Die Welt - 01.08.2019

(Sean Pound) #1
in den Zug eine Fahrkarte gekauft hat,
und zwar mit Platzreservierung. Kein
Ticket: keine Chance, in den Zug oder
in seine Nähe zu kommen. Das Verfah-
ren entspricht dem der Airlines. Das
gilt zum Beispiel auch in den französi-
schen Hochgeschwindigkeitszügen
TGV. In Frankreich gibt es auch Zu-
gangssperren für Nahverkehrssysteme,
beispielsweise in der Metro in Paris.
ÄÄÄhnlich wird in vielen Großstädten ver-hnlich wird in vielen Großstädten ver-
fffahren, unter anderem in London.ahren, unter anderem in London.
In Deutschland setzt man dagegen auf
ein „offenes Bahnsystem“. Jeder kann je-
derzeit jeden Bahnsteig betreten und je-
den Zug besteigen. Die Deutschen beste-
hen auf diese Flexibilität, Zugbindung ist
vielen ein Gräuel. Die Versuche des ehe-
maligen Bahn-Chefs Hartmut Mehdorn,
der viele Luftfahrtmanager in die DB
holte, das zu ändern und ein System wie
in Frankreich, Spanien oder Italien ein-
zuführen, scheiterte am Widerstand von
Regierung und Bevölkerung.
Auch alle Versuche, den Zugang zu
Bahnsteigen in Deutschland zu reg-
lementieren, waren vergeblich. Ent-
sprechende Einschränkungen, und sei-
en es auch nur Bahnsteigkarten, die es
vereinzelt in einigen Städten bis in die
vergangenen Jahre noch gab, wurden
letztlich abgeschafft. An eine Wieder-
einführung denkt niemand. Die Berliner
BVG hat entsprechende Auflagen beim
Betreten der U-Bahnhöfe zuletzt deut-
lich zurückgewiesen und den Aufwand
für Sperranlagen und Kontrollen als un-
verhältnismäßig bezeichnet. Daher
kann sich hierzulande jedermann, egal
mit welchen Absichten, auf den Bahn-
steigen aufhalten.
Entsprechende Kontrollanlagen für
die Deutsche Bahn einzuführen, halten
Experten jedoch für nicht durchführbar.
Dazu müssten die 5700 Bahnhöfe und
Stationen der DB zum Teil grundlegend
umgebaut werden. Das dürfte sogar See-
hofers Kostenvorstellungen sprengen.
Zumal Sperr- und Kontrollanlagen keine
Garantie für Schutz vor Attacken sind.
Denn die können auch von Mitreisenden
mit gültigem Ticket verübt werden. „Der
einzige Effekt von Zugangssperren und
vorgeschriebener Zugbindung ist, dass
man die Menschen vom Bahnfahren ab-
hält, weil es unbequemer wird. Dann set-
zen sie sich wieder mehr ins Auto, ohne
dass wir mehr Sicherheit hätten“, sagt
Pro-Bahn-Ehrenvorsitzender Naumann.
Maßnahme zwei wäre das Einziehen
von Trennwänden, die verhindern, dass
Menschen aus welchem Grund auch im-
mer ins Gleisbett stürzen können. In Ja-
pan sind solche Systeme üblich, in China
jeweils bei Hochgeschwindigkeitszügen,
in Russland zum Teil bei Metros. Hierzu-
lande sind solche Trennwände in erster
Linie von Flugreisen bekannt. Die soge-
nannten People Mover, fahrerlose Züge,
die von einem Terminal zum nächsten
pendeln, verfügen an den Stationen über
solche Wände. Dabei fährt der Zug zenti-
metergenau bis zu einer bestimmten
Marke.
Die Türen der Waggons und Plexi-
glaswände sind damit genau auf einer
Höhe und öffnen sich erst, wenn der
Mover passgenau zum Stehen gekom-
men ist. Nach der Abfahrt ist der Gleis-
körper wieder komplett abgeschirmt,
weil mit den Zugtüren auch die der
Trennwände schließen. Das System ist
im Grunde einfach, würde aber erfor-
dern, dass alle Stationen mit hohem
AAAufwand nachgerüstet werden – dochufwand nachgerüstet werden – doch
das ergibt in Deutschland keinen Sinn.
Denn anders als in Japan, China oder
an Flughäfen werden die Züge nicht

N

ach der zweiten tödlichen
AAAttacke an einem Bahnhofttacke an einem Bahnhof
innerhalb kurzer Zeit ver-
handeln Sicherheitsbehör-
den sowie Vertreter des
Bundesinnenministeriums und der
Deutschen Bahn (DB) darüber, wie man
die Sicherheit in den Stationen und vor
allem auf den Bahnsteigen erhöhen
kann. Erste Konzepte dazu kursieren,
Details dazu wollen die Beteiligten vor-
erst aber nicht preisgeben. „Wir möch-
ten den Gesprächen nicht vorgreifen“,
sagte eine Bahn-Sprecherin.

VON NIKOLAUS DOLL

Bahnexperten bezweifeln allerdings,
dass man die Sicherheitsstandards im
deutschen Schienenverkehr in absehba-
rer Zeit deutlich erhöhen kann. „Maß-
nahmen, wie es sie in anderen Ländern
gibt, sind aufgrund der Struktur der An-
lagen im deutschen Bahnwesen nicht
umsetzbar“, heißt es in Sicherheitskrei-
sen. „Sehr viel sicherer kann man das
System nicht machen. Wir können nicht
üüüberall einen Polizisten postieren oderberall einen Polizisten postieren oder
üüüberall Sperrgitter anbringen. Das ist ge-berall Sperrgitter anbringen. Das ist ge-
nauso wenig möglich, wie wir vor jedem
Bus an der Haltestelle oder vor jedem
Lastwagen auf der Straße einen Zaun
spannen können“, sagt auch Karl-Peter
Naumann, der Ehrenvorsitzende des
Fahrgastverbandes Pro Bahn. „Wir sind
ein Stück weit wehrlos.“
Am Montag hatte ein Mann am Frank-
fffurter Hauptbahnhof einen Achtjährigenurter Hauptbahnhof einen Achtjährigen
und dessen Mutter vor einen einfahren-
den ICE gestoßen. Der Junge starb noch
im Gleisbett, die Mutter konnte sich ret-
ten und wurde verletzt. Eine 78-Jährige,
die der Tatverdächtigeauch attackiert
haben soll, konnte sich in Sicherheit
bringen, ohne auf die Gleise zu stürzen.
Bislang gab es Fälle von Attacken auf
Menschen an Bahnsteigen, die dann ins
Gleisbett stürzten und von Zügen er-
fffasst wurden, vor allem im Nah- undasst wurden, vor allem im Nah- und
Stadtverkehr, bei U- und S-Bahnen. Die
jüngsten schrecklichen Taten haben nun
die Bundesregierung alarmiert. Bundes-
innenminister Horst Seehofer (CSU)hat
angekündigt, dass die Sicherheitsvor-
kehrungen an Bahnanlagen verbessert
werden müssten. Die Kosten dürften da-
bei keine Rolle spielen. Die aber sind
nicht das Hauptproblem, wenn es darum
geht, Bahnanlagen sicherer zu machen.
Für mehr Sicherheit auf Bahnsteigen
können grundsätzlich vier Maßnahmen
sorgen: Zugangsschleusen, Trennwände
zzzwischen den Zügen und Bahnsteigen,wischen den Zügen und Bahnsteigen,
mehr Sicherheitspersonal und Überwa-
chung mit intelligenten Videokameras.
AAAlle vier Möglichkeiten kommen welt-lle vier Möglichkeiten kommen welt-
weit an Bahnanlagen zum Einsatz – al-
lerdings nicht hierzulande. Das liegt an
den Besonderheiten des deutschen
Bahnsystems.
Zugangssperren sind in vielen Län-
dern sowohl bei Fernzügen als auch bei
Metros verbreitet. In zahlreichen Län-
dern Süd- und Westeuropas kommt man
ohne gültiges Ticket weder in den Zug
noch auf den Bahnsteig. In Spanien bei-
spielsweise checkt man in die Hochge-
schwindigkeitszüge AVE vorher ein.
Deutsche Bahnfahrer erinnert das Pro-
zedere eher an das an Flughäfen. Wäh-
renddessen werden die Passagiere auch
kontrolliert. Entsprechend leer sind die
Bahnsteige, es gibt keinerlei Gedränge.
Zusätzlich patrouillieren Polizeistreifen
vor den Zügen.
ÄÄÄhnlich sind die Verfahren in ande-hnlich sind die Verfahren in ande-
ren Ländern. Möglich ist das, weil man
dort in aller Regel vor dem Einsteigen

von digitalen Systemen im Bahnhof ge-
steuert und punktgenau abgebremst.
Die Wagen, vom ICE bis zur U-Bahn,
kommen immer an leicht anderer Stel-
le zum Stehen.
Das könnte man vielleicht ändern.
WWWas aber nicht so schnell abzustellen ist,as aber nicht so schnell abzustellen ist,
aaauch weil es nicht gewünscht ist, ist dieuch weil es nicht gewünscht ist, ist die
Vielfalt an Zügen und Wagenmodellen.
An den meisten Fernbahnhöfen der
Deutschen Bahn halten allein fünf Bau-
reihen des ICE, dazu verschiedene Vari-
anten des IC, mal als Doppelstock, mal
als Eindecker und dazu verschiedene Ty-
pen von Regionalzügen. Und die meisten
haben unterschiedliche Abmessungen
bei den Türen. Das heißt, man bräuchte
anders als im Fall der Züge mit genorm-
ten Türabständen wie in Japan oder Chi-
na Trennwände, die für unterschied-
lichste Baureihen öffnen und schließen
können. Aber solche Systeme gibt es
nicht. Und wenn es technisch machbar
wäre, wären sie extrem teuer.

Bleibt der Einsatz von mehr Perso-
nal, Bundespolizei und Bahnkräften
und verstärkter Videoüberwachung.
Genau das planen Bundesregierung
und Bahn nun als erste Maßnahme. An
Berliner Bahnhöfen wird bereits intelli-
gente Videoüberwachung getestet. Die
Kameras erkennen Standardsituatio-
nen und schlagen Alarm, wenn sich bei-
spielsweise eine Person von einem Kof-
fffer entfernt und nicht mehr zurück-er entfernt und nicht mehr zurück-
kommt. Oder wenn es eine Rangelei
gibt und Menschen am Boden liegen.
Der Nachteil dieser Maßnahme: Sie
kann Attacken wie in Frankfurt und zu-
vor in Voerde, wo eine 34-jährige Mut-
ter vor einen Zug gestoßen wurde,
nicht verhindern – nur noch aufklären
helfen. Und ob Kameras und mehr Per-
sonal auf Täter wie in den beiden letz-
ten Fällen abschreckend wirken, ist
nicht sicher.
Pro-Bahn-Ehrenvorsitzender Nau-
mann hält jedenfalls wenig von mehr Po-
lizei- und Securitypräsenz. „Es ist wie
bei den Autobahnbrücken und den Stei-
newerfern – es passiert dort, wo man es
nicht erwartet und nicht vor Ort ist. Und
die Sicherheitskräfte können nicht über-
all sein.“ Sein Rat lautet: Mehr Platz auf
den Bahnsteigen schaffen, wo immer es
geht. „Gedränge befördert Konfliktsitua-
tionen. Gerade auf labile Menschen
wirkt das negativ. Und wo mehr Platz ist,
gibt es auch mehr Rückzugsorte, kann
man mehr Abstand von der Bahnsteig-
kante halten“, sagt Naumann. Aber auch
diese Idee hat einen Haken: Wo will man
an den Bahnhöfen in Hamburg oder Ber-
lin – um nur zwei Beispiele zu nennen –
Platz schaffen, um die Bahnsteige zu ver-
größern? Ein Vorortbesuch reicht und
man weiß: geht nicht.

Gedenken an den getöteten Achtjährigen: Im Gleisbett erinnert eine Rose an den Jungen

DPA

/ARNE DEDERT

„„„Wir sind ein StückWir sind ein Stück


weit wehrlos“


Nach den tödlichen Attacken arbeiten Bundesregierung und Bahn


an neuen Sicherheitskonzepten. Geld dürfe keine Rolle spielen, sagt


Seehofer. Doch das Problem sind nicht die Kosten, sondern die


Besonderheiten des deutschen Bahnsystems


WIR KÖNNEN NICHT


ÜBERALL EINEN


POLIZISTEN


POSTIEREN ODER


ÜBERALL


SPERRGITTER


ANBRINGEN


KARL-PETER NAUMANN,Pro Bahn


4


01.08.19 Donnerstag, 1. August 2019DWBE-HP


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4 POLITIK DIE WELT DONNERSTAG,1.AUGUST


Das 25.000-Einwohner-Städtchen
Wädenswil, 25 Kilometer von Zürich
entfernt, ist ein Postkartenidyll. Hier
lebte der Verdächtige: Der heute
4 0-Jährige wurde in Eritrea ge-
boren. Als Flüchtling kam er 2006
in der Schweiz an.Dort beantragte
er Asyl, es wurde ihm 2008 bewilligt.
2 011 erhielt er den „Ausländeraus-
weis der Kategorie C“, mit dem er
sich im Schengenraum ohne Ein-
schränkungen bewegen darf. Er ließ
sich in Wädenswil nieder, ist verhei-
ratet und Vater von drei Kleinkin-
dern im Alter von einem Jahr, drei
und vier Jahren, gehört der christ-
lich-orthodoxen Glaubensgemein-
schaft an.
Er lernte schnell Deutsch, arbeitete
fast sechs Jahre lang in einer Bau-
schlosserei, bis diese weniger Auf-
träge hatte und er die Stelle verlor.
Anschließend bekam er im April 2017
über das Schweizer Arbeiterhilfs-
werk (SAH) eine Arbeit in der Werk-
statt der Verkehrsbetriebe Zürich.
Der Eritreer wurde als Beispiel für

gelungene Integration hervorgeho-
ben. Laut einer Broschüre des Ar-
beiterhilfswerks, die WELT vorliegt,
freue er sich „schon jetzt“ auf sein
2 5. Betriebsjubiläum bei den Ver-
kehrsbetrieben. Auf die Frage, was
ihm an der Schweiz gefalle, ant-
wortet er: „Fast alles. Mir gefällt,
dass hier jeder Hilfe bekommt, egal
ob er arm oder reich ist.“
Er beklagt jedoch, dass er nach
dem Aus beim Bauschlosser zuerst
keine Arbeit über das Schweizer
Arbeitsamt fand,ist dann aber in
dem Interview sehr dankbar für den
Job, den er über das Integrations-
programm bekam. Einen Hinweis
darauf, dass es auch belastende
Faktoren gab, folgt gleich anschlie-
ßend: „An einem Tag pro Woche
habe ich im SAH Zürich Bewerbun-
gen geschrieben.
Der Einsatz wurde dann immer
wieder verlängert. Das war belas-
tend, aber ich habe mich jedes Mal
entschieden weiterzumachen.“ Seit
2 017 hatte der Eritreer also eine

feste Stelle. Freunde und Vorgesetz-
te beschreiben ihn als fleißig und
zurückhaltend – nie gewalttätig,
berichten Bekannte der „Bild“.
Anderthalb Jahre später jedenfalls
passiert irgendetwas. Er lässt sich
Anfang des Jahres 2019 krank-
schreiben und begibt sich in psy-
chiatrische Behandlung. Seitdem
hat er nicht mehr gearbeitet. Dann
wählt am Donnerstag vergangener
Woche seine Ehefrau den Notruf.
Laut der Kantonspolizei Zürich
sperrte er sie, die drei Kleinkinder
und eine Nachbarin in seiner Woh-
nung in Wädenswil ein. Er hatte die
Nachbarin zuvor attackiert und sie
bedroht – verbal und auch mit ei-
nem Messer.
Er flüchtet, noch bevor die Polizei
eintrifft. Daraufhin wird er in der
Schweiz zur Festnahme ausge-
schrieben. Die Nachbarin und die
Ehefrau berichten der Schweizer
Kantonspolizei, sie seien von seinem
Gewaltausbruch „sehr überrascht“
gewesen. CORNELIA KARIN HENDRICH

Der Verdächtige führte jahrelang ein völlig unauffälliges Leben

fffurt stieg, wussten die deutschen Be-urt stieg, wussten die deutschen Be-
hörden nichts über die Vorfälle. Die
Schweizer hatten die Fahndung den
hiesigen Kollegen nicht mitgeteilt.
Das ist nicht ungewöhnlich – die zu-
ständige Polizeibehörde entscheidet in
jedem Fall einzeln, ob eine Fahndung
nur national oder auch europaweit aus-
geschrieben wird. Dieter Romann, Prä-
sident der Bundespolizei, sagte nach
dem Fall des Eritreers: „Wenn eine
Fahndung vorher kommuniziert wor-
den wäre oder er in internationalen
Systemen gespeichert worden wäre
und wir zudem kontrolliert hätten,
dann hätten wir ihn entdeckt. Aber das
ist hypothetisch.“
WWWäre es also doch sinnvoll, Fahndun-äre es also doch sinnvoll, Fahndun-
gen grundsätzlich europaweit auszu-
schreiben – statt jedes Mal individuell
zu entscheiden? Holger Münch, Präsi-
dent des Bundeskriminalamtes (BKA),
erklärte am Dienstag bei einer Presse-
konferenz, man könne überlegen, ob
man bei offenen Grenzen auch generell
europaweit fahnden sollte. Diesem Ge-
danken pflichtet auch der Vizechef der
Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg

V


ier Tage vor der Bluttat von
Frankfurt wählte die Ehefrau
des mutmaßlichen Täters im
2 5.000-Einwohner-Städtchen Wädens-
wil in der Schweiz den Notruf. Laut der
Kantonspolizei Zürich sperrte der 40-
jährige Eritreer sie, die drei Kleinkin-
der und eine Nachbarin in seiner Woh-
nung ein. Zuvor hatte er die Nachbarin
angegriffen und sie verbal sowie mit ei-
nem Messer bedroht.

VON KAJA KLAPSA, CHRISTINA BRAUSE
UND MARTIN LUTZ

Bevor die Polizei eintreffen konnte,
ffflüchtete der Familienvater. Daraufhinlüchtete der Familienvater. Daraufhin
wurde er in der Schweiz zur Fahndung
ausgeschrieben. Nach Angaben der Zü-
richer Ermittler war er schon mehrfach
durch Gewalttätigkeiten aufgefallen
und seit diesem Jahr in psychiatrischer
Behandlung.
In einer Vernehmung gab er nun an,
vor wenigen Tagen mit dem Zug von
Basel nach Frankfurt gefahren zu sein.
Doch während der mutmaßliche Täter
in den Zug über Basel Richtung Frank-

Radek, bei. „Das wäre eine Vereinfa-
chung für die Praxis. Als Grenzpolizei
brauchen wir im Verdachtsfall Er-
kenntnisse über den Reisenden“, sagte
Radek WELT.
Zudem müssten die jeweiligen Infor-
mationssysteme der Polizeien in Euro-
pa vereinheitlicht werden. So seien al-
lein die polizeilichen Systeme von
Deutschland und der Schweiz bisher
nicht voll miteinander kompatibel.
Dies müsse erst technisch ermöglicht
werden – auch im Bezug auf andere eu-
ropäische Länder, so Radek.
Neben der bilateralen Datenabfrage
können etwa die Daten von Personen,
die Straftaten begangen haben oder
zwecks Auslieferung gesucht werden,
auch in das Schengener Informations-
system (SIS) eingespeist werden. An
das europaweite Fahndungs-Informati-
onssystem sind die EU-Länder sowie
Norwegen und Island angeschlossen.
Der SPD-Innenexperte Uli Grötsch
bemängelt allerdings, dass mehrere
Mitgliedstaaten ihre Informationen
nur unzureichend in das System ein-
brächten. „Die Datenqualität des

Schengener Informationssystems ist
schlecht. Der aktuelle Fall in Frankfurt
ist offenbar ein Beleg dafür.“
Müssen die Länder ihre Informatio-
nen also prinzipiell nicht teilen? „Die
Pflicht, eine nationale Fahndung auch
im Schengener Informationssystem
einzustellen, besteht nur, sofern im in-
dividuellen Einzelfall eine der Aus-
schreibungskategorien der SIS-Rechts-
grundlagen erfüllt ist“, teilte das Bun-
desinnenministerium auf Anfrage mit.
Das wäre etwa ein Vorwurf schwerer
Straftaten, die einen europäischen
Haftbefehl begründen, oder ein Min-
destmaß von vier Monaten Freiheits-
strafe. „Abhilfemaßnahmen wären,
grundsätzlich alle nationalen Fahndun-
gen schengenweit auszuschreiben. Da-
fffür wäre aber eine Änderung des Rah-ür wäre aber eine Änderung des Rah-
menbeschlusses zum europäischen
Haftbefehl notwendig“, so das Ministe-
rium.
Konstantin Kuhle, innenpolitischer
Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion,
zeigte sich offen für ein europaweites
VVVorgehen: „Eine frühzeitigere europäi-orgehen: „Eine frühzeitigere europäi-
sche Fahndung ist grundsätzlich begrü-

te von deutscher Seite nicht voreilig
mit dem Finger auf andere zeigen.
Schließlich klappt schon die Fahndung
in Deutschland über Bundesländer-
grenzen hinweg nicht immer so, wie es
sein sollte“, sagte Mihalic WELT. Euro-
paweite Fahndungen seien bereits
möglich und bei vielen Straftaten auch
die Regel. „Die Sensibilisierung der Be-
hörden, dieses Instrument auch zu nut-
zen, sollte im Jahr 2019 eigentlich nicht
mehr nötig sein.“
Keinen Handlungsbedarf sieht Ulla
Jelpke, innenpolitische Sprecherin der
Linksfraktion. „Ich sehe keinen Vorteil
darin, der Polizei quasi vorzuschrei-
ben, jedes Mal gleich europaweit fahn-
den zu lassen, selbst dann, wenn es kei-
nerlei konkrete Hinweise auf einen
AAAuslandsaufenthalt des Gesuchtenuslandsaufenthalt des Gesuchten
gibt“, sagte Jelpke.
Ob eine Fahndung per nationalem
oder internationalem Haftbefehl erfol-
ge, sei zunächst eine taktische Ent-
scheidung der zuständigen Polizeibe-
hörde. „Das kann vielmehr auch wei-
terhin im Einzelfall entschieden wer-
den.“

WWWie sinnvoll sind generelle europaweite Fahndungen?ie sinnvoll sind generelle europaweite Fahndungen?


Der mutmaßliche Täter von Frankfurt war in der Schweiz zur Fahndung ausgeschrieben. Nun wird ein stärkerer Austausch bei der Suche nach Straftätern gefordert


ßenswert, denn weder Verbrechen
noch Verbrecher machen an Landes-
grenzen halt“, sagte Kuhle WELT. „Es
darf nicht sein, dass eine knapp vier-
stündige Zugfahrt von Zürich nach
Frankfurt ausreicht, um sich aus dem
Fokus der Strafverfolgungsbehörden
zu befreien.“ Die Einrichtung einer frü-
heren europäischen Fahndung sei aber
nur sinnvoll, so Kuhle, wenn sich alle
Mitglieder des Schengenraums daran
beteiligten. „Denn mit einem Fahn-
dungsflickenteppich quer durch Euro-
pa ist niemandem geholfen.“
Zurückhaltender äußerte sich dage-
gen Thorsten Frei (CDU), stellvertre-
tender Vorsitzender der Unionsfrakti-
on im Bundestag. Das Verbrechen von
Frankfurt sollte Deutschland zum An-
lass für eine Prüfung nehmen, in wel-
chen Fällen „möglicherweise ein Auto-
matismus zwischen nationaler und eu-
ropaweiter Fahndung geschaffen wer-
den kann und muss“, sagte Frei.
Irene Mihalic, innenpolitische Spre-
cherin der Grünen-Bundestagsfrakti-
on, wandte sich gegen ein grundsätz-
lich europaweites Vorgehen. „Man soll-

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