Neue Zürcher Zeitung - 03.08.2019

(Barry) #1

26 WIRTSCHAFT Samsta g, 3. August 2019


Japan und Südk orea streiten wieder


Die Eskalation des Konflikts würde japanische Exporte erschweren und Konzerne wie Samsung tr effen


MICHAEL SETTELEN


Südkoreas Präsident MoonJae In hat
kurzerhand seine Sommerferien abge-
blasen.Das gab es noch nie. Doch das
Blaue Haus in Seoul, derRegierungssitz,
ist derzeit im Krisenmodus. Der Grund:
Die japanischeRegierung unter Minis-
terpräsident ShinzoAbe hat amFreitag
den westlichenNachbarnvon der soge-
nannten weissen Liste vertrauenswürdi-
ger Länder gestrichen. Dies trifft Süd-
koreas Wirtschaftschwer.
Grund für die Drohgebärden aus
Tokio sind angebliche Sicherheitsbeden-
ken. JapansRegierung wirft Moon vor,
bei den Exportkontrollen geschlampt
zu haben. Südkorea habe nicht genug
unternommen,um denSchmuggel von
sogenannten Dual-Use-Gütern nach
Nordkorea zu verhindern. Solche Güter
können neben zivilen auch für militäri-
sche Zwecke verwendet werden.


AlterKonf likt flammt neu auf


DerKonflikt schwelt schon länger. Seit
dem 4.Juli verschärftTokio die Export-
kontrollen von fluoriertenPolyimiden,
die in Smartphone-Displaysverwendet
werden, sowie vonFotolack und Ätz-
gasen für die Chip-Herstellung nach
Südkorea. Die Chemikalien könnten
auch für militärische Zwecke genutzt
werden, so die Befürchtung inTokio.
Brisant:Japanische Unternehmenkon-
trollieren bei diesen Materialien 70 bis
90% desWeltmarkts. Eine von Südkorea
eingereichte Beschwerde ignorierte die
Welthandelsorganisation. Es handle sich
um einen bilateralen, nicht um einen
multilateralenKonflikt, so die WTO.
Spürbar abgekühlt hat sich dasVer-
hältnis der Nachbarn aber bereits seit
vergangenem Herbst. Im Oktober 20 18
entschied das Oberste Gericht in Seoul,
südkoreanischen Privatpersonen stün-
den wegen Zwangsarbeit im Zweiten
Weltkrieg Entschädigungszahlungen
durch japanischeFirmen zu.Tokio be-
hauptet, sämtliche Ansprüche seienbe-
reits mit demVertrag von1965 zurWie-
derherstellung diplomatischer Bezie-
hungen abgegolten worden. Südkoreas
Regierungsagt wiederum, Privatperso-
nen seien seinerzeit von Entschädigun-
gen ausgenommen worden,JapansFir-
men müsstenalso zahlen. InJapan be-
fürchtet man nun, die vom Gericht ge-
währte Entschädigung von 85000 $
könnte zum Präzedenzfall werden und
weitere Klagen imWert von bis zu
20 Mrd. $ nach sich ziehen.
Es geht auch ums Prinzip. Tokio be-
harrt auf demVertrag von1965 und
hatte versucht, den Disput über allfällige
Kriegsentschädigungenfür südkoreani-
sche Privatpersonen, wie imVertrag vor-
gesehen, über ein Schiedsgericht zu klä-
ren. Seoul indes lehnte dies ab. Man
wolle nicht indie unabhängigeJustiz
eingreifen. Der Streit um den Umgang


mit derVergangenheit ist denn auch die
eigentliche Ursache für den derzeitigen
Handelskonflikt.
Die Streichung Südkoreas von der
weissen Liste soll EndeAugust in Kraft
treten. Ab dann müssten, sollten die
Einschränkungen tatsächlichkommen,
japanischeFirmen ersteine Geneh-
migung einholen, bevor sie bestimmte
Dual-Use-Güter nach Südkorea aus-
führen, ein Prozess, der jeweils bis zu 90
Tage dauernkönnte.
Dies würde für die südkoreanischen
Hightech-Unternehmen Samsung, LG
oder SK Hynixzu Engpässen führenund
einen der wichtigsten Industriezweige
desLandes schwer treffen. Ein Sam-
sung-Vertreter sagte jüngst bereits, dies
sei eine der schlimmsten Situationen, die
die Firma je hatte. Während die beiden
Nachbarn zwar wirtschaftlich sonst er-
staunlich wenig integriert sind, sindFir-
men auf den beiden Seiten bei der Her-
stellung von Smartphones undLaptops
eng vernetzt.Nach den Streitigkeiten
zwischenWashington undPeking würde
dieserKonflikt der global engverzahnten
Halbleiterindustrie noch mehr zusetzen.
Auch Japan selbst wäre getroffen, denn
Halbleiter gehören zu den wichtigsten
Ausfuhrprodukten desLandes für Süd-
korea. Langfristig wäre dieWettbewerbs-
fähigkeit des Sektorsgeschwächt.
Südkoreas Unternehmen indes müss-
ten relativrasch alternative Bezugsquel-

len finden. Präsident Moon betonte, man
wol le die Abhängigkeit vomAusland bei
solchen Güternreduzieren. Gleichzeitig
kündigte er Gegenmassnahmen an, soll-
ten südkoreanischeFirmen zu Schaden
kommen.Konkret wurde er allerdings
nicht. Am vergangenen Mittwoch er-
suchte SeoulTokio in einem offiziellen
Schreiben, Südkorea nicht von der weis-
sen Liste zu streichen. Man sei zu Ge-
sprächen bereit.

Entschärfungnicht in Sicht


In der Zwischenzeit hat sich die Eskala-
tionsspirale weiter gedreht. Südkorea-
nische Gewerkschaften haben über die
sozialen Netzwerke zu Boykott en von
japanischen Produkten aufgerufen. Bis
zu 23 000 Supermärkte in Südkorea
nahmen japanisches Bier oderKosme-
tik aus denRegalen, mancherorts wer-
den japanischeAutos anTankstellen
nicht mehr bedient. Beim südkoreani-
schen Supermarkt E-Mart beispiels-
weise soll derVerkauf von japanischem
Bierbereits um15,6% gegenüber dem
Vorjahr zurückgegangen sein.Auch der
Tourismus leidet. Buchungen fürRei-
sen nachJapan sind bei einem gros-
sen südkoreanischenReisebüro inJuli
um fast 70% gegenüber demVorjahr
eingebrochen.Aus Südkoreakommen
sonst jährlich am zweitmeistenTouris-
ten nachJapan.

FürJapan ist derKonflikt eine Grat-
wanderung. Der weltweit viertgrösste
Importeur und viertgrösste Exporteur
lebt zwar vomAussenhandel und machte
sich in derVergangenheit stets für den
Freihandel stark.Das japanischeVor-
gehen erinnert indes stark an US-Prä-
sident DonaldTrump, der aus Gründen
der nationalen Sicherheit den Handel
als Druckmittel einsetzt, wie jüngst im
Zusammenhang mit dem chinesischen
Hightech-Riesen Huawei. Dieskönnte
jedochauch ein Indiz dafür sein, dass
Tokio derzeitkeine andere Option sieht.
Dabei scheint es beiderseits wirtschaft-
lich zumindest nurVerlierer zu geben.
Derzeit deutet alles eher auf eine
Ver- denn auf eine Entschärfung hin.
Für KarlFriedhoff, Fellow am Chicago
Council on Global Affairs, ist klar: Der
einzigeWeg, eine kurzfristige Einigung
zu finden,ist, wenn das südkoreanische
Gericht davon absieht,Vermögenswerte
von japanischenFirmen wegenVerge-
hen im ZweitenWeltkrieg zukonfiszie-
ren, wie zuvor angedroht. Gleichzeitig
mussJapan die Exportrestriktionenbe-
sei tigen. In Zeiten der wirtschaftlichen
Abkühlung in beidenLändern scheint
dies derzeit wenigrealistisch. Beob-
achter meinen, die USA seien der ein-
zige Akteur, auf den die beidenLänder
hören würden.Aussenminister Mike
Pompeo sagte,man werde diese ermuti-
gen eine Lösung zu finden.

Südkoreanische Studenten verbrennen die japanische Militärflagge aus Protestgegendie Androhungen. AHN YOUNG-JOON / AP

Visilab baut ihre Dominanz im Optike r-Markt aus


Mit dem Zukauf vonMcOptic setzt sich das Genfer Unternehmen verstärkt vonFielmann ab


NATALIE GRATWOHL


In der Schweizer Optiker-Branche
kommt es zu einer grösserenVerschie-
bung.Der MarktführerVisilabhat per
31.Juli dieKette McOptic gekauft, die
336 Angestellte beschäftigt und über
62 Filialen verfügt. Mit der Übernahme
steigertVisilab ihren Marktanteil ge-
mäss der Mitteilung vomFreitag auf
30%. Über den Kaufpreis wurde Still-
schweigen vereinbart. Die Genfer Opti-
ker-Kette, zu der auch der Linsenver-
käu fer Linsenmax und die Premium-
kett e Koch Optik gehören, verstärkt mit
dem Kauf von McOptic ihre Präsenz in
der Deutschschweiz und ist neu auch im
Tessin vertreten.
Laut Daniel Mori, Gründer und Prä-
sident derVisilab-Gruppe, wird McOp-
tic nebenVisilab, Kochoptik und der


Billigkett e +Visionals eigenständige
Marke indieGruppe integriert. Die
übernommenenFilialen werden unter
dem Namen McOptic weitergeführt.
Entlassungen und Schliessungen von
Standorten sind nicht geplant.Vielmehr
soll das bestehendeFilialnetz noch wei-
ter ausgebaut werden.
Längerfristig will die Gruppe zudem
+Vision undMcOptic unter dem Namen
McOptic zusammenführen.Dabei soll
McOptic laut Mori wieder zur ursprüng-
lichenPositionierung zurückkehren und
sichauf preiswertePauschalpreise aus-
richten, welche die Brillenfassung und
di e Gläser umfassen. Nach der Über-
nahme von McOptic beschäftigtVisilab
1300Angestellte und betreibt über 163
Filialen. Im vergangenenJahr wurde ein
Umsatz von 264 Mio. Fr. erwirtschaf-
tet. Die Nummer zwei der Branche,

die deutscheKette Fielmann, setzte im
gleichen Zeitraum umgerechnet knapp
200 Mio. Fr. um. Mit dem Kauf derKette
McOptic, die keine Umsatzzahlen publi-
ziert, vergrössertVisilab den Abstand
zu Fielmann.
Der Branchenumsatz wird auf rund
1,3 Mrd.Fr. ges chätzt.Davon entfällt
etwa die Hälfte auf grosse Anbieter wie
Visilab undFielmann, während die an-
dere Hälfte auf dasKonto von rund 700
unabhängigen oder in Gruppen organi-
siertenFachgeschäften geht. Der Opti-
ker-Markt ist hart umkämpft.Auch aus-
ländische Online-Optiker wie Mister
Spex wollen zunehmend mitmischen.
Visilab sieht sich aber nicht nur mit
einem herausfordernden Marktkon-
frontiert,sondernauch mitVeränderun-
gen beim Besitzer. Die niederländische
Optikerfirma Grandvision, welche die

Mehrheit an der Gruppe hält, soll über-
nommen werden. EssilorLuxottica, der
Hersteller der «Ray Ban»-Brillen, will
Grandvision für7, 2Mrd.€kaufen. Laut
Mori hat dieTransaktion, die noch von
denWettbewerbsbehörden geprüft wer-
den muss und erst in ein bis zweiJah-
ren zum Abschlusskommenkönnte, kei-
nerlei Einfluss aufVisilab. Grandvision
und die GenferFamilienholding PP als
Minderheitsaktionär hätten klareVer-
einbarungen getroffen.InvielenFällen
müsse der Mehrheitsaktionär die Zu-
stimmung des Minderheitsaktionärsein-
holen.Vereinbart wurde etwa, dass der
Visilab-Gründer weiterhin Präsident
der Gruppe bleiben soll. Zudem wirkt
sich die geplanteTransaktion laut Mori
durchaus auch positiv auf die Aktivitä-
ten aus, weil EssilorLuxottica bereits ein
wichtigerPartner derVisilab-Gruppe ist.

Meinungswandel


eines


Bundesrichters


Warum stimmte Yves Donzallaz für
die Datenlieferung an Frankreich?

ZOÉBACHES

Am 15.Juli 2011 hattedas Bundes-
gericht inLausanne entschieden, dass
die Herausgabe der Daten von 285
Dossiers amerikanischer UBS-Kunden
durch dieFinanzmarktaufsichtFinma
am 18.Februar 2009rechtens gewesen
war(2C_127/2010). Drei von der Liefe-
rung betroffene Amerikaner waren des-
wegen zum Bundesverwaltungsgericht
gelangt. Nachdem ihnen dortrecht ge-
geben worden war, wandtesich die
Finma ans oberste Gericht. Nach der
öffentlichen Anhörung fiel das Urteil
mit drei zu zwei Stimmen knapp aus:
DerFinma wurde mehrheitlichrecht ge-
geben, dieDatenlieferung an die USA
warrechtens. Auf derVerliererseite be-
fand sich damals Richter Yves Donzal-
laz (SVP). Er hatte sich gegen die Lie-
ferung ausgesprochen. Anwalt Andreas
Rüd, der die drei Amerikaner vertrat,
erinnert sich, dass Donzallaz gegen die
Anwendung der polizeilichen General-
klausel alsRechtfertigung der Heraus-
gabe gewesen sei.
Acht Jahre später hat bei Donzal-
laz offensichtlich ein Meinungswech-
sel stattgefunden. Seine Stimme spielte
beim umstrittenen Entscheid des Bun-
desgerichts vom 26.Juli dasZünglein
an derWaage.Zusammen mit zwei wei-
teren Richtern stimmte er für die Lie-
ferung von 40 000 Daten französischer
UBS-Kunden anFrankreich.

Abseits desüblichen Prozederes


Direkt vergleichbar sind die beiden
Fälle zwar nur bedingt. Dennoch geht es
letztlich bei beiden darum, dasseigent-
lich vom damaligenBankgeheimnis ge-
schützteKundendaten ausserhalb des
normalen Prozederes der Amtshilfe an
ausländische Steuerbehörden weiter-
geleitet werden. Im Fall der USA wurden
die Daten per Notentscheid vomRegu-
lator an die US-Behörden geliefert. Im
jüngstenFall wurde die bisherige Pra-
xis der Amtshilfe deutlich ausgeweitet.
So leistet die Schweiz erstmals einem
GesuchFolge, das einzig bankinterne
Nummern vonKunden enthält, und es
nennt den Generalverdacht, dass einige
der 40000 Kunden französische Steuer-
pflichten umgangen habenkönnten.
In der öffentlichen Diskussion hatte
Donzallaz betont, dass sich die «franzö-
sischenFreunde» ans Spezialitätsprin-
zip hielten undkeine Kundendaten an
weitere Behörden übergeben würden.
Offensichtlich vertraut der Richter den
französischen Nachbarn mehr als damals
den amerikanischenBehörden.Und dies,
obwohl die UBS Beweise dafür vorlegen
konnte, dass die französische Steuer-
behörde bereits mehrere hundertKun-
dendaten aus derAmtshilfe an die Straf-
verfolgungsbehörden weitergegeben hat.
Donzallaz erklärte zudem, dass sich die
Schweiz den internationalen Entwick-
lungen nicht verschliessen dürfe.

Trendwende seitdem Jahr 2011


Die betroffenen UBS-Kundendaten
stammen aus den 2000er Jahren.Da-
mals war das Bankgeheimnis noch
eisern, und die nun bewilligte Amts-
hilfe wäre noch vor wenigenJahren
nicht gewährt worden. Ein Anwalt gibt
zudem zu bedenken, dass imJahr 2011
ein Trend bei der Amtshilfe seinen An-
fang genommen habe, der in Richtung
Öffnung gehe und den Interessen der
betroffenenKunden zuwiderlaufe. Ge-
rade inSVP-Kreisen habe man sich da-
mals beharrlich geweigert, die Zeichen
der Zeit zu erkennen, sagt der Anwalt.
Hier war Donzallaz als Bundesrichter
wohl schneller als seineParteikollegen.
AnwaltRüd verweist darauf,dass
sich Donzallaz in der Diskussion prak-
tisch nicht dazu geäussert habe, ob es
sich beim Gesuch um einenFischzug ge-
handelt habe. Offenbar habeder Rich-
ter sein Urteil zur Hauptsache aufgrund
des gegenwärtigenTrends bei derAmts-
hilfe gefällt. Noch steht das schriftliche
Urteil aus.
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