Professer für Staats-
und Verwaltungsrecht,Peter Hänni,
die gegenLauber laufende Disziplinar-
untersuchung nicht durchführen darf.
Hänni wurde MitteJuni von derAB-BA
beauftragt, die Leitung der Unter-
suchung zu übernehmen.Dies, nachdem
die Behörde fast zwei Monate lang nach
einer geeignetenPerson gesucht hatte.


Heikle Dreierkonstellation


Im Zentrum der Untersuchung stehen
die umstrittenen informellen und nicht
protokolliertenTreffen im rund 25Ver-
fahren umfassendenFifa-Verfahrens-
komplex. Lauber hatte sich etwa mit
Fifa-Präsident Gianni Infantino getrof-
fen, ohne die AB-BA vollständig dar-
über zu informieren. Am 9. Mai eröff-
nete Letztereein Disziplinarverfahren,
um mögliche Amtspflichtverletzungen
Laubers innerhalb desFifa-Verfahrens-
komplexes disziplinarrechtlich zu klä-


ren. Zudem teilte die AB-BA mit, dass
sie eine externeFachperson mit der
Durchführung der Untersuchungbe-
traue – «um ein objektives und faires
Verfahren sicherzustellen».
Lauber selbst teilte der AB-BA am


  1. Juli mit, er lasse sich imRahmen
    der Untersuchung von den Anwälten
    Lorenz Erni und Francesca Caputo
    vertreten. DieWahl Laubers sorgte für
    Aufsehen. Denn Erniamtet zugleich
    seit Jahren alsVerteidiger des ehema-
    ligenFifa-PräsidentenJoseph Blatter,
    gegen den imRahmen desFifa-Verfah-
    renskomplexes ebenfalls ermittelt wird.
    Nur zweiTage später verfügte Hänni
    als Leiter der Disziplinaruntersuchung,
    dass die beiden Anwälte nicht alsVer-
    treter und Beistände zugelassen werden.
    Hänni begründete seinen Entscheid mit
    einemkonkreten Interessenkonflikt.
    DaraufhingelangtenErniundCaputo
    mit einer Beschwerde an das Bundesver-
    waltungsgericht. Sie argumentierten, die
    vonHännierlasseneZwischenverfügung
    sei nichtig. Dieser dürfe die entspre-
    chende Untersuchung gar nicht leiten,
    da für die Übertragung solcherAufga-
    benkeinegesetzlicheGrundlagebestehe.
    In seinem amFreitag veröffentlichten


Entscheid geht das Bundesverwaltungs-
gericht auf die Beschwerde zwar nicht
direkt ein.Aber die Schlussfolgerung ist
dennochäusserstweitreichend:Siemacht
klar, dass die Beauftragung Hännis mit
der Disziplinaruntersuchung nichtrech-
tenswar.DieRichterstellennämlichfest,
Hännis Zwischenverfügung sei nichtig.
Sie weisen darauf hin, dass die Übertra-
gung vonVerwaltungsaufgaben und die
Verfügungsbefugnis von Organisationen
ausserhalb der Bundesverwaltung einer
genügenden gesetzlichen Grundlage be-
dürfe. Eine solche finde sich in den Orga-
nisations- undVerfahrensbestimmungen
zurDisziplinaruntersuchungderAB-BA
jedoch nicht.

FehlendesFachwissen


Die AB-BA hatte sichauf den Stand-
punkt gestellt, beim Bundesanwalt
handleess ich um eineMagistratsperson.
Entsprechendkönne für das Disziplinar-
verfahren insbesondereauf das Bundes-
personalrechtabgestellt werden. Die-
ses sehe explizit die Möglichkeit vor,die
Leitung einer Disziplinaruntersuchung
an einePerson ausserhalb der Bundes-
verwaltung abzugeben.Das Bundesver-

waltungsgericht macht jedoch klar, dass
die Bestimmungen des Bundespersonal-
rechts nicht ergänzend zur Anwendung
gelangenkönnen.Der Gesetzgeber habe
das Disziplinarverfahren der AB-BA in
denentsprechendenBestimmungenviel-
mehr abschliessend geregelt– un d auf
dieVergabevonDisziplinaruntersuchun-
gen an Externe bewusst verzichtet. Die
AB-BA hatte derweil angemerkt, es sei
ihr neben ihrerAufsichtstätigkeit nicht
möglich, unter erheblichem Zeitdruck
eine Disziplinaruntersuchung durchzu-
führen. Die Mitglieder der AB-BA führ-
ten ihreTätigkeit im Nebenamt aus, zu-
dem fehle es amFachwissen und an der
Fähigkeit, eine entsprechende Unter-
suchung selberkorrekt durchzuführen.
Die Beauftragung einer externenPer-
son sei der einzig gangbareWeg für eine
seriöse Untersuchung gewesen.
Abschliessend hielt das Bundesver-
waltungsgericht fest, dassLauber von
Erni und Caputo nach wie vor zulässig
anwaltlich vertreten sei.Darüber hinaus
schuldet dieAB-BALauber einePartei-
entschädigung von3000 Franken.

Urteil A-3612/2019 vom 29.7.1 9 –BVGE-
Publika tion.

Hickhack um Lauber geht weiter

Das Bundesverwaltungsgericht lehnt eine externe Diszipli naruntersuchung gege n den Bundesanwalt ab


DANIEL GERNY,FABIAN SCHÄFER


Das Bundesverwaltungsgericht macht
der Aufsichtsbehörde über die Bundes-
anwaltschaft (AB-BA) bei ihrer Diszi-
plinaruntersuchung zumVerhalten des
angeschossenen Bundesanwalts Michael
Lauber einen dicken Strich durch die
Rechnung. Das Gericht stellte amFrei-
tag fest, dass die AB-BA die im Mai be-
schlosseneDisziplinaruntersuchungnicht
an eine externeFachperson vergeben
darf. Genau dies hat dieAB-BA aber ge-
tan.Die Erkenntnisse der externenFach-
person sollten nicht zuletzt in dasVer-
fahren zurWiederwahlLaubers einflies-
sen,das die Gerichtskommission der eid-
genössischenRäte derzeit vorbereitet.
DiesestehtuntererheblichemZeitdruck.


Skepsis bleibt


DieKommissionwilltrotzderPanneunbe-
dingtamWahltermininderHerbstsession
festhalten, wie deren Präsident,National-
rat Jean-Paul Gschwind (cvp.,Jura), auf
Anfr age erklärte. Sie will ihre Empfeh-
lung zur (Nicht-)WiederwahlLaubers an
einerdernächstenbeidenSitzungenEnde
August oderAnfang September abgeben,
unabhängig davon, wie weit fortgeschrit-
ten die Disziplinaruntersuchung zu die-
sem Zeitpunkt sein wird.Weil die Amts-
zeit vonLauber EndeJahr ausläuft,bleibt
ihr gar nichts anderes übrig.
Die AB-BA hat die Leitung der
Disziplinaruntersuchung unterdessen
per sofort wieder selber übernommen,
wie sie amFreitag erklärte. «DieAuf-
sicht will ein objektives und verzugs-
losesVerfahren sicherstellen, das ord-
nungsgemäss undrechtmässig durch-
geführt wird», sagte SilviaWellinger,
wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der
Aufsicht, gegenüber der NZZ.Auch an
dem von der Gerichtskommission ge-
forderten Zwischenbericht zur laufen-
den Untersuchungwill die AB-BAfest-
halten. Sie sei sich der Dringlichkeit be-
wusst,erklärteWellinger.
Offen ist, ob sich die Schlappe der
AB-BA auf dieWiederwahlchancen


Laubers auswirkt.Aus juristischer Sicht
benötigt weder die Gerichtskommis-
sion noch die Bundesversammlung die
Untersuchungsergebnisse der AB-BA,
um über Laubers Zukunft entschei-
den zukönnen.Das Parlament ist bei
der Wahl ohnehin frei. Die Kommis-
sion lässt zurzeit von denFachleuten
alle möglichen Handlungsoptionen ab-
klären, wie der Berner SP-Nationalrat
MatthiasAebischer auf Anfrage erklärt.

Weiterzugoffen


Aebischer hält zudem fest, es sei von
Anfang an klar gewesen, dass dieKom-

mission ihrenVorentscheid möglicher-
weise fällen müsse, bevor zur Disziplinar-
untersuchung wenigstens ein Zwischen-
bericht vorliege. «Der Bundesanwalt hat
bis jetzt sozusagen jeden Entscheid in-
frage gestellt. Somit erstaunt mich sein
Vorgehen nicht.»Dassei bedauerlich, so
Aebischer. Er habe erwartet, dassLau-
ber mit derAufsichtkooperiere, um mög-
lichstrasch Klarheit zu schaffen.Auch für
StänderatBeatRieder(Wallis,cvp.)istdie
Ausgangslageunbefriedigend–obwohler
ein enanderenAkzentsetzt.Ergehenicht
davonaus,dassdieAB-BAinderLagesei,
dieerhofftenInformationenbisEndeAu-
gustbereitzustellen,erklärteRieder:«Das

ist eine äusserst heikle Situation für die
Mitglieder der Gerichtskommission, die
daher auf derBasis der bis dahin erhalte-
nen Informationen entscheiden werden.»
Auch in Bezug auf dieDisziplinar-
untersuchung bleiben nach dem Ent-
scheid des Bundesverwaltungsgerichts
Fragen offen. Denn dieser ist noch nicht
rechtskräftig und kann an das Bundes-
gericht weitergezogen werden. Diese
Möglichkeit hält sich die AB-BA be-
wusst offen. Die Übernahme der Unter-
suchungsleitung bedeute nicht,dass die
Aufsicht den Entscheid akzeptiert habe,
erklärteWellinger:«Wir werden ihn nun
genau analysieren.»

Die Gerichtskommissionwill unbedingt amWahltermin für MichaelLauberfesthalten. ANTHONY ANEX/KEYSTONE
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