Neue Zürcher Zeitung - 03.08.2019

(Barry) #1

Samstag, 3. August 2019 ZÜRICH UND REGION 15


Freiwillige betreiben die SAC-Hütte im Urner Fellital –


ein harter Job SEITE 16, 17


Wir haben einen Körper, aber sind ein Leib –


zwei Philosophinnen im Dialog SEITE 17


Gespraytwirdüberall in Zürich: an Hauswände,auf Spielplätzen oder,sowie hier,auf einen Container. SIMONTANNER/NZZ

APROPOS


Gopfertamynique


nochmals!


Jan Hudec·Die Grünen im Kan-
ton Zürich.Das ist diePartei, die von
einer passionierten Pilzsammlerin prä-
sidiert wird.Das ist diePartei, die im
letztenFrühling mit einem unbekann-
tenTechnik-Nerd imKonfirmandenlook
der FDP einenRegierungsratssitz weg-
geschnappt hat. Und das ist diePartei,
die derzeit fröhlich auf der grünen Er-
folgswelle surft, die die Klimajugend ins
Rollen gebracht hat.
Besserkönnte es eigentlich kaum
laufen, würde man sich denken.Vo r-
denker in derPartei sahen das jedoch
anders. Die baselstädtische Natio-
nalrätin Sibel Arslan kam im letzten
Herbst auf die verwegene Idee,Tamy
Glauser zur Nationalratskandidatin zu
machen. Davon erhoffte sie sich wohl
noch mehr Publicity für die Grünen.
Die modelndeVeganerin ist ja immer-
hin fester Bestandteil der Schweizer
Cervelat- oder vielleicht passender
Tofu-Wurst-Prominenz.
Eine Abfrage der Schweizer Medien-
datenbankzeigt, dass in der Online-Aus-
gabe des «Blicks» seitAugust 20 18 volle
67 Artikel zu Glauser erschienen sind,
also mehr als einer proWoche. Meist
erscheint sie dort unter demLabel«Ta-
mynique» zusammen mit ihrer Lebens-
partnerin und Ex-Miss-Schweiz Domi-
nique Rinderknecht.Tamynique,wie
sie im Cabriolet durch die Strassen von
Dubai flitzen – «es ist super cool» –

oder wie sie für die Boulevardzeitung
«exklusiv ihr privatesFotoalbum» öff-
nen, das sie beim Planschen mit Ele-
fanten aufBali zeigt.
Alles schön und gut, aber warum
genausollte sie für die Grünen in den
Nationalrat gewählt werden? Nun,
Glauser isstkeineTiere, ihr Grossvater
war mal Nationalrat – für dieSVP –,
und das mit dem Klima findet sie auch
prima. Die mangelndePolitikerfahrung
versuche sie mittels Selbststudium zu
kompensieren, verriet sie dem Blick.
«Ich lese seiteinigenWochen sehr viele
Bücher, Zeitungen, Essays zu politi-
schenThemen.»
Für die Zürcher Grünen genügte
das offensichtlich.In ihrem Erfolgs-
rausch katapultierten die Parteimit-
glieder Glauser auf ihre Nationalrats-
liste. Doch der Kater folgte auf dem
Fusse. Kurz nach der Nomination twit-
terte Glauser, dass die Natur alles heile.
«Blut vonVeganern zum Beispiel kann
Krebszellen töten.» Wie man dieses
Zeug wohl zu sich nimmt?Vielleicht
als Smoothie, püriert mit Spinat, Äp-
feln und Aroniabeeren? Und ist das
dann noch vegan?
Spätestens als Glauser in der Sen-
dung von Roger Schawinski ihre
Ferienflüge in entlegeneWeltgegen-
den damit rechtfertigte, dass Lang-
streckenflüge weniger klimaschädlich
seien alsKurzstreckenflüge, dürfte es
den meisten Grünen gedämmerthaben,
dass das mit der Nomination nicht die
besteIdee war.
Mittlerweile hat Glauser selbstän-
dig einen Abflug von der Nationalrats-
liste gemacht. Hätten sich die Grünen
mal ein Beispiel an der BDP genom-
men, die mit ihrem Slogan «Langweilig,
aber gut» ganz aufAuthentizität setzt.
Die Pilzsammler undTüftler trauten
wohl einfach ihrer plötzlichenPopu-
larität nicht.Dabei hätten sie wissen
können: Models sind out, und «nerd
is the new cool».

Jugendliche zahlen teuer

für Sprayereien

In der Stadt Zürich gehen jährlich 2000 Anzeigen wegen Graffiti ein


Die SBB kämpfen mit einer


massiven Zunahme von Graffiti.


Sprayer-Crews werden für ihre


waghalsigen Aktionen gefeiert,


aber wird jemand erwischt,


folgen harteKonsequenzen.


FABIANBAUMGARTNER


Auf dem Spielplatz holt Manuel die
Spraydose hervor. Er zieht sich einen
Plastikhandschuh über. Dann beginnener
und seinKumpelRamon
ihr Handwerk.
Mit hellblauer undroterFarbe sprayen
die beidenJugendlichen mehrere Graffiti.
Entlang einesBahngleises und auf einem
Kasten folgen weitere Bemalungen. Sie
sprayen «FCZ»,«ZSC»,«ZH» und «SK».
Ein altes Graffito übermalt Manuel kur-
zerhand.Aus «Scheiss Zürich» wird
«ScheissBasel». Nach 40 Minutenendet
dieTour der zwei Sekundarschüler durch
Zürich. EinePolizeipatrouille erwischt sie
und bringt sie auf denPosten.AufFotos
halten die Ordnungshüter dieTaten fest.
Bei der Einvernahme legen sie Manuel
die insgesamt 13Fotos mit Graffiti vor.
DerPolizist beginnt die Befragung.
«Du wurdest verhaftet,weil du ver-
dächtigt wirst, zahlreiche Schriftzüge an
diversen Orten mit einemFarbsprayan-
gebracht zu haben.Was sagst du dazu?»
Kleinlaut antwortet ihm der15-Jährige:
«Es stimmt, ich habe das gemacht.» Ihnen
sei langweilig gewesen. Die Idee sei ihnen
am Mittag während eines Chats gekom-
men.«Ramon ist dann zu mirgekommen
um 14 Uhr 30. Die Spraydose mitroter
Farbe hatte er dabei, und die mit blauer
Farbe hatte ich in meinem Zimmer.»
Manuel beteuert jedoch, dass er zu-
vor noch nie gesprayt habe. «Wann habt
ihr die Dosen gekauft?», hakt der Befra-
ger nach. «Wir hatten sie beide schon seit
einem oder zwei Monatenzu Hause.» Er
und seinKumpel hätten eben schon seit
längerem geplant, «Sachen mit ‹FCZ› und
so anzusprayen». Doch es habe sich bisher
keine Gelegenheit dazu geboten, beteu-
ert derJugendliche. «Bist du FCZ-Fan?»,
fragt ihn derPolizist schliesslich. «Ja, und
auch vom ZSC», betont Manuel.


Hauswände undWaggons


DieAussagen und Informationen zu dem
Fall gehen aus den Akten derJugend-
anwaltschaft hervor, in welche die NZZ
Einblick in anonymisierterForm erhal-
ten hat.Weiler dieTaten gesteht, wird
derJugendliche nach der Befragung wie-
der entlassen und nach Hause zu seinen
Eltern geschickt. EinigeWochen spä-
ter erhält er nach einer Einvernahme
bei derJugendanwaltschaft einen Straf-
befehl wegen Sachbeschädigung und
Übertretung des Eisenbahngesetzes auf-
gebrummt. Er wird zu einer persönlichen
Leistung von dreiTagen verpflichtet.
ManuelsFall ist eine typische Sprayer-
Geschichte, wie sie vielfach vorkommt.
Meist sind es junge Männer, die beim
Sprayen erwischt werden, häufig sind sie
nicht allein. Städte sind besonders be-
liebt bei ihnen.AufHauswänden, Eisen-
bahnwaggons oder entlang vonBahnstre-
cken finden sich in Zürich und anderen
Städten denn auch Abertausende Graffiti
undTags.Manche markierendieRevier-
ansprüche von Sprayer-Crews oderFuss-
ballfans, andere sind politische Botschaf-
ten, wieder anderebloss gesprayteObszö-
nitäten und Schmierereien.
In der Stadt Zürich gehen jährlich
etwa 20 00 Anzeigen wegen Graffiti bei
derPolizei ein.Rund2MillionenFran-
ken anKosten haben sie im letztenJahr
verursacht–Tendenz leicht steigend. Die


Stadt setzt im Kampf gegen die Spraye-
reien auf eine eigeneFachstelle. Zudem
können Hauseigentümer auch ein spe-
zielles Anti-Graffiti-Abo lösen, das ent-
weder 580 oder 1070Frankenkostet. Mit-
arbeiter der Stadt rücken dann aus, um die
Flächen zu überstreichen.
Doch nicht nur Hauswände, Contai-
ner und Unterführungen sind beliebte
Ziele. Mit einer starken Zunahme von
Sprayereien kämpfenvor allem die SBB.
Die Zahl derFälle stieg 20 18 imVer-
gleich zumVorjahr um fast einen Drittel.
Die Schadenssumme erhöhte sich sogar
noch stärker – gegenüber 20 17 um43 Pro-
zent auf rund 3 MillionenFranken. Der
Grund: «Es werdenimmer grössereFlä-
chen versprayt», sagt der SBB-Sprecher
Reto Schärli. Nicht nur für dieBahn, die
einen grossenAufwand für die Entfer-
nung habe, auch für diePassagieresei das
unerfreulich. «Im Endeffekt zahlen die
Kunden über denTicketpreis oder über
die Steuern die Zeche.»
Die Graffiti sorgen bei den Bundes-
bahnen aber nicht nur wegen der hohen
Reinigungskosten für Ärger.Weil sie ver-
sprayte Waggons normalerweise innert 24
Stunden aus demVerkehr ziehen, kommt
es manchmal zu Engpässen beimRoll-
material. Dies müsse man jedoch in Kauf
nehmen,sagt Schärli. «JeschnellerGraf-
fiti entfernt werden, desto geringer ist
der Anreiz für Sprayer, solche anzubrin-
gen.» Die SBB zeigen jedes Graffito an.
Auch sonst haben sie die Massnahmen
gegen die Sprayer verstärkt.Das kon-
kreteVorgehen wollen die SBB jedoch
nicht bekanntgeben. Anfang 20 19 sind
laut Schärli aber gleich mehrereSprayer-
Crews aus demVerkehr gezogen worden.

Vandalismusoder Kunst?


Fürdie Behörden und die SBB sind die
illegal angebrachten Graffiti ein Ärgernis.
Sie sprechen von Sachbeschädigung und
Vandalismus. Doch das ist nur die eine
Seite.Andere betrachten sie als moderne
Kunst im öffentlichenRaum. Insbeson-
dere Sprayer-Crews wie KCBR werden
für ihre waghalsigen Aktionen gefeiert.
SeitJahren sorgt die wohl aktivste Grup-
pierung Zürichs fürAufsehen mit spek-

takulärenVideos und Bildernvon ihren
Tr ophäen, den besprayten Zügen.
ObwohlsieKosten in Millionenhöhe
verursachen, sehen sie sich nicht alsVa n-
dalen, sondern alsKünstler. In dieser
Logik sind zwar Züge oder Hauswände
besprayt, funktionsunfähigsind sie des-
wegen nicht.AufInstagram erhalten ihre
Bilder von versprayten Eisenbahnwag-
gonsTausende von Likes und ehrfürch-
tige Bewunderung.EinVideo, auf dem
zu sehen ist, wie dieTüreneinerS-Bahn
zukoksenden Nasen verwandelt wurden,
erhielt sogar über 20 000 Liebesbekun-
dungen.Filmvorführungen werden in
der Stadt zu gefeierten Happenings, so-
gar Merchandise verkauft die Crew.
Bisher gelang es KCBR und anderen
Graffiti-Crews, unerkannt zu bleiben.

Aus gutem Grund:Wirdjemand beim
Sprayen erwischt, kann es teuer werden.
In ManuelsFall sind es am Ende über
3000 Franken, die der Schüler abstot-
tern muss. Dies, weil die SBB und eine
weiterePrivatklägerin Schadenersatz-
ansprüche geltend machen. Noch här-
ter traf es zweiJugendliche, die im ver-
gangenen Dezember beim Sprayen in
derWinterthurer Altstadterwischt wor-
den waren. Die Ermittler klärten darauf-
hin ab, ob die17- und18-jährigen Männer
noch für weitere Sprayereien verantwort-
lich waren. Und sie wurden fündig: Über
100 weitereTags mit einem Sachschaden
von über 10 0000 Frankenkonnten ihnen
nachgewiesen werden.
Grenzüberschreitungen gehörten in
diesemAlter zwar dazu, doch die Graf-
fitikönnten über lange Zeit hinwegAus-
wirkungen auf das Budget der jungen
Menschen haben, sagt Ursula Leu, die
stellvertretende LeitendeJugendanwäl-

tin der Stadt Zürich, die auch für denFall
von Manuel zuständig war. «Sprayereien
haben massive finanzielleKonsequenzen,
weil dieJugendlichen für dieReinigung
ihrerTags aufkommen müssen.» Leu
macht für dasVerhalten vorallemdas feh-
lendeVerständnis derJugendlichen für
denWert des öffentlichenRaumes ver-
antwortlich.
Für Leu sind die Graffiti nicht ein-
facheinBlödsinn eines jungen Men-
schen, sondern eineStraftat. «Sie müssen
deshalb dafürgeradestehen.Wenn nicht
heute, dann morgen.»Für dieJugend-
anwältin stellt sich ausrechtlicher Sicht
dieFrage, ob die Sprayereien nicht auch
Kunst seinkönnten, nicht.Wennein be-
troffenerHauseigentümer oder die SBB
Strafanzeige einreichten,dann handlees
sich um eine Sachbeschädigung, also eine
Straftat, welche man verfolgen müsse.
«Daran würde auch ein Picasso an der
Wand nichts ändern.»

«Es istmir schon eingefahren»


Manuel muss bereits einige Monate nach
der erstenTour erneut bei derJugend-
anwaltschaft antraben. Dieses Mal, weil
er zusammen mit zweiKollegen beim
Sprayen erwischt wurde. Zeigte er sich bei
derPolizei noch wortkarg, ist er bei der
Jugendanwältin Leu gesprächiger. «Wie
lange warst du in Haft?», fragtsie. «Etwa
einenTag», antwortet er. «Washat das
mit dir gemacht?» Manuel: «Es war nicht
schön in der Zelle. Ich habe viel nach-
gedacht. Es ist mir schon eingefahren.»
Dannerzählter vonseiner zweitenTat.
«Zuerst hatten wir vor, am Oberen Let-
ten legal zu sprayen.Wir gingen dann aber
nicht mehr dorthin, weil es zu spät war.»
Auf dem Nachhauseweg habe er dann
«FCZ»aneinen Müllcontainer gesprayt.
EinigeKollegen hätten dabei Schmiere
gestanden.Tr otzdem erwischten ihn die
Polizisten. Überlegt habe er sich dabei
nicht viel, gibt er zu.Wieder erhält Ma-
nuel einen Strafbefehl und muss eine per-
sönliche Leistung von vierTagen erbrin-
gen. Beim Schadenersatz hat er Glück.
Niemand macht Ansprüche geltend.

*Namengeändert.

«Es werden
immer grössere
Flächen versprayt.»

Reto Schärli
SBB-Sprecher

Models sind out.
«Nerd is
the new cool.»
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